Niken GT im Einsatz. Niken heißt "zwei Schwerter" und bei dem Gerät handelt es sich um Yamahas einziges nichtzweirädriges Motorrad.
Foto: Yamaha

2018 hat die Yamaha Niken ihr Debüt gefeiert und wurde seitdem schon ein-, zweimal auf öffentlichen Straßen gesichtet - angeblich, die Fotos sind teilweise sehr verschwommen. Aber diejenigen, die gelehrt sind, in der Wissenschaft der Motorrad-Anatomie werden sofort erkennen, dass es sich hier um kein typisches Exemplar handelt. "Zu viele Räder" hat sie, laut Experten.

"Zwei Schwerter" bedeutet Niken auf Japanisch, vermutlich eine Anspielung darauf, dass es sich hier um Yamaha‘s einziges nicht zweirädriges Motorrad handelt. Mittsuken hätte sie vielleicht eher heißen sollen, aber im Auge des Gesetzgebers reicht die Breite von 410 Millimetern zwischen den Vorderrädern nicht aus, um sie als mehrspuriges Dreirad zu klassifizieren. Warum also diese komische Konstruktion? Es gibt ja einige Roller mit einem ähnlichen System, die es einem erlauben, an der Ampel stehen zu bleiben, ohne die Füße absetzen zu müssen. Die Niken kann das allerdings nicht und fällt um.

Nicht, dass sie anderweitig für den Stadtverkehr gebaut wäre. Mit fast einem Meter Breite kommt man kaum zwischen stehenden Autos vorbei, ohne die Spiegel einzuklappen, was schwierig ist, da diese circa zwei Armlängen entfernt sind. Beim Parkplatzsuchen ist es auch die breite Front, die einen zwingt, sich weiter umzuschauen, wo man sonst hätte parken können.

Die Niken GT ist kein Wunder im Stadtverkehr - sie ist ein Meter breit und die Spiegel klappt man nicht so ohne weiteres ein.
Foto: Yamaha

Nein, laut Yamaha hat das dritte Rad am Wagen fahrdynamische Hintergründe und bietet mehr Grip auf der Vorderachse. Wo andere Winglets befestigen, die erst ab unheimlichen Geschwindigkeiten Dividende liefern, bringt Yamaha einfach mehr Gummi auf den Boden.

Extra Grip also. Dann muss die Niken sicherlich eine Rennmaschine sein, mindestens anderthalb mal so schnell in der Kurve und befähigt, legendäre Rundenzeiten aufzustellen. Eher nicht. Mit 270 auf der Waage ist sie um 50 Kilo heftiger als die Tracer 9, auf der sie basiert, und das extra Gewicht ist nicht unbedingt in Bodennähe montiert. Der Schwenkmechanismus der Frontgabel ist nicht nur schwer, sondern hat auch einen gewissen Widerstand, der den schnellen Richtungswechsel etwas verzögert.

Der neue 890-cm³-Motor leistet 115 PS.
Foto: Yamaha

Und wo das Kratzen der Fußrasten sonst ein Zeichen ist, dass man sich auch weit genug reinlehnt, ist es bei der Niken eine Warnung, dass noch genau zwei Grad Neigungswinkel übrig sind, bevor der Mechanismus bei 45 Grad nichts mehr hergibt. Ab dann würde sich das äußere Rad von der Straße abheben und die Existenzberechtigung der Niken wäre annulliert. Auch der neue 115 PS Motor mit nun 890 Kubik verleiht nicht den Eindruck eines Sportbikes, ohne per se inadäquat zu sein. In der MT09 gibt er ordentlich was her, hier muss man schon weit in den oberen Drehzahlbereich vordringen, bis sich am Tacho was tut.

Arbeitsplatz und Instrumentenblock des Yamaha-Dreiradlers. Bei hohem Tempo wirkt die Lenkung etwas instabil. Die Frontscheibe ist gegenüber der normalen Niken größer geworden.
Foto: Yamaha

Ein Tourer vielleicht? Schon eher. Auf der Autobahn ist sie aber auch nicht unbedingt zuhause. Beim Geradeausfahren bringt der extra Frontgrip genau gar nichts und bei höheren Geschwindigkeiten fühlt sich die Lenkung ein bisschen instabil an, die Fahrt wird ungemütlich, man kann sich nicht entspannen. Besonders nicht, wenn man zuschaut, wie die Tankanzeige immer schneller schwindet. 18 Liter bringen einen nicht übermäßig weit und das heißt, häufig Tankstopps einlegen, wo man von anderen Motorradfahrern komisch angeschaut wird.

