So golden der Herbst, da lockte noch einmal das Verhaltensmuster Wandervogel, ehe es kalt und ungemütlich wurde. Der RAV4 war dazu ein multipel talentiertes Reisemobil.
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"Heut, seh ich, will mir nichts gelingen; doch eine Reise nehm ich immer mit.“ Goethe, "Faust", Walpurgisnacht, Blocksberg

Sauber und aufgeräumt präsentiert sich das Interieur, ja, es gibt noch Knöpfe und Drehregler, und die Sitze sind eindeutig langstreckenfreundlich.
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1. Tag Sieben Uhr Abfahrt Wien, nach Naumburg via Passau. Tempo, Tempo, wir haben einen breiten Weg vor uns und noch viel vor. Derweil der RAV4 beladen wird, sinniere ich: Ist also doch gut, dass Toyotas SUV-Bestseller so gewachsen ist im Lauf der Zeit. Vier Personen mit Gepäck wären im ersten von 1994 schwer unterzubringen gewesen, 3,72 m kurz war der Dreitürer, 4,60 m sind es heute – und der Kofferraum schluckt dann grad so eben alles Reisezeugs. Kleines Rätselraten bei Navi-Zieleingabe – stets kommt die Antwort: keine Ergebnisse gefunden. Gut, dann eben per Handy. Wie sich dann rausstellt, ist das System gerade so eingestellt, dass es nur im Lande des jeweiligen Aufenthalts dort Ziele sucht/findet.

580 bis 1690 Liter Volumen bietet der Kofferraum auf - in der Praxis geht sich das herbstliche Reisezeugs für vier gerade so aus.
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Gestreckter Galopp auf freier deutscher Autobahn ergibt: vmax laut Tacho 195 km/h, laut Hersteller 180. Dass der RAV4 darauf nicht vordergründig ausgelegt ist, zeigt sich in Kurven, wo das Fahrwerk schon mal flattrig wirkt - und die Windgeräusche werden bei dem Tempo lästig. Prinzipiell aber fährt er sich hochkomfortabel, die Sitze drücken und zwicken auch auf der Langstrecke nicht, hinten lässt sich die Lehnenneigung verstellen. Nachmittags Ankunft Naumburg, Hotel beziehen und gleich rauf zum Dom, zu Ekkehard und zur berückend schönen Uta, dann noch rüber zum Nietzschehaus.

Naumburger Dom: Die Stifterfiguren von Ekkehard II., Markgraf von Meißen, und seiner Gemahlin Uta stammen aus der Mitte des 13. Jahrhunderts. Die Dame ist von berückend zarter Schönheit.
Foto: Wikipedia / Alexander Hörnigk

2. Tag Rauf zum Reisehauptquartier Quedlinburg, Fahrt durch goldenen Herbst. Annäherung über Freyburg, Memleben, Nebra, Kyffhäuser, Stolberg. Die Gegend um Freyburg ist liebliches Winzerland, ein klein wenig Wachau, Zentrum des Weinanbaugebiets Saale-Unstrut, immer noch ein Geheimtipp – die Weine, die Stadt. Turnvater Jahn verstarb hier 1852. Die Rotkäppchen-Erlebniswelt (Sektkellerei) wäre zu besichtigen, hat aber noch zu.

Freyburg mit Blick auf Schloss Neuenburg, eine Art Wachau an der Unstrut. Die Rotkäppchen Sektkellerei wäre zum Beispiel hier zu finden.
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Auf zum ersten Kaiser-Reise-Berührungspunkt, Pfalz Memleben, der große Otto starb hier 973, 7. Mai. Sein Herz ist verschwunden? Wir lernen: Damals hatten Politiker noch eines.

Pfalz und Kloster Memleben aus dem 10. Jahrhundert, heute eine Ruine. König Heinrich I., genannt "der Vogler", starb hier 936 - sein Sohn Otto I. im Jahr des Herrn 973.
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Jedenfalls, Genius loci gespürt, weiter zur Arche Nebra, das Himmelsscheiben-Museum liegt gleich ums Eck. Immer noch eine Sensation, diese erste konkrete Himmelsdarstellung der Welt, ganz ohne Mythos – andererseits wieder: eh typisch deutsch. Wissenschaftlich-sachlich, technisch, rational.

