Ungarn hat 2024 Großes vor. Wenn der EU-Staat im zweiten Halbjahr 2024 die Ratspräsidentschaft übernehmen wird, will es sich vor allem für einen raschen Beitritt der sechs Staaten in Südosteuropa einsetzen. In den vergangenen Jahren hat Ungarn nicht nur politisch – vor allem in Serbien und bei den serbischen Nationalisten in Bosnien und Herzegowina – politischen Einfluss gewonnen, ungarische Vertreter nehmen auch zentrale sicherheitspolitische Positionen ein, wie etwa ab 2024 das Kommando der Eufor in Bosnien-Herzegowina. Ungarn wird aber vor allem ein immer wichtigerer ökonomischer Faktor in der Region.

Ein Beispiel dafür sind die Investitionen im Telekommunikationsbereich in Albanien. Recherchen des STANDARD, gemeinsam mit der bulgarischen Plattform bird.bg, zufolge, erwarb das ungarische Unternehmen 4iG im März 2022 knapp über 80 Prozent der Anteile an Albtelecom und kaufte One Telecommunications. Im Jänner 2023 fusionierte 4iG dann die beiden Unternehmen. 4iG übertrug außerdem seine Anteile in Form einer Kapitalerhöhungseinlage an Antenna Hungaria, die teilweise im Staatsbesitz steht. Der ungarische Staat hat sich also in die albanische Telekommunikation eingekauft.

Blick auf Häuser in Kukes - eine Stadt nördlich von Tirana. 
Blick auf Kukes, 150 Kilometer nördlich von Tirana – Orbán will Ungarn zum zentralen Akteur in Mitteleuropa machen. Den Westbalkan sieht er als perfekten Verbündeten.
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Es gibt nur wenige Unternehmen in Ungarn, die in den letzten Jahren so viel staatliche Unterstützung und Aufmerksamkeit vom ungarischen Premier Viktor Orbán erhalten haben wie 4iG. 2021 kaufte man sich bereits in Montenegro ein. 4iG ist aber auch bei der deutschen Rheinmetall in der Verteidigungsindustrie beteiligt und an dem israelischen Satellitenunternehmen Spacecom. Nun will man ein Datenzentrum in Albanien aufbauen, nachdem man mit der Telecom Ägypten einen Vertrag über die Lieferung eines Hochleistungs-Unterseekabels abgeschlossen hat.

Insgesamt haben ungarische Unternehmen ihre Präsenz in der albanischen Wirtschaft in den vergangenen vier Jahren verdoppelt. So kaufte etwa die OTP Bank Anteile der französischen Société Générale und der griechischen Alpha Bank. Laut dem albanischen Wirtschaftsmagazin "Monitor" stieg im Vergleich zu 2018 der Wert ungarischer Investitionen um das beinahe 37-Fache.

Zentraler Akteur in Mitteleuropa

Mario Holzner vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche Wiiw meint, dass Ungarn sich vor allem in jenen Bereichen engagiere, wo man keinen großen technologischen Input brauche. "Man will zum regionalen Champion werden, es handelt sich um einen geoökonomischen Plan", so Holzner. Orbán will Ungarn zum zentralen Akteur in Mitteleuropa machen. Den Westbalkan sieht er als perfekten Verbündeten, weil es in der Region autoritäre Politiker gibt, denen Rechtsstaatlichkeit kein Anliegen ist und die nichts dagegen haben, einen illiberalen Block in Europa zu schaffen.

Investitionen dienen in dem Zusammenhang nicht nur dazu, Geld zu machen, sondern auch politische Netzwerke zu schaffen. Durch den Kauf der Telekommunikationsunternehmen wurde der albanische Markt jedenfalls de facto in ein Duopol zwischen 4iG und Vodafone umgewandelt. Die Wettbewerbsbehörde in Albanien hatte offenbar nichts dagegen. Bei genauerer Betrachtung erscheint jedoch der gesamte Verkaufsprozess merkwürdig.

Nach Recherchen des STANDARD und der Investigativjournalisten von bird.bg wurde One Telecommunications, die Nummer zwei auf dem albanischen Telekommunikationsmarkt, 2019 von bulgarischen Investoren in der Albania Telecom Invest AD (ATI) um nur 50 Millionen Euro der OTE, einem Teil der Deutschen Telekom, abgekauft. 2022 wurde One Telecommunications allerdings für über 120 Millionen Euro an 4iG weiterverkauft. Einer der bulgarischen Investoren, Elwin Guri, der aus Albanien stammt, erklärte, man habe die Netzabdeckung und die Qualität extrem verbessert. Zu den bulgarischen Investoren gehörten neben Guri auch Atanas Dobrew, damals CEO des bulgarischen Telekommunikationsunternehmens Vivacom.