Wahlheimat Landstraße

Auf kurvigen Landstraßen muss man sie fahren, wie alle Motorräder eigentlich. In dem Geschwindigkeitsbereich von circa 50 bis 100 fällt einem das extra Vorderrad kaum auf, was zu Problemen führen kann, wenn man sich zu nah an den Straßenrand begibt, die Reifen sind doch 20 Zentimeter von der Mittellinie entfernt. Aber man muss schon sagen, dass einem die zusätzliche Auflagefläche ein bisschen mehr Zuversicht verleiht. Ob das jetzt nur der Placebo-Effekt ist oder nicht, kann ich Ihnen nicht sagen.

Das Gimmick der Niken ist im Endeffekt ein Sicherheitsfeature. Auch wenn ein Vorderrad auf nasse Blätter kommt oder aus anderen Gründen ins Rutschen gerät, gibt’s immer noch das andere, um vielleicht einen Sturz vorzubeugen. Ob das in der Realität genauso funktioniert, wie in der Theorie, ist eine andere Frage. Wie oft touchiert man eine Glatteisfläche mit nur einem der Räder, während das andere auf trockenem Boden sitzt?

270 Kilogramm bringt das schräge Bike auf die Waage. Also immer gleich auf den Hauptständer stellen.
Foto: Yamaha

Und der Spaß ist natürlich nicht billig. Diese Parallelogramm-Konstruktion wird nicht unbedingt in geraumen Mengen produziert, was die Niken auf stolze 21.199 Euro bringt. Um den Preis noch halbwegs im Zaum zu halten, ist der Rest des Fahrzeugs nicht auf dem Niveau, das man von einem über 20-Riesen-Motorrad erwarten würde.

Um zum Beispiel die Navigation zu benutzen, braucht man die MyRide-Companion-App, deren Designsprache sehr an die frühen 2010er-Jahre erinnert. Den Tempomaten hielt ich anfangs für defekt, allerdings stellte sich heraus, dass er sich einfach nur weigert, im Gang drei oder drunter zu arbeiten, und der Quickshifter hat auch seine Eigenheiten. Zum einen ist er relativ langsam und kuppelt eine gute halbe Sekunde aus, zum anderen kann er zu jedem Zeitpunkt nur entweder nach oben oder nach unten schalten. Wenn beispielsweise die obere Hälfte der Kette gespannt ist, also gerade beschleunigt wird, kann er nur nach oben schalten. Etwas unpraktisch, wenn man gerade nach Beschleunigung sucht. Man muss zuerst so weit vom Gas gehen, dass die Motorbremse wirkt, bis er bereit ist, kürzer zu übersetzen.

Maximaler Neigungswinkel der Niken GT: 45 Grad.
Foto: Yamaha

Mit der Abschaffung der Niken-nicht-GT sind auch noch ein paar andere Goodies zur Standardausstattung dazu gekommen. Die Frontscheibe ist größer geworden und der sehr notwendige Hauptständer ist jetzt auch immer inkludiert. Standardmäßige Griffheizung scheint zu unterstreichen, dass man die Niken auch noch bis in die rutschigeren Monate fahren kann.

Dass das nicht viele Käufer überzeugen kann, ist klar. Ein fast schon groteskes Aussehen, mehr Masse mit höherem Schwerpunkt und über 20.000 Euro sind schon sehr viel verlangt für marginal besseren Front-Grip, den man nicht unbedingt ausnutzen kann. Ich kann mir kaum vorstellen, dass bei dem geringen Absatz auch nur die Entwicklungskosten rekuperiert wurden. Aber es muss respektiert werden, dass Yamaha immer noch innovativ ist, immer noch nach Verbesserungsmöglichkeiten sucht. Es wird nicht jedes Mal was dabei rauskommen, aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt. (Felix Pisecker, 3.12.2023)