Eine Mandarine mit Blatt und eine geschälte Mandarine
Die Mandarine ist eine sehr beliebte Frucht im Winter und Stammgast im Nikolosackerl.
Getty Images/iStockphoto

Es war Anfang des 19. Jahrhunderts, als eine kleine orange Frucht ihren Weg nach Europa fand. Sie war weit gereist. Aus dem chinesischen Kanton wurde sie von Sir Abraham Hume nach England verschifft. Recht spät, könnte man sagen, denn die Mandarine gehört zu den ältesten Kulturpflanzen der Menschheit. Das erste schriftliche Zeugnis ihrer Existenz stammt aus dem zwölften Jahrhundert vor Christus. Und ihr Name verrät, dass sie vornehmlich die Frucht der Reichen war. Ein Mandarin war ein hoher Beamter im kaiserlichen China.

In England angekommen, dauerte es nicht lange, bis sich die Pflanze im gesamten Mittelmeerraum und in Nordafrika ausbreitete. Kein Wunder. Ihr Geschmack ist herrlich süß, frisch säuerlich und ein bisschen bitter. Ihr Duft, der in der Schale sitzt, wirkt stimmungsaufhellend. Ihr saftiges Fruchtfleisch ist vollgepackt mit wichtigen Vitaminen und Mineralstoffen.

Mama und Papa können beruhigt aufatmen, wenn die lieben Kleinen nach drei Kilo Schokolade und zweihundert Lebkuchen zumindest noch die Mandarine aus dem Nikolosackerl verdrücken. Und das ganz ohne Diskussion. Weil welches Kind mag keine Mandarinen?

Aber Moment mal. Ist das überhaupt eine Mandarine, über die wir hier sprechen? Oder handelt es sich um eine ganz andere Frucht, die nur so tut, als sei sie eine Mandarine? Höchstwahrscheinlich ja. Denn es sind falsche Mandarinen, die Kinder so lieben. Echte Mandarinen, und das ist das Problem, haben eine dünne Schale und sind schwer zu schälen. Das nervt. Vor allem Kinder. Außerdem enthalten Mandarinen viele Kerne, was auch Erwachsene nicht leiden können.

Im angewandten Kapitalismus war es nur eine Frage der Zeit, bis die Mandarine von einem kernlosen, dickschaligen Konkurrenten aus den Supermärkten vertrieben wird. So findet man heute in den Obstabteilungen fast nur noch Clementinen und Satsumas, die umgangssprachlich als Mandarinen bezeichnet werden. Aus botanischer Sicht sind sie eine Kreuzung aus Mandarine und Orange, die ungekühlt zwei Wochen lang genießbar bleibt, während die echte Mandarine schon nach wenigen Tagen Geschmack und Feuchtigkeit verliert.

Wenngleich viele junge Menschen den besseren Geschmack von Mandarinen gar nicht mehr kennen, sind Eltern dennoch froh, dass es zumindest die falschen Mandarinen gibt, die im Winter oft der einzige Vitaminlieferant für Kinder sind. (Nadja Kupsa, 5.12.2023)