Drag Queen Kamilla Crazy White während eines Auftritts in Moskau im Jahr 2022.
Dragqueen Kamilla Crazy White während eines Auftritts in Moskau im Jahr 2022.
APA/AFP/ALEXANDER NEMENOV

Moskau – Der Oberste Gerichtshof in Russland hat die LGBTIQ-Community als "extremistisch" eingestuft und damit die Rechte schwuler, lesbischer und anderer queerer Menschen weiter massiv eingeschränkt. Die Richter stimmten am Donnerstag einem entsprechenden Antrag des russischen Justizministeriums zu, wie die Agentur Interfax unter Berufung auf das Gericht meldete. Das Vorgehen war etwa von Menschenrechtlern bereits im Vorfeld heftig kritisiert worden.

Demnach wurde entschieden, "die internationale öffentliche LGBT-Bewegung als extremistische Organisation anzuerkennen und ihre Aktivitäten in Russland zu verbieten". Unabhängige russische Medien wiesen nun darauf hin, dass die Richter nicht einmal klargestellt hätten, wer genau in ihren Augen der "LGBT-Bewegung" angehört. Dementsprechend waren auch die konkreten Auswirkungen der Regelung zunächst nicht bekannt. Queere Aktivisten, die bereits zuvor großen Repressionen ausgesetzt waren, befürchten, dass das Vorgehen der russischen Justiz vor allem darauf abzielt, sie in der Öffentlichkeit komplett mundtot zu machen, und weiteren Hass gegenüber Minderheiten schüren wird.

"LGBT-Propaganda" bereits verboten

Die englische Abkürzung LGBTIQ+ steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans-Menschen, intergeschlechtliche sowie queere Menschen – und das Pluszeichen oder das Sternchen sind Platzhalter für weitere Identitäten und Geschlechter.

Insbesondere seit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 geht Russland im eigenen Land massiv gegen gesellschaftliche Vielfalt vor. Bereits vor rund einem Jahr wurde ein Gesetz erlassen, dass so bezeichnete "LGBT-Propaganda" verbot - also faktisch jegliche positive Darstellung etwa von lesbischer und schwuler Liebe. Betroffen waren davon seitdem beispielsweise Beiträge in sozialen Netzwerken, aber auch Inhalte von Büchern, Filmen, Medien und Werbung. Bei Verstößen drohen hohe Geldstrafen.

Angst und Verunsicherung

Auch dieses Vorgehen hatte damals großen internationalen Protest ausgelöst - insbesondere, weil es zuvor schon ein Gesetz gab, das die Verbreitung queerer Inhalte unter Kindern und Jugendlichen verbot. Laut dem kremlkritischen Telegram-Kanal "Werstka" stiegen die Einnahmen, die der russische Staat durch Strafen wegen angeblicher "LGBT-Propaganda" erhielt, in den vergangenen fünf Jahren um das Achtzigfache an.

Die jüngste Entscheidung des Obersten Gerichtshofs sorgte unter queeren Menschen in Russland nun erneut für große Angst und Verunsicherung aufgrund der vielen offenen Fragen zu den konkreten Auswirkungen. "Welche Art von "LGBT-Bewegung" ist vom Obersten Gerichtshof verboten worden?", fragte etwa das unabhängige Nachrichtenportal "Meduza" - und antwortete dann selbst: "Wir wissen es nicht."

Verhandlung hinter verschlossenen Türen

Unter Berufung auf Anwälte schrieb das Medium, dass nun höchstwahrscheinlich alle Menschen in Russland gefährdet seien, die mit ihrer queeren Sexualität oder Identität offen umgehen. Kritisiert wurde zudem, dass die Gerichtsverhandlung gerade einmal vier Stunden dauerte und hinter verschlossenen Türen abgehalten wurde.

Die Rechtsunsicherheit führe dazu, dass sich viele queere Personen im Alltag verstecken müssten und damit in der russischen Gesellschaft unsichtbar würden, kritisierte die Sprecherin der Grünen für LGBTIQ und Menschenrechte, Ewa Ernst-Dziedzic, in einer Aussendung. "Das alles ist aber nur die Spitze des Eisberges. Seit Jahren schränkt Russland die Rechte der queeren Community ein. 2013 trat ein Werbeverbot für ,nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen' bei Minderjährigen in Kraft, 2022 wurde dieses Verbot auf alle Altersgruppen ausgeweitet. Nun verbietet dieses sogenannte ,LGBTIQ-Propaganda-Gesetz' jegliche LGBTIQ-Inhalte in Werbung, Medien- und Online-Inhalten, Büchern, Filmen und Theateraufführungen", so Ernst-Dziedzic.(APA, 30.11.2023)