Kramer, die Daniela Iraschko-Stolz nach deren Rücktritt als Mentorin im Team vermisst, hat zunächst vor allem das Ziel, "Spaß" an der Sache und "ein Lächeln im Gesicht" zu haben.
EPA

Aufstehen, Krone richten, weiter weit springen – Sara Marita Kramer weiß, wie das geht. Anfang Februar 2022 war die Salzburgerin am Boden zerstört. Die damals im Weltcup überlegen Führende musste aus dem österreichischen Aufgebot für die Olympischen Spiele in Peking gestrichen werden – Corona-positiv, Medaillentraum perdu. Es folgten, wie Kramer sagte, "grausige Tage, schlaflose Nächte. Es war, wie einen Albtraum zu leben." Erwacht ist sie wenige Wochen später als Gesamtweltcupsiegerin – spätestens mit dem Triumph auf der Großschanze zu Lillehammer am 1. März 2022, ihrem 15 Einzelerfolg im Weltcup, schien Kramer wieder zu sein, was ihr rasanter Aufstieg versprochen hatte – die Skispringerin, die eine Ära prägen, in neue Dimensionen vorstoßen wird, die logische Nachfolgerin der japanischen Rekordweltcupsiegerin Sara Takanashi, quasi ein weiblicher Gregor Schlierenzauer.

Retour, nicht zurück

Dieser Tage ist Kramer nach Lillehammer zurückgekehrt. Am Samstag heben die Frauen auf der Normalschanze in die neue Weltcupsaison ab, am Sonntag geht es über den großen Lysgaardsbakken (jeweils 12 Uhr und vor den Männern, die um 16.10 bzw. 17 Uhr springen). Kramer, die vor 20 Monaten auf ebendieser Anlage zum bisher letzten Mal für sich selbst gesiegt hat, ist nicht einmal Mitfavoritin. Um auf das Podest zurückzukehren, muss sie sich erst selbst besiegen, Schritt für Schritt "und nicht die ganze Zeit im Hinterkopf haben, wie gut ich war".

Sara Kramer musste sich in der vergangenen Weltcupsaison mit nur zwei Podestplätzen bescheiden. Zum Sieg fand sie nicht zurück.
APA/AFP/JANEK SKARZYNSKI

In der Vorsaison wollte das nicht gelingen. Für Kramer reichte es lediglich zu zwei Podestplätzen und Rang 15 in der Gesamtwertung. Bei der WM in Planica schaute nur Rang zwölf auf der Großschanze heraus, auf der Normalschanze wurde sie gar nur 23. – Kramer stand bemüht lächelnd dabei, als Eva Pinkelnig ihre Freude über Silber herausschrie. Die Team- und Mixed-Team-Springen fanden überhaupt ohne sie statt. Der gebürtigen Niederländerin, damals erst 21 Jahre alt, wurden bereits Rücktrittsgedanken nachgesagt.

Die "alte Sara"

Zum Saisonstart einen Monat nach Kramers 22. Geburtstag sind die Gerüchte verstummt. Sie versichert, "voll motiviert" zu sein, ein bisschen mehr wieder die "alte Sara" zu werden. Neben dem überragenden Talent hatte diese vor allem die Lockerheit ausgezeichnet, mit der sie in der Saison 2019/20 ihre ersten Erfolge erzielte. Und die für ihr Alter bemerkenswerte Fähigkeit zur Selbstkritik. Als es bei der WM in Oberstdorf 2021 sowohl von der Normal- als auch von der Großschanze nur für Rang vier gereicht hatte, wollte sie nicht die tatsächlich schwache Jury oder Windpech dafür verantwortlich machen. Allein sich selbst schrieb Kramer die Misserfolge zu und erntete dafür mehr positive Kritiken, als ihr zweimal Gold hätten eintragen können.

Ehrlich bleiben

Die Ehrlichkeit zu sich selbst hat sich Kramer auch nach den schwierigen Zeiten erhalten. Sie sei wie getrieben gewesen, die Beste zu sein. "Ich will die Menschen inspirieren. Da mache ich mir viel Druck, darunter habe ich letzte Saison gelitten." Das Wissen, was im Prinzip möglich wäre, hat den Sprung aus der Krise nicht erleichtert. Dem Neuanfang kommt entgegen, dass nach dem Rücktritt von Erfolgscoach Harald Rodlauer in Bernhard Metzler ein neuer Cheftrainer am Start ist. "Bei frischem Wind kann man gut durchstarten."

Metzler hat das Handicap, bis auf Weiteres auf Eva Pinkelnig verzichten zu müssen. Österreichs Sportlerin des Jahres, die Titelverteidigerin im Weltcup, fühlt sich körperlich gegenwärtig nicht in der Lage, sicher auf hohem Niveau zu springen. Denkbar ist eine Rückkehr in Engelberg, der letzten Station vor der ersten "Vierschanzentournee" der Frauen, die am 30. Dezember im Garmisch-Partenkirchen startet, aber mit drei Schanzen auskommen muss, weil Österreich zwei Springen in Villach bietet.

Geduld gefragt

Als Vorspringerin ersetzen kann Pinkelnig vorerst eher Chiara Kreuzer als Kramer. "So ein Jahr geht nicht spurlos vorbei", sagt Coach Metzler über seine erfolgreichste aktive Springerin. "Da wird man auch in drei, vier Monaten nicht alles korrigieren können, was in den letzten eineinhalb Jahren in die falsche Richtung gegangen ist." An Kramers Potenzial zweifelt der 44-jährige Vorarlberger nicht, "aber man muss Geduld haben, speziell, weil es auch eine mentale Geschichte ist. Es wird nicht gleich durch die Decke gehen." (Sigi Lützow, 1.12.2023)