Fitness, Nacht
Paarlauf: Andrea trainiert immer abseits der Rushhour, ihr Freund Jakob begleitet sie öfter mal.
Regine Hendrich

Ein kaputter Lift ist immer eine ärgerliche Angelegenheit. Vor allem, wenn man in den vierten Stock eines Ge­bäudes möchte. Es gibt aber Momente im Leben, da kann einem ein kaputter Lift auch wurscht sein. Etwa dann, wenn sich im vierten Stock, wo man hinmöchte, ein Fitnesscenter befindet. Dann heißt es jauchzen und frohlocken statt fluchen und schimpfen. Denn der Weg nach oben ist dann ein Prä-Workout, das schon einmal ein paar Muskelpartien aufwärmt.

Oben, das ist in diesem Fall ein Studio der Fitnesskette McFit. Genauer: die Filiale auf der Mariahilfer Straße. McFit gehört zur deutschen RSG-Group. Nimmt man die Zahlen her, die das Unternehmen so kommuniziert, muss man sagen, dass die nicht gerade schwach auf der Brust sind. 2021 wurde ein Umsatz von 325 Millionen US-Dollar er­wirtschaftet. 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in über 30 Ländern haben dafür gesorgt. Zum Fitnessimperium, dessen Gründer Rainer Schaller im Vorjahr mit seiner Familie bei einem Flugzeugabsturz mit dem Privatjet ums Leben gekommen ist, zählen Marken wie John Reed, High 5 oder das legen­däre Gold’s Gym. Für 100 Millionen Dollar hat sich der Konzern 2020 bei einer Auktion das Recht gesichert, dieses berühmteste aller Fitnesscenter zu übernehmen. Arnold Schwarzenegger bildete etwa dort Ende der 1960er-Jahre seinen Körper. Gerade wird die RSG-Group aber auf neue Beine gestellt. Man will sich wieder verstärkt dem Kerngeschäft widmen.

Rein ins Schweißtreiben

Und zu dem zählt unter anderem McFit, die Diskontschiene des Unternehmens, die in Österreich 16 und in Wien demnächst zwölf Filialen betreibt. Mit vergleichsweise günstigen Monatstarifen wird um neue Mit­glieder gebuhlt und versucht, Konkurrenten im Diskontsektor wie Fit­inn, Clever fit oder Fit One in Schach zu halten. Größter Trumpf sind dabei die Öffnungszeiten: Ein McFit sperrt nicht zu. Ein McFit hat rund um die Uhr offen. In einem McFit lässt es sich durchtrainieren. Zumindest aber durchmachen.

Also warum sich nicht ins Schweißtreiben stürzen und nachschauen, wer sich bis tief in die Nacht im Klub alles so tummelt? Mario, der stellvertretende Leiter des Studios, weiß es: "Meistens sind es Leute aus der Gastro, die dann trainieren kommen, aber auch Schichtarbeiter und Taxifahrer." Der Kärntner, der seit 2016 für die Kette arbeitet, erzählt auch, dass üblicherweise bis drei Uhr was los ist, dann folgt tote Hose, bis sich gegen fünf Uhr morgens der Laden wieder langsam füllt.

Fitness, Nacht
Opernsängerin Lydia kommt aus der Ukraine und trainiert, weil das direkten Einfluss auf die Stimmkraft hat.
Regine Hendrich

Die gute Besucherfrequenz hat wohl mit der exponierten Lage des Studios auf Wiens größter Shoppingmeile zu tun, aber vielleicht auch ein bisschen damit, dass der nächstgelegene McFit in der Lugner City ab zehn Uhr abends seine Kraftkammer schließen muss. Der Betriebslärm, der beim Stemmen der Gewichte und allem, was man sonst so unter lautem Ächzen und Stöhnen dort macht, störe die Nacht­ruhe in einem Hotel, das sich in un­mittelbarer Nachbarschaft befindet. Gut für das Studio in der Mariahilfer Straße, meint McFit-Coach Mario. Für ihn ist dann aber trotzdem um 22 Uhr Dienstschluss. Allein und ohne Ansprechpartner werden die Trainierenden aber natürlich nicht gelassen. Die Aufsicht über das 1500 Quadratmeter große Studio übernimmt außerhalb der Kernzeiten (neun bis 21 Uhr) jemand vom Reinigungsteam, der dann, wenn sich die Reihen an den Geräten lichten, auch sauber macht. Rein kommt man dann aber nur mit Membercard.

