Intendantin Elisabeth Schweeger mit dem Programm – zum Start gibt’s einen 1000-stimmigen Chor, Conchita, Operette.
Intendantin Elisabeth Schweeger mit dem Programm – zum Start gibt’s einen 1000-stimmigen Chor, Conchita, Operette.
APA/BARBARA GINDL

Am 20. Jänner startet das Salzkammergut ins Jahr als Eu­ropäische Kulturhauptstadt 2024. Der am Montag präsentierte Programmkatalog listet über 300 Projekte für die kommenden zwölf Monate, darunter finden sich neben lokalen Initiativen und heimischen Künstlern (über 1000 hatten sich ­beworben) auch internationale Kaliber. Was kommt da auf uns zu?

STANDARD: In sieben Wochen beginnt das Kulturhauptstadtjahr. In den letzten Monaten wurde viel über Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit der Organisation berichtet, Gemeindepolitiker haben sich zerstritten. Sogar der Pfarrer hat aufgerufen, man möge sich vertragen. Ist den Menschen im Salzkammergut zum Feiern zumute?

Schweeger: Man kann nicht alle ­befriedigen, Kulturhauptstädte bergen einfach Erregungspotenzial in sich. Aber ich glaube, wir haben inzwischen viele Menschen in der Region überzeugt, und es sind sehr viele am Programm beteiligt. Das Ergebnis lässt sich sehen.

STANDARD: Die "Ischler Woche" schrieb von "Provinzposse" ...

Schweeger: Dem Kulturhauptstadtjahr wurden viele Themen wie die Parkplatzproblematik angekreidet, für die wir nichts können. Gegenstimmen finde ich wahnsinnig wichtig, an ihnen merkt man, ob man nachschärfen muss. Ich habe aber oft gehört, dass jemand sagte, er sei nicht informiert – aber hatte für den Infoabend zwei Wochen zuvor keine Zeit.

Drängend konkrete Themen: Die Ausstellung
Drängend konkrete Themen: Die Ausstellung "Acta Liquida" wird sich mit dem Traunsee, dessen Wasser und Fischen - sowie dem Klimawandel beschäftigen.
Jacqueline Korber WirLiebe, courtesy ECoC Bad Ischl Salzkammergut 2024

STANDARD: Haben Sie sich bei den Verantwortlichen der Ausgaben in Graz 2003 und Linz 2009 Trost geholt?

Schweeger: Ich brauche keinen Trost, sondern Informationen. In Linz hat man sich über die Erinnerungskultur im Programm schon genauso aufgeregt wie heute bei uns. Sie ist in Österreich nicht unbedingt auf starke Beine gestellt. Aber ich bin eher mit Städten wie Timișoara oder Novi Sad in Kontakt, die dieses Projekt kürzlich ausgerichtet haben, und mit Chemnitz, das es gerade vorbereitet. Man lernt, dass man nicht alle erreichen kann und immer einige dagegen sind. Etwa wenn ihre Einreichungen, wie bei unserem Open Call, nicht ausgewählt wurden. Hätte man mir 90 Millionen gegeben, hätte ich gerne alles umgesetzt.

STANDARD: Graz hatte 60 Millionen, Sie müssen mit 30 auskommen, um ein Jahr lang 23 Gemeinden zu bespielen.

Schweeger: Es war eine Herausforderung, aber die Regel lautet, dass Bund und Länder die Summe verdoppeln, die die Bewerber in den Topf geben. Es ist in diesen Zeiten auch schwieriger beim Sponsoring. Das Hauptproblem liegt aber darin, dass der ländliche Raum infrastrukturell nicht so gut aufgestellt ist wie der städtische. Viel passiert in ehrenamtlichen kleinen Vereinen, da muss man Strukturen erst aufbauen. Aber ich finde es gut, wenn man mal beweist, dass man auch mit wenig Mitteln Gutes hinbekommen kann.

STANDARD: War Ihnen diese Herausforderung bewusst, als Sie 2021 im ­fliegenden Wechsel von Stephan Rabl übernommen haben, der damals nach internen Querelen gehen musste?

Schweeger: Ich wusste, worauf ich mich einlasse. Aber ja, zwei Jahre mehr Vorlauf wären schön gewesen.

Als
Projekte mit Lokalbezug: Als "KunstQuartier Gmunden" wird die dortige Stadtgärtnerei ein Ort für zeitgenössische Kunst.
Rainer Hosch, courtesy ECoC Bad Ischl Salzkammergut 2024.

