Person mit Transgender Flagge
Das Thema Genderidentität ist in Praxis und Ausbildung im Gesundheitsbereich häufig nur ein Nebenschauplatz.
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Wer in Österreich eine Angleichung des Geschlechts vornehmen will, braucht eine dicke Haut. Denn obwohl die Versorgung von Transgender- und nichtbinären Menschen zu guter Letzt im internationalen Vergleich aufgrund relativ kurzer Wartezeiten von Expertinnen und Experten als gut bezeichnet wird, gleicht der Weg dorthin mitunter einem Spießrutenlauf.

Denn Diskriminierungen, Unverständnis, Mobbing und auch (verbale) Gewalt erleben Menschen, die ihr Geschlecht anders als das bei der Geburt zugewiesene erleben, nicht nur im sozialen Umfeld und in der Gesellschaft generell, sondern auch im Kontakt mit dem Gesundheitssystem. "Da ist noch Luft nach oben", beurteilt Igor Grabovac, Professor am Zentrum für Public Health an der Medizinischen Universität Wien, die Situation.

Studie mit 130 Befragten

Am diesjährigen interdisziplinären Sexualmedizinkongress der Österreichischen Gesellschaft zur Förderung der Sexualmedizin und der sexuellen Gesundheit stellte er zwei Studien vor, die während der Jahre 2020 und 2022 entstanden sind.

Grabovac und sein Team befragten dafür 130 Transgender- und nichtbinäre Patientinnen und Patienten (TN-Patientinnen und -Patienten) zu ihren Erfahrungen im und mit dem heimischen Gesundheitssystem. Vier von fünf Befragten hatten schon mit einer Hormontherapie begonnen, 40 Prozent hatten bereits geschlechtsangleichende Operationen vornehmen lassen. "Die Ergebnisse decken sich in etwa mit den internationalen Studien", sagt Grabovac.

Kein Platz im Lehrplan

60 Prozent der Teilnehmenden gaben an, im Gesundheitssystem nie (37 Prozent) oder nur selten (23 Prozent) ernst genommen zu werden. Mehr als 20 Prozent wurden vom Gesundheitspersonal "misgendered", also mit dem falschen Geschlecht angesprochen, 13 Prozent wurde die medizinische Versorgung verweigert, und knapp acht Prozent berichteten von verbalen Gewalterfahrungen, Beschimpfungen oder anderen despektierlichen Verunglimpfungen.

Als problematischste Gruppe wurden von 58 Prozent der TN-Patientinnen und -Patienten Ärzte und Ärztinnen wahrgenommen. Die Gründe dafür seien vielfältig, sagt Grabovac. Fehlendes Wissen sei einer davon. "Das Thema Geschlecht und Geschlechtsidentität war in den Lehrplänen für Gesundheitsberufe lange Zeit nicht vorhanden und ist auch heute noch unterrepräsentiert", sagt Grabovac. Zwar gebe es bereits Initiativen in diese Richtung. So werden Studierenden an der Medizinischen Universität Wien im Rahmen von Wahlfächern speziell Seminare für Gender und Genderidentität angeboten. Die Plätze dafür aber seien knapp und die Wartelisten lang.

Enorme Wissenslücken

Bis der medizinische Nachwuchs selbstständig arbeiten wird können, werde allerdings noch ein gutes Jahrzehnt in die Lande ziehen, meint Grabovac. "Mehr Schulungen und Fortbildungen für bereits praktizierende Ärzt:innen wären daher dringend erforderlich", unterstreicht der Forscher.

Nicht besser steht es auch um das Wissen von psychologischen und therapeutischen Fachkräften. So berichten Transgender-Menschen in Grabovac’ Studie, dass sie Therapeutinnen und Therapeuten oft erst über mehrere Sitzungen erklären mussten, was der Begriff "Transgender" überhaupt bedeute.

In den qualitativen Interviews gaben aber auch Therapeutinnen und Therapeuten, die auf einer Liste für Expertinnen und Experten gerade für das Thema Geschlecht und Geschlechtsidentität empfohlen werden, durch die Bank an, in ihrer Ausbildung wenig bis gar nichts über dieses Thema erfahren haben. "Das ist ein Problem", sagt Studienleiter Grabovac.

Viel Zeit und Geld

Denn gerade zu Beginn der Behandlung komme den psychologischen Berufen eine besondere Rolle zu: "Sie fungieren als Gatekeeper." Nach den Behandlungsleitlinien des Gesundheitsministeriums darf mit einer hormonellen Behandlung zur Geschlechtsanpassung – die auch als Vorbereitung auf chirurgische Eingriffe dient – erst begonnen werden, wenn drei positive Stellungnahmen vorliegen, und zwar aus psychiatrischer, klinisch-psychologischer und psychotherapeutischer Sicht.

Für Transgender- und nichtbinäre Personen bedeutet dieses Einsammeln von Stellungnahmen nicht nur einen zeitlichen, sondern auch einen hohen finanziellen Aufwand. Denn während die geschlechtsanpassende Behandlung ab der Hormontherapie von den Krankenkassen übernommen wird, müssen fast alle anderen Vorleistungen aus der eigenen Tasche bezahlt werden. "Das kann in hohe vierstellige Eurobeträge gehen", sagt Grabovac.

Der dreifache Konsensbeschluss sei überdies international unüblich. "Es gibt ihn so nur in Österreich." In anderen Ländern reiche ein Gutachten aus einer der drei Fachrichtungen beziehungsweise werden TN-Patientinnen und -Patienten mittlerweile so wie in Dänemark in Zentren von multidisziplinären Teams betreut.

Veralteter Leitfaden

Grabovac sieht für den Behandlungsleitfaden aber auch aus anderen Gründen einen dringenden Überarbeitungsbedarf, da er sowohl vom Wording als auch inhaltlich veraltet sei. So werden etwa im neuen Update der von der Weltgesundheitsorganisation herausgegebenen "Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme 11" (ICD 11) Transgender und Nonbinarität nicht mehr als eine psychisch bedingte Störung namens "Transsexualität" klassifiziert, so wie das noch im aktuellen Behandlungsleitfaden passiert.

Im ICD 11 firmieren die diversen Geschlechtsidentitäten nun als sexuelle Störungen unter der Diagnosecodierung Geschlechtsinkongruenz. Im amerikanischen Diagnosemanual DSM 5 Geschlechtsdysphorie. Für Grabovac stellen diese Umstellungen "einen Schritt in die richtige Richtung" dar.

Denn damit werden Transgender- und nichtbinäre Identitäten entpathologisiert und auch begrifflich als natürlich vorkommende Phänomene auf eine Ebene mit dem Begriff "Schwangerschaft" gesetzt. Grabovac: "Auch Schwangerschaft ist eine medizinische Diagnose. Aber sie ist keine Krankheit." (Norbert Regitnig-Tillian, 1.12.2023)