Vor Mitternacht

Um 22 Uhr ist das Studio jedenfalls noch sehr gut besucht. Eine, die hier gerade trainiert, ist Lydia. Die 23-Jährige kommt aus der Ukraine und ist ausgebildete Opernsängerin. Sie macht aber auch Videos und produziert Content. "Ich trainiere regelmäßig und meistens am Abend, länger als bis Mitternacht bleibe ich aber nie", erzählt sie. Sie hat ihren kleinen Bruder mitgebracht.

Der Schüler ist zum ersten Mal hier und, so seine Schwester, ein kleines Mathe-Genie. Sport respektive das Fitnesscenter nimmt im Leben der jungen Frau einen wichtigen Stellenwert ein. "Ich will mich wohlfühlen und brauche, um professionell singen zu können, einen gut trainierten Körper, denn das hat direkten Einfluss auf die Stimmkraft." Kraft braucht auch Omari. Der 18-jährige trainiert mit einem Freund hier in der Kraftkammer. Er bringt aber sichtlich schon einiges an Muskelschmalz mit. Kein Wunder: "Wir spielen Cricket im österreichischen Nationalteam", erzählt er und legt die Langhantel wieder weg. Der Schüler, er kam vor acht Jahren aus Afgha­nistan nach Wien und besucht das renommierte TGM, hat sich erst vor zwei Wochen bei McFit eingeschrieben. Er freut sich schon auf das Cricket-WM-Finale, das am nächsten Tag zwischen in Ahmedabad ausgetragen wird. Im Finale stehen sich Turniergastgeber Indien und Australien gegenüber. "Ich halte zu Indien, sie sind der Underdog." Es wird nur leider nicht helfen. Zum dritten Mal in Folge wird Australien Weltmeister.

Fitness, Nacht
Omari ist Kricketspieler im Nationalteam, bei McFit hat er sich erst vor zwei Wochen eingeschrieben.
Regine Hendrich

Junge Muskelmassen

Das Klubpublikum, zumindest solange es noch in Richtung Mitternacht geht, ist relativ jung. Nicht wenige sind noch keine zwanzig, viele unter dreißig Jahre alt. Wie Andrea (24) und Jakob (26), die es aus Oberösterreich nach Wien verschlagen hat. Sie kommt viermal in der Woche hierher. Er begleitet sie, wenn es die Zeit zulässt. Die Abendsession heute ist eine Ausnahme. "Ich gehe gerne am Vormittag oder Nachmittage trainieren und versuche die Rushhour und Primetime, die so gegen 17 Uhr beginnt, zu vermeiden", erklärt Andrea.

Anders die 20-jährige Alexandra. Ihr Tagesablauf lässt Workouteinheiten meist nur in den späten Abendstunden zu. "Später als ein Uhr wird es nie", so die Politikwissenschaftsstudentin, die nebenher arbeitet. Sie schätzt vor allem die angenehme und ruhige Atmosphäre, wenn sie sich an die Maschinen setzt oder Eigengewicht-, Gymnastik- und Koordinationsübungen absolviert.

Krisenstimmung

Datensätze aus Deutschland, die sich auch auf Österreich übertragen lassen, untermaueren den Eindruck, dass in der Muckibude immer stärker Jugendliche und junge Erwachsene die Leistungsfähigkeit ihrer Körper erforschen und optimieren. Ihre Anzahl in Fitnesscentern hat sich zwischen 2013 und 2018 von 1,8 auf 3,6 Millionen verdoppelt. Das Geschlechterverhältnis hält sich dabei übrigens die Waage. Das Ende der Corona-Pandemie hat dann noch einmal eine Welle an jungen Menschen an die Fitnessgeräte gespült.

