Familie mit zwei Kindern sitzt am Tisch, die Mutter schneidet den Truthahn auf, im Hintergrund ein Weihnachtsbaum
Die brave Mutti, die ihrer perfekten Familie das perfekte Essen serviert. Dieses Bild entspricht nicht der Realität - und sollte es auch nicht.
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Man wünscht sie sich so, oder? Die sanfte, freundliche, duftende Zeit vor Weihnachten. In der niemand etwas muss, außer auf Ruhe zu achten und sich den Liebsten zu widmen. Hier ein kleiner Ausflug auf den Weihnachtsmarkt. Dort ein paar Kekse. Adventkranz und Co flattern wie von Zauberhand in die Wohnung, das Weihnachtsmenü plant sich von selbst.

Noch fünf Wochen ...

Problem: Die Zeit vor dem Heiligen Abend fällt jedes Jahr aufs Neue eher ungünstig in Kombination mit den Aufgaben, die daherkommen. Ausgerechnet in der Orange-und-Zimt-durchdrungenen besinnlichen Phase des Jahres geht der Alltag weiter, plus Bonusaufgaben. Alles muss noch ins alte Jahr gepackt werden. Deadlines überbieten sich an Dringlichkeit, jeder Versuch zu prokrastinieren, um ein wenig innehalten zu können, wird von einer Panikattacke vereitelt.

Ja, doch, es gibt sie, die gutgemeinten Listen, an die man sich halten könnte. Wäre gescheit, wenn man das täte. Fünf Wochen vor Weihnachten wird da geraten, dass Adventkränze nun am besten selber gesteckt werden. Wunschzettel für alle könnten schon angelegt werden. Auch Fotogeschenke sollten schon bestellt werden. Man verbrät bei Letzterem dabei aber Unsummen an Stunden mit dem Löschen und Favorisieren von Bildern. Um irgendwann den Hut draufzuhauen. Weil, was nehmen? Auch das heurige angefangene Fotobuch wird in einen Ordner für später geschoben, zu den anderen der letzten Jahre. Man hört sie leise weinen.

Die Omis und Tanten erschlagen die Kinder mit Adventkalendern, fünf Stück sind es diesmal. Die Kinder streiten sich aber um den einen mit den Erdnussbuttercups. Die anderen stehen bis Jänner herum, unangetastet, und ja, man hätte sie spenden sollen, wenn man auf die Idee gekommen wäre.

Noch vier Wochen ...

Vier Wochen vor Weihnachten kommt der Heilige Nikolaus daher, out of the blue am 6. Dezember. Ins Zuhause, dem mit den abwesenden Süßigkeitensackerln. Verzweifelte Dinge passieren gegen 19 Uhr, wie alte Socken bemalen und einen Wattebart draufpicken, gefüllt wird das mit Süßigkeiten von der Tankstelle. Nikolo-Sportgummis und die berühmten scharfen Krampus-Fisherman’s-Friends. Chips. Eine Zitrone, Mandarinen gab’s nicht mehr. Aber wie lustig, wenn man die zuckert und dann ableckt! Supermama = ich.

Beim Diskonter sind Adventkränze im Abverkauf, sehr gut. In der Zwischenzeit sorgen die Schulen dafür, dass im Dezember unbedingt zu den Schularbeiten jede Woche noch jeweils der eine Test dazukommt, mit dem keiner gerechnet hat. Was macht die Mami, statt Kekse zu verzieren? Sie ackert mit dem Kind Themen durch wie "Ethik aus der Sicht von Corona-Schwurblern", übt Buchnacherzählungen für Die verlorene Ehre der Katharina Blum. Dazwischen Vokabeln und Zeiten in allen Sprachen abfragen, auch in Deutsch. Immerhin, man erfreut sich gemeinsam an dem Wort Plusquamperfekt. Es klingt so, wie ein Guglhupf aussieht. Den zu backen man im Übrigen nicht dazukommt. Dazwischen ein Glücksmoment: Die Schulen machen Adventmarktausflüge mit den Kindern. Punkt abgehakt.

Noch drei Wochen ...

Drei Wochen vor Weihnachten schaut man sich enttäuscht beim Hinterherhinken zu. Die besinnlichen Adventsonntagnachmittage werden mit Mikrowellenpopcorn bestritten. Dazu kommen Adventtreffen der Sport- und Elternvereine sowie Weihnachtsfeiern der Auftraggeber. Freunde wollen einen noch schnell vor Weihnachten sehen, und man fragt sich: Wo warst du im August? Da war kein Schwein da, es war fad, ich sah gesund aus, ohne Augenringe! Gekaufte Geschenke: wenig. Dann wird noch ein Kind krank. Oder beide. Verreisen wäre schön.

Noch zwei Wochen ...