Das Original der Himmelsscheibe von Nebra befindet sich im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle an der Saale. Bei Nebra selbst widmet sich die gut besuchte "Arche Nebra" - der Bau ahmt die Himmelsbarke auf der Scheibe nach - dem Fundkomplex. Das Museum ist unbedingt eine Visite wert, schon der Aura des Ortes wegen. Am Areal wird übrigens gerade umgebaut.
Foto: EPA

Der Rest des Tages wird kurvig, was Insassen oft zur "Reisekrankheit" treibt, doch final wird bescheinigt werden, der RAV4 lasse sich so sanft pilotieren, dass niemandem übel wurde. Rasch noch zu Kaiser Rotbart, Kyffhäuser-Denkmal, vorbei am Bauernkriegsmuseum mit Werner Tübkes monumentalem Panoramabild in Bad Frankenhausen, Sie wissen schon, die Sache mit Luthers Ex-Kumpel Thomas Müntzer, dann zur Fachwerk-Schmuckschatulle Stolberg, Müntzers Geburtsort, einst reiche Bergbaustadt. Merseburg, Otto-Reisestation (1. Mai, Christi Himmelfahrt, zum Hoftag trifft eine arabische Delegation verspätet ein – die japanische Kutsche schafft es nicht einmal 2023) und Zaubersprüche? Zeitlich leider nein.

Hier im Kyffhäuser schläft der Legende nach Kaiser Friedrich I. Barbarossa (1122 bis 1190) und harrt seiner Rückkehr. 1896 wurde das monumentale Kyffhäuserdenkmal eingeweiht.
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3. Tag Harz-Tag. Rauf nach Schierke, dort per Harzer Schmalspurbahn – an der Dampflok sieht man, wie der Mensch auf "PS" kam – auf den Brocken vulgo Blocksberg, berühmt auch durch Goethens Walpurgisnacht im Faust. Oben begrüßt uns die Wilde Jagd, die Windsbraut, mit Regen und Nebel im Gepäck, verhext; kaum ist die Kärntner Grußbotschaft auszumachen: Dietmar Kaden und Markus Lackner haben dort eine Version des Pyramidenkogels abgeliefert. Deutschlands höchster Holzaussichtsturm, sommers erst eröffnet.

Die Brockenbahn fährt auf den höchsten Harz-Berg, den 1142 Meter hohen Brocken alias Blocksberg. Unter Dampf und mit reichlich Pferdestärken.
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Bei der Weiterfahrt nach Clausthal querharzein ergibt die Befragung der Hinterbänkler folgende Rangliste: Fußfreiheit war beim Seat Tarraco am besten, gefolgt von RAV4 und Mazda6. Größte und himmelblaue Holzkirche Deutschlands, tolle Mineraliensammlung (Geomuseum) in der TU, der hier geborene Robert Koch wäre noch zu erwähnen (mit der faden alkfreien Biersorte hat die Stadt indes nix zu tun).

Die Marktkirche zum Heiligen Geist aus dem frühen 17. Jahrhundert ist Deutschlands größte Holzkirche, gelegen in der Bergstadt Clausthal-Zellerfeld. Von hier stammt auch der berühmte deutsche Arzt Robert Koch.
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Und in Wernigerode mit seinem prachtvollen Fachwerkrathaus ist das Café Wien immer ein kalorienreiches Verweilen wert. Spritpreise liegen auf Niveau wie bei uns, der Verbrauch mit dem hohen unlimitierten Autobahnanteil pendelt sich bei 7,5 l / 100 km ein, das geht auch viel sparsamer. Leistungsreserven sind genügend da und abrufbar.