Gemeinsame Sache

Aber auch Mariana Nikolowa Dimitrowa, die Frau des Vorstandsvorsitzenden von A1 Bulgaria, Alexander Dimtrow, war beteiligt, obwohl Vivacom und A1 Bulgaria Konkurrenzunternehmen sind. Die Dimitrows und die Dobrews kennen einander aber bestens. Das Who's who der bulgarischen Telekommunikationsunternehmen machte damit trotz der Konkurrenzsituation gemeinsame Sache bei dem Deal in Albanien.

Ungarns Präsident Viktor Orban hört Albaniens Ministerpräsident Edi Rama zu.
Viktor Orbán hört Albaniens Premierminister Edi Rama aufmerksam zu. Dieser zieht seit zehn Jahren die Fäden in Albanien.
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So wurde im Februar 2022 die Malvex Invest EOOD von Dobrew gegründet, um nach nur zwei Tagen 100 Prozent seiner Anteile an Mariana Nikolowa Dimitrowa, Dimitrows Frau, zu übertragen. Die Transaktion wurde mit rund neun Monaten Verspätung im bulgarischen Handelsregister eingetragen. Nach Angaben des zyprischen Handelsregisters wurde die Malvex Invest am 9. März 2022 Aktionär der Albania Telecom Invest (ATI) mit Dobrew als einzigem Investor, obwohl das Unternehmen bereits Frau Dimitrowa gehörte. Einen Tag später, am 10. März 2022, genehmigte dann die albanische Wettbewerbsbehörde den Verkauf von One Telecommunications an 4iG.

Profitabler Deal

Herr Dobrew und die Dimitrows fanden ganz offensichtlich den richtigen Zeitpunkt, denn der Deal mit den Ungarn war extrem profitabel. Die bulgarische Regulierungskommission für Telekommunikation hatte eigenen Angaben zufolge keine Informationen über die mögliche Beteiligung der Familie Dimitrow an der Investition in Albanien.

In Wien in der A1-Zentrale sieht man das Engagement der Dimitrows gelassen. Die Angelegenheit sei ein Privatinvestment, so A1-Pressesprecher Michael Höfler. Überdies habe man Vorwürfe von einem externen Auditor prüfen lassen. "Ein Verstoß gegen die Richtlinien von A1 erfolgte nicht, A1 ist in Albanien geschäftlich nicht aktiv. Das von externen Prüfern durchgeführte Audit hat bei der Beurteilung des beschriebenen Sachverhalts keinen Verstoß gegen geltende rechtliche und interne Compliance-Standards ergeben", so Höfler.

Nur wenn es eine Konkurrenzsituation gegeben hätte, wäre Dimitrow verpflichtet gewesen, das Investment zu melden. Überdies sei die A1 Bulgarien eine der "Landesorganisationen mit der besten Performance". Offen bleibt trotzdem, weshalb die Investition über Frau Dimitrowa, eine Innenarchitektin, erfolgte und nicht über Herrn Dimitrow selbst. Blickt man weiter zurück, so wird ersichtlich, dass A1 Bulgarien selbst eine interessante Unternehmensgeschichte hat.

Der Erwerb der früheren Mobitel in Bulgarien durch die Telekom Austria führte nachträglich zu einer "forensischen Sonderuntersuchung". Auffällig war vor allem, dass die Telekom Austria die bulgarische Firma zu einem viel höheren Preis aufkaufte als sie zuvor von ein paar Investoren erworben worden war. Allerdings stellten die Prüfer auch damals "keine Auffälligkeiten" fest.

Plötzlich viel wert

Vor der Telekom hatte das bulgarische Unternehmen dem russischen Oligarchen Michael Cherney gehört. Dieser fädelte 2002 mit dem österreichischen Unternehmer Martin Schlaff einen Deal um 800 Millionen Euro ein, den die Bawag finanzierte. Nach dieser "Zwischenlösung", die offenbar opportun war, um die Beteiligung des umstrittenen Cherney abzuwickeln, erwarb die Telekom Austria 2005 das bulgarische Unternehmen für 1,6 Milliarden Euro. In nur drei Jahren war das Unternehmen also um 800 Millionen Euro mehr wert geworden. Das erinnert an die plötzliche Wertsteigerung von One Telecommunications.

Erst jüngst waren übrigens die Affären um die Telekom A1 wieder ein Thema, weil der mittlerweile verstorbene Sektionschef im Justizministerium, Christian Pilnacek, in einem aufgenommenen und jüngst publizierten Gespräch in einem Wiener Innenstadtlokal die damaligen Interventionsversuche der ÖVP erwähnte. Die damalige Justizministerin Beatrix Karl sei 2011 unter Druck gesetzt worden, Ermittlungen gegen die ÖVP in der Causa einzustellen, sagte Pilnacek. (Adelheid Wöfl, 5.12.2023)