Der Vorsitzende der Produktionsgewerkschaft Proge, Reinhold Binder, zeigt auf ein Plakat seiner Gewerkschaft mit der Aufschrift
In den Betrieben wächst der Unmut, sagt Metallgewerkschaftschef Reinhold Binder. Er hofft auf die konstruktiven Kräfte in der Industrie.
Foto: Heribert Corn

Am Donnerstag um 11 Uhr beginnt die entscheidende, achte Verhandlungsrunde in der Metallindustrie. Gelingt kein Abschluss für die rund 130.000 Beschäftigten in der Metalltechnischen Industrie, kommen längere, womöglich unbefristete Streiks.

STANDARD: Seit neun Wochen wird in der Metallindustrie um Lohnerhöhungen gerungen. Haben Sie einen Plan B für die ultimative Verhandlungsrunde am Donnerstag?

Binder: Wir haben immer einen Plan. Die wirtschaftliche Situation ist unverändert schwierig. Aber nach den Abschlüssen rundherum, für die Brauer, die Bäcker und zuletzt die Beamten, da macht sich langsam ein Grant breit. Die Arbeitnehmer in der Metallindustrie fragen sich, verdammt noch einmal, warum gerade sie Arbeitnehmer der letzten Klasse sein sollen. Das ist ganz stark spürbar bei den Aktionen und Streiks in den Betrieben, das wird langsam ein Riesenauftrag.

STANDARD: Wie fangen Sie diesen Druck ab? Die Verhandlungen gehen weiter, und die Metallindustrie gibt sich davon bis jetzt völlig ungerührt.

Binder: Wir haben damit alle Hände voll zu tun in der Streikleitung. Denn die Arbeitnehmer und Betriebsräte werden teils heftig und persönlich unter Druck gesetzt. Teils marschieren Belegschaften gesammelt vor das Firmentor, weil sie im Betrieb nicht streiken dürfen. Man muss attestieren, dass dieser Arbeitskampf letztlich von den Arbeitgebern sehr gut vorbereitet wurde – alles unter der großen Überschrift "Standortschließungen und -verlagerungen". Der Arbeitsplatzverlust als Bedrohung ist allgegenwärtig. Aber wir lassen uns davon nicht beeindrucken. Die Arbeitgeber haben den Streik de facto bereits ausgerufen, bevor die Verhandlungen angefangen haben.

STANDARD: Inwiefern?

Binder: Weil sie von Anfang an gesagt haben, dass es heuer vielleicht krachen wird müssen. Sie haben also Streiks angekündigt, bevor wir zu verhandeln begonnen haben.

Proge-Chef Reinhold Binder am 2. November beim einem der ersten Warnstreiks.
An der Basis bei den Streikenden holte sich der Chefverhandler der Metallgewerkschaft, Reinhold Binder, Motivation und Rückendeckung für die Verhandlungen mit dem größten Metall-Fachverband, der Metalltechnischen Industrie.
APA/ROBERT JAEGER

STANDARD: Vorige Woche haben die Industrievertreter spitz angemerkt, dass sich da möglicherweise ein neuer Koch profilieren will. Mit Koch sind Sie gemeint als neuer Chef der Metall- und Produktionsgewerkschaft.

Binder: Das haben sie mir von Anfang an gesagt und unterstellt. Es gab Demütigungen, die prüfen mich jedes Mal aufs Neue. Beim ersten Termin haben sie von Anfang an gesagt, wir haben drei Termine zu je vier Stunden, und bis 8. Dezember wollen wir fertig sein. Ich bin trotzdem stolz, dass wir trotz dieser Prügel, die sie mir und uns zwischen die Beine hauen, bei jedem Termin in einen Verhandlungsmodus gefunden haben und wir ein Stück weitergekommen sind.

STANDARD:Sie waren auch nicht zimperlich, haben in einer Versammlung gesagt, die Arbeitgeber sollen mit ihren Einmalzahlungen "scheißen gehen". Das ist nicht gerade die feine Klinge.

Binder: Erdige Sager gab es schon immer bei KV-Runden. Da braucht niemand beleidigt zu sein. Denn wenn man vor 400 zornigen Monteuren steht, weil das Angebot bei 2,5 Prozent und einer Einmalzahlung liegt, dann wird auch die Ausdrucksweise einmal emotionaler sein dürfen.

STANDARD: Der Verhandlungsmodus, von dem Sie sprechen, bringt offensichtlich nicht viel. Die Positionen liegen weit auseinander – bei diesem Tempo brauchen Sie noch zwei Monate für einen Abschluss ...

