Warum haben die USA den Kalten Krieg gewonnen? Diese Frage brachte den US-Historiker Chris Miller auf ein Thema, das sonst eigentlich eher Informatiker und Ökonomen betrifft: die Halbleiterindustrie und ihr Kernprodukt, den Mikrochip, ohne den kein Smartphone funktioniert, kein Auto, kein Stromnetzwerk – und keine moderne Streitkraft. Millers These lautet: Die USA haben den Kalten Krieg gewonnen, weil sie mehr Budget in die damals teuren Mikrochips investierten und damit schnellere Computer bauten als die Sowjetunion – und weil es ihnen gelang, den Fortschritt der Digitalisierung auf ihre Rüstungsindustrie zu übertragen.

Chris Miller "Der Chip-Krieg". € 33,– / 500 Seiten. Rowohlt, Berlin 2023
Rowohlt

Auch die Rivalität zwischen den USA und China werde sich an der Frage entscheiden, wer die besseren Rechner baut und militärisch nutzen kann. Vor allem im Zeitalter der künstlichen Intelligenz, wo immer größere Datenmengen zu lesen sind, konzentriert sich der Wettbewerb auf immer kleinere und noch schnellere Hochleistungschips. "Moderne Kriege werden mit Halbleitern geführt", zitiert Miller in seinem vielfach ausgezeichneten Buch Der Chip-Krieg den früheren Senator Ben Sasse.

Dabei ist der Buchtitel etwas irreführend. Denn Miller beschränkt sich keineswegs auf die Gegenwart, in denen der Zugang zu Mikrochips zu einer Art geopolitischer Waffe geworden ist. Stattdessen erzählt er ihre Geschichte von den Anfängen vor rund 80 Jahren bis heute. Dazu hat der Historiker, der sich bereits zuvor in seinen Büchern mit internationaler Wirtschaftsgeschichte beschäftigt hat, Archive auf mehreren Kontinenten ausgewertet und über 100 Wissenschafter, Ingenieure, Manager und Politiker interviewt. Der Chip-Krieg liest sich deshalb wie eine Mischung aus Entdeckerstory mit teils schrulligen Forschern im ersten Teil und einem spannenden Wirtschaftskrimi im zweiten. Wer etwas über geopolitische Verschiebungen aufgrund der Digitalisierung erfahren möchte, kommt an dieser Lektüre kaum vorbei. (Nana Siebert, 6.12.2023)