Die Rolle österreichischer Polizisten während der NS-Zeit ist noch immer weitgehend unbekannt. Doch nun beginnt das Innenministerium gemeinsam mit Wissenschafterinnen und Wissenschaftern, seine Vergangenheit aufzuarbeiten. Dabei wurden erstmals verstaubte Akten ausgewertet.

Die Ergebnisse des Forschungsprojekts "Die Polizei in Österreich: Brüche und Kontinuitäten 1938-1945" sollen nächstes Jahr in Form eines Sammelbandes und einer Wanderausstellung präsentiert werden und auch in die Polizeiausbildung einfließen.

20 bis 30 Prozent der Polizisten und Gendarmen waren Nazis

Ein Aspekt der Aufarbeitung ist die Unterwanderung der Polizei durch Nationalsozialisten vor dem sogenannten Anschluss 1938. Laut dem Historiker Kurt Bauer waren in den 1930er-Jahren 20 bis 30 Prozent der Polizisten und Gendarmen deklarierte NS-Anhänger. 25 Prozent waren NS-Gegner, während der Rest als "Indifferente und abwartende Opportunisten" eingestuft werden kann, wie Bauer bei der Abschlusskonferenz des Forschungsprojekts ausführte.

Reichsführer SS Heinrich Himmler war seit 1936 auch Chef der Deutschen Polizei, in die nach dem
Foto: DÖW

Schon im März 1933 verwandelte der autoritär regierende Bundeskanzler Engelbert Dollfuss das demokratische Österreich in einen "Polizeistaat", in dem "mehr oder weniger willkürliche Polizeigewalt" herrschte, sagte Bauer. Dies funktionierte ohne "Säuberungen großen Stils". Gipfelpunkt stellte die sogenannte Anhalteverordnung dar, die Möglichkeit, ohne Gerichtsurteil oder konkret nachweisbaren Delikt, "an einem bestimmten Ort angehalten zu werden" – in einem "Anhaltelager". Bauer betonte, dass zwar die Polizeibefugnisse ab 1933 "weit über das Gebotene und Erträgliche" ausgebaut wurden, aber sie "waren nicht grenzenlos und endeten nicht in nackten Terror und Völkermord wie im NS-Regime." Dieser Umbau verlief ohne nennenswerten Widerstandard innerhalb der Polizei.

Illegale NS-Zellen

Der Historiker geht davon aus, dass es bereits vor Hitlers Machtergreifung in Deutschland "beträchtliche Sympathien in der österreichischen Polizei und Gendarmerie für die NS-Ideologie gab". Besonders unter den Führungsoffizieren, die traditionell eine starke deutschnationale Einstellung hatten. Die NSDAP-Ortsgruppe für die Angehörigen der Wiener Sicherheitswache und Kriminalpolizei, gegründet zwischen 1930 und 1931, hatte allein "1000 Mitglieder und mehr", wie ihr Anführer behauptete.

Nachdem die NSDAP in Österreich im Jahr 1933 als Reaktion auf einen Terroranschlag in Krems verboten wurde, blieben viele NS-Polizisten "ihrer Überzeugung treu" und waren "nicht selten illegal aktiv", sagt Bauer. In allen Bereichen, Regionen und Dienststellen bildeten sich "nationalsozialistische Zellen". Diese warnten ihre Parteigenossen vor bevorstehenden Hausdurchsuchungen oder Verhaftungen, ließen belastendes Material verschwinden und versorgten die NS-Führung mit staatspolizeilich relevanten Informationen. So wurde die Verfolgung von Nationalsozialisten sabotiert.

Polizisten als Putschisten

Auffällig war auch die Teilnahme ranghoher Polizisten am Putschversuch im Juli 1934, bei dem Dollfuß erschossen wurde. Die österreichischen Nazis versuchten mit ihrem Putsch eine NS-kompatible Regierung zu installieren. Der Coup wurde jedoch schnell niedergeschlagen, einige der Verschwörer wurden hingerichtet, andere kamen ins Gefängnis. Einer von ihnen war Leo Gotzmann, der bis 1933 Kommandant der Wiener Alarmabteilung war. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich wurde er zum Polizeipräsidenten von Wien ernannt; er starb 1945 in US-amerikanischer Haft.

Ein weiteres Beispiel für eine bemerkenswerte Karriere im NS-System ist der Wiener Polizist Franz Sonnleithner. Als Jurist wurde er Vertreter des Auswärtigen Amts im Führerhauptquartier bei Adolf Hitler. Er überlebte sogar das Attentat vom 20. Juli 1944 unverletzt.

Kontinuitäten nach 1945

Es gab jedoch auch andere Karrieren, die nicht so spektakulär, aber Teil des Nachkriegsösterreichs waren. Nach meist kurzen Unterbrechungen wurden zahlreiche ehemalige Gestapo-Beamte (kurz für Geheime Staatspolizei) nach 1945 wieder in die Polizei aufgenommen. Darunter war auch Karl Josef Silberbauer, der das jüdische Mädchen Anne Frank während seiner Dienstzeit in Amsterdam verhaftete.

Die Gestapo-Leitstelle in Wien, die größte im Deutschen Reich mit 900 Mitarbeitern, bestand zu 80 Prozent aus Österreichern. In ihrem Wiener Hauptquartier am Morzinplatz wurden Gegner der Nazis gefoltert und Deportationstransporte organisiert, mit denen Jüdinnen und Juden in die Gaskammern geschickt wurden.

Denkmal für die Opfer der Gestapo in Wien am Morzinplatz. Allein in Salzburg kamen nach 1945 mindestens zehn ehemalige Gestapo-Leute wieder in der Polizei unter. 
Foto: Markus Sulzbacher

"Normale" Polizisten begleiteten Deportationszüge nach Theresienstadt, Auschwitz oder Maly Trostinez. Am Wiener Aspang-Bahnhof bewachten sie schwer bewaffnet die "Einwaggonierung" von Jüdinnen und Juden.

1946 wurden Polizisten aus Wien-Strebersdorf, die als "fliegendes Mordkommando" an der Ermordung von 44.000 Menschen beteiligt waren, wieder in den Dienst der Wiener Polizei aufgenommen. Mit dem Beginn des Krieges im Jahr 1939 wurden ganze Polizeibataillone gebildet und in den Osten entsandt. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, das Hinterland zu sichern, sie arbeiteten eng mit der Wehrmacht und den SS-Einsatzgruppen zusammen.

Etwa 100 Polizeibataillone waren im Osten im Einsatz und spielten eine zentrale Rolle bei der Bewachung von Ghettos, der Durchführung von Deportationen, dem Zusammenführen von Menschen, Exekutionen und der Tötung in Gaswagen. Schätzungen zufolge waren Polizeibataillone im Osten an dem Tod von etwa einer Million Menschen beteiligt.

Der mutige Polizist, der Hunderte jüdische Kinder aus dem Ghetto rettete

Es gab jedoch auch einige wenige Polizisten, die sich weigerten, den angeordneten Mordaktionen zu folgen. Ein Wiener Polizist, der ursprünglich als glühender Anhänger Hitlers nach Polen kam, erlebte die Gräueltaten, die von der Wehrmacht, der SS und seinen Kollegen in Krakau begangen wurden. Entsetzt von dem, was er sah, entschied er sich dazu, Hunderte jüdische Kinder aus dem Ghetto zu retten. Er wurde verraten und im Jahr 1944 erschossen. Heute wird er als einer von fünf Polizisten in der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem als "Gerechter unter den Völkern" geehrt. Sein Name lautet: Oswald Bosko. (Markus Sulzbacher 2.12.2023)