Es gibt aber auch noch andere Gründe für den aktuellen Pumpboom. Die unzähligen Fitness­influencer, die auf Social-Media-Plattformen ihre wohldefinierten Körper präsentieren, zum Beispiel. Und natürlich die dann doch auch für knappere Budgets erschwinglichen Angebote der Diskontketten. Die jetzt – nach AK-Klage und OGH-Urteilen – ganz ohne unsportliche und rechtswidrige Klauseln wie Verwaltungs- und Servicepauschale oder Chipgebühr auskommen müssen. Zu Unrecht verlangte Gebühren müssen übrigens zurückgezahlt werden. Das wird sich wohl auch auf die zukünftige Preisgestaltung auswirken.

Nichtsdestoweniger ist der Markt, vor allem im Diskontbereich, hart umkämpft, und es wird für kleinere Unternehmen schwie­riger, sich zu behaupten. "Ich würde sagen, dass die Studios der Diskonter mittlerweile 70 Prozent des heimischen Fitnessmarkts aus­machen", analysiert Martin Becker. Der Geschäftsführer des Fitnessstudios Workout in Hernals ist Branchensprecher der Wiener Fitnessbetriebe in der Wirtschaftskammer Wien. Er hat einen guten Überblick, was gerade am Markt los ist. "In diesem Jahr mussten bereits 22 Studios schließen", fasst Becker zusammen. Eingesessene und bekannte Studios wie das Styriatraining und das Top Gym schlitterten in die Insolvenz. Bodystyle gab eine von zwei Filialen auf, und auch Holmes Place sperrte einen Standort zu. "Uns gibt es noch, weil ich auch eine Schwimmschule betreibe. Die hält mich über Wasser", übt sich Becker in Galgenhumor. Gute Gründe für die Misere sind schnell ausgemacht. "Die Mietpreise und die Energiekosten sind derart gestiegen, da können viele Betreiber nicht mehr mit."

Before Sunrise

In diesem Kontext ist es schon ein wenig verwunderlich, wenn man wie McFit permanent geöffnet hat. Der Energieaufwand dürfte nicht gering sein. Ob es sich rentiert, erfährt man nicht. Um halb zwei Uhr morgens sind jedenfalls noch vier Männer und eine Frau im Training. Lisa kommt jeden Samstag. "Ich verbinde immer einen Spaziergang vom vierten Bezirk hierher", erzählt die 69-Jährige, die vor zehn Jahren einen Radunfall hatte. "Meine Physiotherapeutin hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass es in diesem Studio genau die richtigen Trainingsgeräte für mich gibt. Bewegung und Krafttraining sind die beste Vorbeugung gegen Osteoporose", erzählt sie. Ihr reicht eine wöchentliche Nightsession, denn: "Ich bewege mich im Alltag ausreichend und mache zu Hause auch Yoga." Was sie hier hertreibt, spricht sie gelassen aus. "Ich liebe es, bei den Übungen keinen Zeitdruck zu haben. Lediglich die Musik, die hier gespielt wird, und die immer gleichen Bildschirmen in der Endlosschleife gefallen mir nicht."

Die einschläfernde Monotonie dieser ständig wiederkehrenden Clips darf übrigens nicht unterschätzt werden. Da kann man noch so kräftig Bauch, Bein und Bizeps trainiert haben – ein schlaffes Lid ist immer stärker. Um drei Uhr morgens und ein paar Sekundenschlaf­attacken auf dem Ergometer später ist Schluss. Das wird nichts mehr mit dem Durchmachen im Klub. Beim Gehen kommen gerade zwei junge Frauen ins Studio. Warum sie um diese Zeit hier sind? "Wir waren gerade unterwegs und müssen dringend auf die Toilette." Ganz schön praktisch so eine Membercard. (Manfred Gram, 25. 11. 2023)