Alkohol ist oft klar gegendert. Bier fehlt in keiner Männerrunde, Frauen sind häufig mit Wein- und Sektglas zu sehen.
Alkohol ist oft klar gegendert. Bier fehlt in keiner Männerrunde, Frauen sind häufig mit Wein- und Sektglas zu sehen.
IMAGO/Political-Moments

Ein Punsch auf dem Christkindlmarkt, Sekt bei der Weihnachtsfeier mit Kolleg:innen, zum Essen am Heiligen Abend eine gute Flasche Wein: Gesellige Anlässe im Advent sind oft selbstverständlich mit Alkohol verbunden. Wer picksüßen Punsch lieber in der alkoholfreien Variante wählt, muss mitunter auf "Kinderpunsch" zurückgreifen. "Alkohol zu trinken ist gesellschaftlich akzeptiert", sagt Ulla Schmidt, Mitarbeiterin bei der Steirischen Gesellschaft für Suchtfragen BAS in Graz. Internationale Vergleiche weisen Österreich als ein Land der Alkoholtrinker:innen aus. Die Global Alcohol Database der WHO listet Österreich beim Pro-Kopf-Alkoholkonsum der Bevölkerung ab 15 Jahren 2019 auf Platz vier – hinter Lettland, Tschechien und Litauen.

Emanzipierte Konsumentinnen

Zwar ist der Alkoholkonsum seit den 1970er-Jahren hierzulande rückläufig, dennoch trinken viele regelmäßig. Nur 16 Prozent der Frauen und zwölf Prozent der Männer leben laut Handbuch Alkohol abstinent oder fast abstinent. Frauen trinken zwar weniger und sind auch seltener alkoholkrank, dennoch haben sie sich den Männern angenähert. "Der relative Anteil der Frauen mit problematischem Konsum hat zugenommen. Ein Stück weit ist das möglicherweise ein Zeichen von Emanzipation. Frauen haben neue gesellschaftliche Bereiche erobert – und sich auch als männlich geltendes Konsumverhalten angeeignet", sagt Ulla Schmidt im STANDARD-Gespräch. After-Work-Drinks, Weinseminare oder Junggesellinnenabschiede mit jeder Menge Prosecco: Als Frau öffentlich – mehr als ein Glas – zu trinken ist nicht länger verpönt.

Frauen trinken zwar weniger und sind auch seltener alkoholkrank, dennoch haben sie sich den Männern angenähert.
Frauen trinken zwar weniger und sind auch seltener alkoholkrank, dennoch haben sie sich den Männern angenähert.
REUTERS

In sozialen Netzwerken haben sich Trends wie die "wine o'clock" etabliert: Nach einem langen und anstrengenden Tag greifen Frauen zur Weinflasche und schenken sich ein Glas ein – oft randvoll. In anderen Kurzvideos treten Userinnen mit Flaschen in den Händen vor die Tür und stoßen einen Lockruf aus – bis die liebste Trinkkumpanin mit Gläsern auftaucht. Alkoholische Getränke, so scheint es, sind immer noch klar gegendert. Während Bier in keiner Männerrunde fehlen darf, sind Frauen online häufig mit Wein- und Sektglas zu sehen. Darauf ist auch die Industrie längst angesprungen und vermarktet Rosé-Weine, Prosecco und Liköre für die "ladies night". Eine kürzlich veröffentlichte US-Studie zeigt, dass exzessiver Alkoholkonsum in der Gruppe der weiblichen Mittdreißiger im Vergleich zu den Neunzigern stark zugenommen hat. Die Studienautor:innen führen das unter anderem auf Marketingstrategien zurück, Alkohol als Mittel gegen Stress anzupreisen. Insbesondere für Mütter. #MommyJuice, so ein Hashtag in den sozialen Medien, meint oft Wein – Gelegenheit für eine Auszeit, wenn die Kinder endlich eingeschlafen sind.

Trinken gegen die Doppelbelastung

"Viele Frauen trinken Alkohol, um mit der Doppelbelastung durch Beruf und Familie umzugehen", sagt Ulla Schmidt. Oft kämen begleitende Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen hinzu oder auch traumatische Erlebnisse in der Kindheit. In die Grazer Beratungsstelle, wo Frauen 35 Prozent der Klient:innen ausmachen, würden Menschen kommen, die bereits mit spürbaren Problemen aufgrund ihres Konsums kämpfen. "Sie merken: Ich versuche aufs Trinken zu verzichten, und es gelingt mir einfach nicht mehr. Oder der Alkohol hilft nicht mehr dabei, im Alltag zu funktionieren, sondern verschlimmert alles nur noch", so Schmidt. Die Grenzen zwischen Alkoholmissbrauch und Alkoholkrankheit, die auch körperliche Entzugserscheinungen mit sich bringt, seien dabei fließend. "Die zentrale Frage ist immer: Welche Funktion hat der Alkohol in meinem Leben?", sagt Schmidt.