Das Café Wien im Fachwerkstädtchen Wernigerode - hier eine Aufnahme aus sommerlichen Tagen - ist immer eine Kaffeepause wert.
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4. Tag Ottos große Gründung Magdeburg, Teil seiner letzten Reise (Palmsonntagsfeier, 16. März 973). Erst einmal einem anderen Otto, dem von Guericke, die Aufwartung machen am Alten Markt. Man bedenke: Nur wenige Jahre nach dem Dreißigjährigen Krieg und der größten Einzelkatastrophe („Magdeburger Hochzeit“), verursacht durch die Kaiserlichen unter Tilly, regte sich schon wieder Erfindergeist.

Denkmal Otto von Guerickes neben dem alten Rathaus in Magdeburg aus dem Jahre 1907.

Luftdruck, Vakuum, quasi das energetische Gegenteil des Explosionsprinzips im Verbrennungsmotor: Man füge zwei Halbkugelschalen zu einer Kugel, pumpe die Luft raus und lasse an jeder Seite ein Gespann mit mehreren Pferden zerren – sie werden sie nicht auseinanderbringen. Leere Räume und ihre Kräfte.

In Otto von Guerickes Vakuumexperiment brachten etliche Pferdegespanne die Halbkugeln nicht entzwei. Die Replik ist im Kulturhistorischen Museum in Magdeburg zu sehen, das Original im Deutschen Museum in München.
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Die Replik der Halbkugeln ist im kleinen, feinen Kulturhistorischen Museum (KHM) ausgestellt, ebenso wie das Original des berühmten Magdeburger Reiters, der Kaiser Otto darstellen soll – dessen bescheidene Grabstätte sich im nicht minder berühmten Dom findet.

Und hier noch rasch der Magdeburger Reiter (1240), der Kaiser Otto den Großen darstellt. Das Original findet sich ebenfalls im Magdeburger KHM, die vergoldete Kopie auf dem Alten Markt, nur ein paar Schritte vom Guericke-Denkmal entfernt. Der Kaiser kommt also mit einer Pferdestärke aus.
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Hohlkugeln in Politik und Gesellschaft, das hatte noch ganz andere Folgen, ist aber ein anderes Kapitel. Rasch noch eine kleine Parade am Denkmal Fritz von Steubens in Magdeburg, dann endlich Rundgang in Quedlinburg.

Denkmal Friedrich Wilhelms von Steuben in Magdeburg. Ohne ihn wäre der US-Unabhängigkeitskrieg womöglich gescheitert, er reorganisierte George Washingtons Kontinentalarmee. Dessen wird alljährlich am dritten Samstag im September auf der Steuben-Parade mit großem Spektakel gedacht.
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Ein Juwel von einer Stadt, Ottos Vater Heinrich (der Vogler) liebte sie wie heute jeder, der herkommt. Otto hielt zu Ostern, am 23. März, noch einen glanzvollen Hoftag ab.

Klopstock-Haus in Quedlinburg (mit dem Zweisäulenportikus), links daneben das Feininger-Museum. In der Stadt weilte Kaiser Otto noch wenige Wochen vor seinem Tod.
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Und: Friedrich Gottlieb Klopstocks Geburtshaus steht hier, das hübsche Museum – mit Sonderausstellung über Dorothea Erxleben (1715–1762), die erste promovierte deutsche Medizinerin – gedenkt des Mitbegründers der Deutschen Klassik. Gleich daneben das Lyonel-Feininger-Museum, weltweit einziges nämlich, und auch Carl Ritter (1779–1859), nebst Alexander von Humboldt Begründer der wissenschaftlichen Geografie, stammt von hier.

5./6. Tag Abreise via Weimar und Erfurt zurück in die Heimat. Gehabt Euch wohl, Kaiser Otto! Fazit RAV4: prima Reisemobil, wohnlich, gastfreundlich. Gut aber, dass auf der Nach-Fahrt nicht mehr viel Gepäck dazukam. Telegramm Ende, mit Schiller: "Der eigentliche und ungeschmälerte Genuss einer Reise beginnt erst in dem Augenblick, in dem wir uns ihrer als etwas Vergangenem erinnern." (Andreas Stockinger, 2. Dezember 2023)

Wenn es Nacht wird in Erfurt: Domplatz mit dem Dom links und der Severikirche rechts.
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