Zwei Wochen vor Weihnachten trudeln Grußkarten ein. Wiederkehrende Scham darüber, dass man schon wieder nicht die Idee hatte, welche zu verschicken. Bei den Eltern stapeln sich immer zig Karten auf dem Kaminsims. In den Billetts stehen kleine Nachrichten wie: "Ach, wie die Zeit vergeht! Erinnert ihr euch noch an den Ausflug nach Kleinzell vor acht Jahren? Das ist mein Enkelsohn!" Darunter ein Foto eines Siebenjährigen im lustigen Weihnachtspulli und in Strumpfhosen, dessen Augen einem den Tod wünschen.

Man schwatzt der Nachbarin Weihnachtskekse ab, die sie von einer Meisterin gekauft hat. Ein halbes Kilo kostet ein Auto, ein ganzes Kilo ein Haus.

Die Kinder werden getröstet wegen ein paar der weniger gelungenen Arbeiten für die Schule. Kann man alles ausbessern, im Jänner dann, der so tut, als wäre er in drei Jahren. Für die bessere Stimmung lässt man durchsickern, dass das Christkind sich heuer ja etwas Besonderes überlegt hat. Spannend, was genau das sein soll. Hätte man doch im Oktober dieses eine Brettspiel gekauft, das alle so hypen. Ist jetzt ausverkauft. Geschenke müssen her, die Lebensfreude und Kraft geben. Ein Pferd! Wird die Hausverwaltung nicht wollen.

Noch ein paar Tage ...

Am 21. Dezember werden endlich Listen mit Geschenkideen entsteißt. Zählt man die möglichen Kosten zusammen, ist die Entscheidung: entweder für einen Monat mit Sicherheit die Miete zahlen können oder ein großzügiges Weihnachten für die anderen. Man beschließt, sich zu vertrauen. Einfach losgehen und sich inspirieren lassen. Sparsam sein, nur das kaufen, was Sinn macht und angemessen ist. Kleinigkeiten ist die Devise. Großer Fehler.

Man hat dann neue Schuhe, die man sich einfach verdient hat. Ein paar T-Shirts. Sieben Bücher, drei davon für die anderen. Dafür gab es Mengenrabatte für Streuer mit goldenem Salz drin oder goldenem Pfeffer. Zehn pro Sorte wurden gekauft. Eine Masche wird drum herumgebunden mit Gutscheinen, um (so wichtig!) Zeit zu schenken. Wenn die Oma jemals auf die Idee kommt, all die Ausflüge zusammenzuzählen, die ihr versprochen wurden, kommen wir kumuliert auf ein halbes Jahr Nepal.

Der finale Countdown

Am 22. Dezember wird hysterisch bestellt. Die Finger brüllen schier die gewünschten Sorten der Trzesniewski-Brötchen in die Tasten, damit am Heiligen Abend irgendetwas auf dem Tisch steht, falls wieder alle die Zuteilungen missverstanden haben und keiner etwas fürs Raclette mitbringt. Außer der Opa zwei Kilo Kartoffeln und 500 Gramm Käse, der bei Hitze hart bleibt. Am 23. Dezember bestimmt man ein Zimmer der Wohnung, wo alles reingestopft wird, was nicht mehr verräumbar ist. Dieses bleibt dann bis Ende Februar so. Beim Diskonter wird der Einkaufswagen vollgeräumt, als ginge es nicht um 2,5 Tage, sondern um einen Monat überleben. Und wie jedes Jahr ist dann auch noch die eine Weihnachtsfeier, für die man kaum mehr Kraft hat, aber auf die man echt gern geht. Daher gehört Kopfweh zum Heiligen Abend.

Am Heiligen Abend

24. Dezember, Jingle Bells. Man schickt die Kinder um einen Baum, angeblich sind sie billiger am gleichen Tag. Stimmt nie. Sie nehmen einen krummen, weil der arm ist. Dafür haben sie ein Christbaumkreuz gratis dazubekommen, wiederverwendbar im nächsten Jahr. In der Garage lagern davon bereits acht Stück. Dann ist es Mittag, und die Familie trudelt ein. Geheim schaut man die Leute durch, ob man eh an alle gedacht hat. Der Baum wird traditionell ausgelacht und dann mit Rührung geschmückt. Die Schwester hat Kerzen mitgebracht. So klug. Man ist dankbar.

Und es stellt sich Freude ein. Weil man zusammen ist. Weil zumindest irgendetwas geschafft wurde. Jetzt kann man nichts mehr tun, niemanden mehr erreichen, nichts mehr herumreißen. Es wird auf magische Weise zauberhaft, weil es nun doch netter ist, als man dachte, dieses Weihnachten.

Schöne Adventzeit. Ein Hinweis: Bitte bringen Sie beruflich selbstständigen, gar alleinerziehenden Müttern immer, immer Kekse mit. (Heidi List, 3.12.2023)