"Ich hab sofort gewusst, warum das jetzt passiert". In jenem Moment, als der Brief detonierte, sei es ihm blitzschnell durch den Kopf gegangen: "Das muss mit den Flüchtlingen zu tun haben", erinnert sich Pater August Janisch. Die Wucht der Explosion hatte ihm Knochen des linken Daumens weggesprengt.

Es war jener verhängnisvoller 3. Dezember vor 30 Jahren in der Pfarre in Hartberg. Janisch ist das erste Opfer des Briefbombenterrors. Eine Stunde später explodiert in den Händen der Moderatorin Silvana Meixner von der ORF-Minderheitenredaktion ebenfalls ein Brief. Sie verliert einen Finger. Drei Tage später wird dem damaligen Wiener Bürgermeister Helmut Zilk durch eine Briefbombe die linke Hand verstümmelt. Insgesamt 25 Briefbomben verschickte der später als Täter identifizierte Franz Fuchs aus Gralla bei Graz. Er hatte zudem drei Sprengfallen gelegt. Durch die Attentate wurden vier Menschen ermordet und dreizehn zum Teil schwer verletzt.

"Flüchtlingspfarrer" hatte man damals August Janisch genannt, weil er sich für die Aufnahme von flüchtenden Menschen aus dem Kriegsgebiet in Ex-Jugoslawien, engagiert und seine Pfarre im steirischen Hartberg als Anlaufstelle für humanitäre Hilfe ausgebaut hatte. "Mein Gott, heute 40-jährige können sich an das alles ja gar nicht mehr erinnern, wie die Zeit rinnt….", sagt Janisch am Telefon. Er lebt abgeschieden in seinem Zimmer im Stift Rein und kann momentan niemanden treffen: "Covid, es hat mich auch erwischt."

"Fuchs war sehr intelligent"

Die Wunden von damals sind natürlich längst verheilt, die Erinnerungen aber wach. "Mein zweiter Gedanke damals war: Egal, wo man ist auf der Welt, wenn man sich für Flüchtlinge einsetzt, ist man immer eine Zielscheibe, dann kann man immer eine Bombe bekommen."

Mittlerweile ist Milde eingekehrt. Der heute 81 Jahre alte Janisch, der seit 23 Jahren im Kloster in Rein lebt, versucht noch immer, Franz Fuchs zu verstehen.

Erstes Briefbombenopfer
Seine Sehkraft habe zwar nachgelassen, dennoch genieße er es, den Stiftswald in Rein bei Graz zu durchwandern, sagt Pater August Janisch.
Edith Ertl

"Es war schon bemerkenswert, wie sehr es diesem Franz Fuchs gelungen ist, ganz Österreich drei Jahre lang zu ängstigen. Er wollte zeigen, ich kann etwas tun, und keiner hindert mich. Aber ich sehe ihn heute nicht als Fremdenhasser. Er hat sich einfach eines Themas bemächtigt, das auch damals aktuell war: die Flüchtlinge. Ich glaube, wenn es damals eine Diskussion über Blauäugige oder den Adel gegeben hätte, hätte er sich auf dieses Thema draufgesetzt", glaubt Janisch im Rückblick. Fuchs sei mit viel Talent und Fähigkeiten ausgestattet gewesen, "die aber nicht gebraucht wurden".

"Ich habe kürzlich mit einem ehemaligen Maturakollegen von Fuchs gesprochen und der hat mir von der Mathematik-Matura erzählt, als Fuchs eine Antwort völlig konträr zur offiziellen Antwort gegeben hatte, aber davon nicht runterstieg. Die Prüfungskommission hat dann die Prüfung abgebrochen und die Frage mit der Uni Graz abgeklärt. Fuchs hatte recht. Er war also sehr intelligent, sehr talentiert, hat damit aber ganz offensichtlich nichts Positives damit anfangen können", sagt Pater Janisch.

Dokumente des Terrors

Auch in den folgenden Jahren in dessen Berufsleben habe er sich ganz offensichtlich auf die Seite gestellt gefühlt, weil niemand seine Talente erkennen wollte, sagt Pater Janisch. Mit einem gewissen Maß an Euphemismus versucht der Geistliche heute den Bombenterroristen Fuchs, in sein grundsätzlich positives christliches Weltenbild einzuordnen.

Der ehemalige Verfahrenstechniker Fuchs wollte damals seinem Prozess ferngeblieben. Immer dann, wenn er dennoch in den Saal geführt wurde, begann er lautstark "Nein, danke" zu brüllen. Darauf folgten meist rassistische Parolen. Immer wieder bezog er sich auf eine mysteriöse "Bajuwarische Befreiungsarmee", der er sich zugehörig fühlte.

Fuchs wurde im März 1999 zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Februar 2000 beging Fuchs in seiner Zelle Suizid. Er hatte sich mit dem Kabel seines Rasierapparates erhängt.

Heute, 30 Jahre nach dem Attentat in seiner ehemaligen Hartberger Pfarre, steht Hanisch, so empfindet er es, vor einer ähnlichen Situation wie 1993. Die Flüchtlingsfrage beschäftigt ihn noch nimmer: „Ich kann es einfach nicht verstehen, dass die Weltgemeinschaft Milliarden ausgibt, um zerstören und kein Geld da ist für Frieden oder Erhaltung des Klimas. Statt in den ärmeren Ländern zu helfen, schicken wir Gelder für Mauern und Zäune und Waffen."

Nun sitzt Pater Janisch in seinem Klosterzimmer über den zahlreichen Artikeln und Bildern von damals und versucht die Dokumente des Terrors der beginnenden 1990er zur ordnen. Für sich und die Nachwelt. (Walter Müller, 3.12.2023)