Nicht alle Frauen trinken, weil sie mit Stress und Überforderung kämpfen oder weil sie Traumatisches erlebt haben, das ist Nathalie Stüben wichtig zu betonen. "Viele Frauen fangen eben auch schlichtweg deshalb an zu trinken, weil sie dazugehören wollen und meinen, nur mit Alkohol könne man Party machen. Ich bin das beste Beispiel", sagt sie auf STANDARD-Anfrage. Stüben hat ein Buch über ihr Leben mit und ohne Alkohol geschrieben, sie bespielt einen Podcast und einen Youtube-Kanal. Auf ihrer Website bietet sie auch ein kostenpflichtiges Programm an, das dabei helfen sollen, mit dem Trinken aufzuhören.

In ihrem erfolgreichsten Video mit über einer Million Klicks erzählt die Autorin die eigene Geschichte: von ihrer glücklichen Kindheit voller Selbstbewusstsein, dem spannenden Job im Journalismus – und von den verkaterten Morgen, an denen sie nichts mehr wusste von der letzten Nacht. Für ihr Alkoholproblem habe sie sich früher sehr geschämt, sagt Stüben. Als sie dann – inspiriert von englischsprachigen Podcasts – mit ihrem eigenen Podcast "Ohne Alkohol mit Nathalie" und dem 30-Tage-Programm online ging, sei es "durch die Decke gegangen". "Ich habe ein Tabu gebrochen und einen Nerv getroffen", sagt Stüben. Auf ihrem Kanal erzählen regelmäßig Gäste – oft Frauen – von der eigenen Sucht und dem neuen Leben ohne Alkohol. Stüben trinkt heute keinen Tropfen mehr und will auch andere dazu bewegen. "Mich stört am meisten, dass wir mit Alkohol umgehen, als sei er ein harmloses Genussmittel. Mir ist aber wichtig, dass Menschen verstehen: Wir konsumieren da kein Genussmittel, sondern eine harte Droge", sagt sie.

Neue Nüchternheit

Stüben reiht sich ein zwischen andere junge Autorinnen, die in den vergangenen Jahren Bücher über ihren Bruch mit dem Alkohol geschrieben haben. Da ist etwa die ehemalige Schauspielerin Mimi Fiedler, die in "Trinkerbelle" von Schmerz und Schuldgefühlen und ihrem Leben als funktionale Trinkerin erzählt. Oder aber Food-Journalistin Eva Biringer, die nun auf Weinbegleitung auch beruflich verzichtet. "Anhand ihrer eigenen Geschichte möchte sie sensibilisieren: für die Gründe, die immer mehr Frauen viel zu oft zur Flasche greifen lassen, und für eine Gesellschaft, die nicht sehen will, was sie dazu treibt", ist im Verlagstext zu "Unabhängig. Vom Trinken und Loslassen" zu lesen. Im angloamerikanischen Raum landete Holly Whitaker mit "Quit Like a Woman" einen Bestseller. Die Autorin und Feministin kritisiert das Programm der Anonymen Alkoholiker als männerzentriert – und gründete schließlich ihre eigenes Onlinebusiness hin zur Nüchternheit.

Sie alle richten sich an die Zielgruppe der berufstätigen Frauen mit hoher Formalbildung, die in der zitierten US-Studie als Risikogruppe ausgewiesen werden. Zwischen Videos der "wine o'clock" mischen sich auf Instagram und Co längst auch Inhalte über Nüchternheit, alkoholfreie Weine und Spirituosen boomen. Besonders unter jungen Menschen nehme sie ein größeres Problembewusstsein im Umgang mit Alkohol wahr, sagt Psychologin Ulla Schmidt. "Konsum‐ und Rauscherfahrungen haben unter Schülerinnen und Schülern seit Beginn der 2000er‐Jahre deutlich abgenommen", ist dazu im österreichischen Handbuch Alkohol zu lesen. Insgesamt würde sich das Alkoholkonsumverhalten in Österreich "in Richtung Mäßigung" bewegen – wenn auch von einem sehr hohen Niveau aus.

Alkoholfreie Kreationen könnten auf dem Weihnachtsmarkt zumindest bald nicht mehr bloß Ausnahmegetränke sein. (Brigitte Theißl, 1.12.2023)