STANDARD: Kulturhauptstadtjahre richten sich an Einheimische wie Touristen. Welches Bild vom Salzkammergut wollen Sie aussenden?

Schweeger: Nicht ich als künstlerische Leiterin will was präsentieren, sondern die Menschen, die hier leben und arbeiten. Das Salzkammergut ist nicht gerade ein unbekanntes Terrain, es steht für Schönheit, Sommerfrische und Erholung. Aber es hat viel mehr – und dieses Mehr wollen wir formulieren.

STANDARD: Was ist dieses "Mehr"?

Schweeger: Kreative Lust. Es geht natürlich darum, zu zeigen, was man ist, aber auch, was an Möglichkeiten da ist, wenn man sich mit der Welt austauscht, Visionen von woanders reinlässt und überprüft, ob sie einen weiterbringen. Kulturhauptstädte sind ein Dialogsystem.

STANDARD: Ist das Salzkammergut zu bequem, was das Hereinlassen angeht?

Schweeger: Das glaube ich nicht, allein schon durch den Salzhandel und später den Tourismus. Trotzdem haftet dieser Region eine Lust an ihren Traditionen an. Festhalten ist verständlich, aber nicht förderlich, um eine Region in die Zukunft zu bringen. Die Arbeitswelt verändert sich, die Jugend hat andere Vorstellungen vom Leben ...

STANDARD: Was soll die heimische Bevölkerung in dem Jahr lernen?

Schweeger: Die Reflexion, was man mit dem, was man hat, noch alles machen kann. Wenn man das Handwerk, das es in der Region gibt, international vernetzt, weckt man etwa ein Potenzial zur Weiterentwicklung, sodass junge Leute vielleicht sagen: "Da hab ich berufliche Perspektiven, da bleib ich." Erstmals in 39 Jahren ist eine ländliche Region Kulturhauptstadt. Deshalb geht es auch darum, zu fragen, ob sie ein Möglichkeitsraum ist, ein Zukunftsraum, wo man anders leben kann als in der Stadt, aber trotzdem global vernetzt und am Puls der Zeit ist. Das Salzkammergut ist mit seiner Situation exemplarisch für viele ländliche Flecken in Europa und weltweit, die ein Problem haben mit Fachkräftemangel, nicht genügend gut ausgebautem öffentlichem Verkehr, Overtourism wie in Hallstatt. Wir haben bereits Impulse gegeben.

Für die Kulturhauptstadt 2024 werden keine großen Bauten errichtet - stattdessen kommt etwa der Kulturpavillon
Für die Kulturhauptstadt 2024 werden keine großen Bauten errichtet - stattdessen kommt etwa der Kulturpavillon "White Noise" an den Traunsee.
Land Salzburg: Otto Wieser, courtesy ECoC Bad Ischl Salzkammergut 2024

STANDARD: Welche?

Schweeger: Die ÖBB haben ihren Fahrplan ausgeweitet, sodass man bis nach Mitternacht in die Seitentäler kommen kann. Und gegen Tourismushotspots versuchen wir Pakete zu schnüren, was Wanderwege oder Heimatmuseen angeht, die eiligen Tagesreisen entgegenwirken. Der Programmschwerpunkt liegt zudem in den Nebensaisonen. Diese junge Truppe, die hinter der Bewerbung steht, hat sich ernstzunehmende Gedanken gemacht über ihre Region und deren Defizite.

STANDARD: Nach Linz09 fehlte im Kulturbudget in den Folgejahren Geld.

Schweeger: Man hat dort wahnsinnig viel in Infrastruktur investiert, wodurch Geld für die freie Szene abhandengekommen ist. Das wird hier nicht passieren, es gibt keine großen Bauten, nur Revitalisierungen wie das Lehár-Theater, denn der Leerstand ist erheblich. Wir können nur Impulse geben, Orte zu schaffen, wo Kreative sich entwickeln können. Und das müssen sie selbst machen.

STANDARD: Mitten ins Kulturhauptstadtjahr fällt ein Nationalratswahlkampf. Wollen Sie da hineinwirken?

Schweeger: Der Wahlkampf interessiert mich nicht. Kreative Köpfe bewegen die Welt, bauen Gesellschaft. Meine Hoffnung ist, mit Kunst Möglichkeitsräume aufzumachen, die zu richtigen Entscheidungen führen. (Michael Wurmitzer, 2.12.2023)