Ein Besuchermagnet im British Museum:
Ein Besuchermagnet im British Museum: "Elgin Marbles" heißen in Großbritannien die Teile des Parthenon-Frieses, die der schottische Adelige Thomas Bruce, siebenter Earl of Elgin, einst ins Land brachte.
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Was auch immer die Osmanen im Krieg gegen Venedig veranlasste, den einst für Athene als Göttin der Weisheit und des Krieges erbauten Parthenon als Munitionslager zu nutzen: Am 26. September 1687 schlug eine venezianische Kanonenkugel ein und löste eine Explosion aus, die das Monument teilweise zerstörte. Schon wenige Jahre später gelangten Fragmente mit Szenen der griechischen Mythologie über die damalige Kunstmarktmetropole Venedig in Umlauf und landeten so in Schatzkammern und Antikensammlungen. Dem schleichenden Abbau setzten die osmanischen Behörden nicht sonderlich viel entgegen. Stattdessen nutzte man das wachsende Interesse und begann, Tagespreise für den Zugang zu kassieren.

Auf dem Höhepunkt des Hypes an der Wende zum 19. Jahrhundert erteilte der regierende Sultan dem Botschafter des British Empire jedoch eine Sondergenehmigung, deren Folgen in einer ungelösten Debatte mündeten: Es geht um 56 marmorne Reliefs und Skulpturen im Bestand des British Museum, deren Rückgabe Griechenland seit Jahren so vehement fordert, wie sie das Vereinigte Königreich verweigert.

Geteilte Meinungen

Denn erwähnter Botschafter, der schottische Adelige Thomas Bruce, siebenter Earl of Elgin, ließ 15 Reliefs, etwa die Hälfte des damals noch erhaltenen Frieses sowie andere Fragmente entfernen und 1803 nach England transportieren. Über die Angemessenheit der als Rettungsaktion getarnten Aktion waren die Meinungen auch damals geteilt. Zu den schärfsten Kritikern ­gehörte Lord Byron, der diese Form des britischen Imperialismus in einem Gedicht anprangerte und Elgin als "Plünderer" bezeichnete. Die britische Regierung entschloss sich dennoch zu einem Ankauf.

15 Reliefs, etwa die Hälfte des damals noch erhaltenen Frieses sowie andere Fragmente entfernen und 1803 nach England.
15 Reliefs, etwa die Hälfte des damals noch erhaltenen Frieses sowie andere Fragmente entfernen und 1803 nach England.
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Im 20. Jahrhundert wuchs sich der Disput zu einem Politikum aus. Im übertragenen Sinne verlagerte sich der Kriegsschauplatz nach London, wie der jüngste Eklat belegt. Anfang dieser Woche ließ der britische Premier Rishi Sunak kurzfristig ein in London geplantes Treffen mit seinem griechischen Amtskollegen Kyriakos Mitsotakis platzen, da dieser in einem BBC-Interview erneut die Rückgabe der Marmorskulpturen gefordert hatte: entgegen einer Vereinbarung, das Thema nicht öffentlich anzusprechen, wie Downing Street erklärte.

Dabei ist diese Forderung ein alter Hut, mit dem Generationen von Regierungen befasst waren. Historikern zufolge soll Griechenland bereits nach der Erlangung seiner ­Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich 1832 erste Ansprüche deponiert haben. Der formelle Antrag erfolgte im Oktober 1983. Die Fronten haben sich schon vor geraumer Zeit verhärtet. Die Briten verweigern eine Rückgabe auch unter Verweis auf ein Gesetz von 1963, das eine Ausgliederung von Beständen aus dem Museum untersagt. Man habe "keine Pläne, daran etwas zu ändern", betonte Sunak in der Tradition der Konservativen schon vor Monaten.

Leihgabenmodell

Dem gegenüber stehen von Parteikollege George Osborne in seiner Funktion als Vorsitzender des Kuratoriums des British Museum geführte Verhandlungen mit Griechenland, bei denen es um ein Leih­gaben­modell geht: Im Austausch gegen Gastspiele antiker Artefakte aus dem Akropolis-Museum sollen Teile des Parthenon-Frieses aus dem British Museum in Athen gezeigt werden.

Rechtlich wären zeitlich befristete Leihgaben wohl auch ohne eine Gesetzesänderung möglich. Ende 2014 gastierte eine der Parthenon-Skulpturen sechs Wochen in der Eremitage St. Petersburg. Wie deren Direktor Michail Pjotrowski später ausplauderte, soll beim Transport jedoch ein Umweg gewählt worden sein, um eine nach europäischem Recht zulässige Beschlagnahme seitens der Griechen zu verhindern.

Skulpturen vom Parthenon im British Museum.
Skulpturen vom Parthenon im British Museum.
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Das auf musealer Ebene taugliche Leihgabenmodell birgt jedoch ein Dilemma. Denn mit einer Leihnahme würde Griechenland auch den Eigentumsanspruch der Briten anerkennen, der auf politischer Ebene seit Jahrzehnten bekämpft wird – auch von Premier Kyriakos Mitsotakis, der die Rückgabe im Vorfeld seiner Wiederwahl im Juni 2023 zum Thema seines Wahlkampfs machte.

Indirekte Schützenhilfe bekam er zuletzt aus Italien und in verhatschter Manier auch aus Österreich. Im März überließ Papst Franziskus Griechenland drei Parthenon-Fragmente aus der Sammlung der Vatikanischen Museen: als Geschenk an den Erzbischof von Athen und Griechenland, zeitgleich Oberhaupt der griechisch-orthodoxen Kirche.

Fragmente in Wien

Die Objekte, darunter der Teil eines Pferdekopfs von der Westseite des Parthenon, kamen, wie auch zwei Fragmente im Bestand des Kunsthistorischen Museums (KHM) in Wien, bereits im 18. Jahrhundert in private Antikensammlungen und von dort später in die Museen. Ihre Rückgabe war von den Griechen nie gefordert worden.

Wenige Wochen vor der Wahl besuchte der griechische Außenminister Anfang Mai seinen Amtskollegen in Wien. Beim gemeinsamen Pressetermin erwähnte Alexander Schallenberg "Fachgespräche über gegenseitige Leihgaben des Parthenon-Frieses". Dem Vernehmen nach soll das KHM von dieser Aussage etwas überrumpelt worden sein. Auf STANDARD-Anfrage stellt das Außenministerium das in Abrede und verweist auf Gespräche im Vorfeld. Denn von griechischer Seite sei deutlich gemacht worden, dass "die Frage der Parthenon-Fragmente im KHM" beim Treffen zu behandeln sei. Seitens der griechischen Botschaft in Wien war prompt von einer "Rückgabe" die Rede, die zu keiner Zeit je Thema war. (Olga Kronsteiner, 2.12.2023)