Binder: Ja, das Delta ist noch immer sehr groß bei den von den Arbeitgebern gebotenen sechs Prozent. In den 8,2 Prozent, die in der Öffentlichkeit gepriesen werden, sind noch immer Einmalzahlungen drin, das akzeptieren wir nicht.

STANDARD: Was, wenn wieder nichts zustande kommt mit dem Fachverband Metalltechnische Industrie?

Binder: Ja, am Donnerstag und Freitag ist eine besonders wichtige Phase. Wir haben an diesen zwei Tagen mit allen sechs Metallbranchen Verhandlungen. Wenn uns mit der Metallverarbeitungsindustrie ein Abschluss gelingt, dann gelingt es mit allen. Ich bin mit allen Fachverbandsobleuten in engem Kontakt. Auch wenn sie sich nach außen unbeeindruckt geben: Die Streiks, der schärfste Arbeitskampf seit 40 Jahren, lässt niemanden kalt. Natürlich, es tut weh, wenn die Bude steht. Erst drei Stunden, dann acht Stunden und jetzt 24 Stunden, das macht im betrieblichen Ablauf einen Unterschied. Eigentümer und Kunden werden langsam nervös.

In einem Saal der Wirtschaftskammer stimmen die versammelten Gewerkschafter und Betriebsräte über die Verhandlungserfolge ab.
In den Verhandlungspausen erstattet das Verhandlungsteam rund um Proge-Chef Reinhold Binder (Mitte) und GPA-Bundesgeschäftsführer Karl Dürtscher (Zweiter von rechts), Bericht über den Verhandlungsfortschritt.
Heribert Corn

STANDARD: Die Gewerkschaft fordert 10,6 Prozent, also mehr als die 9,7 Prozent Inflationsabgeltung, und Sie wollen die bereits 2011 zerbrochene Globalrunde der gesamten Metallindustrie zusammenhalten. Das ist vielleicht zu viel auf einmal, oder?

Binder: Die Erwartungshaltung ist ganz klar, die Arbeitnehmer wollen eine zweistellige Erhöhung. Die Lohnquote allein ist nicht entscheidend. Die Arbeitnehmer sind extrem flexibel, stellen tagtäglich die hohe Qualität der Produkte sicher. Das soll alles nichts zählen, nur die Lohnquote entscheiden? Wohl nicht.

STANDARD:Vielleicht sollten Sie doch einen Teil als Einmalzahlung in Erwägung ziehen. Es ist ja nicht der Weltuntergang, wenn die zurückliegende Inflation nicht zur Gänze in Prozenten abgegolten wird. Eine dauerhafte Steigerung der Lohnsumme um elf Prozent ist im derzeitigen konjunkturellen Umfeld keine Kleinigkeit ...

Binder: Als wir auf die 10,6 Prozent heruntergegangen sind, war das nicht nichts. Und wir haben zusätzlich eine Modalität mit sechs Prozent plus 180 Euro Fixbetrag vorgeschlagen. Das bedeutet, dass die ganz oberen Einkommen unter der rollierenden Inflation blieben und nur die untersten darüber. Das wird eine Herausforderung, das noch hinzukriegen in den nächsten Stunden und Tagen.

STANDARD: Einmalzahlungen ignorieren Sie geflissentlich?

Binder: Ich sehe das nicht mehr ein, dass wir deswegen gegeißelt werden und ausgerechnet im öffentlichen Dienst, der Domäne des Finanzministers, ist das kein Thema. Aber unsere Arbeiter und Angestellten sollten nachhaltig auf Lohn- und Gehaltssteigerungen verzichten? Entscheidend ist die Verhältnismäßigkeit, es darf nicht der Großteil sein.

STANDARD: Die Beamten stehen aber nicht in Konkurrenz mit der Welt ...

Binder: Ob Lehrer, Bäcker oder Staatsanwalt: Entscheidend ist, was auf dem Lohnzettel steht. Arbeitnehmer ist Arbeitnehmer.

STANDARD: Von Sozialpartnerschaft ist da nicht viel zu spüren ...

Binder: Ich hoffe noch immer, dass sich die konstruktiven Kräfte durchsetzen. Aber es liegt nicht nur an uns. Wir sind da, wir verhandeln mit allen. Die Wirtschaftskammer hat sich ganz anders eingepeitscht. Die agieren branchenübergreifend abgestimmt. Es ist ja kein Zufall, dass man im Handel gestern bei sechs Prozent gelandet ist. (Luise Ungerboeck, 29.11.2023)