Die "Hexe bei der Toilette für die Wal­purgisnacht" von Teresa Feodorowna Ries wurde bei ihrer mehrmaligen Verlagerung beschädigt.
TimTom/Wien-Museum

Nackt und mit gespreizten Beinen hockt sie da auf ihrem Felsen, mit wilder Mähne, aufmüpfigem Blick und verwegenem Grinsen, soeben im Begriff, ihre Zehennägel mit einer Gartenschere zu schneiden: die Hexe bei der Toilette für die Walpurgisnacht, 1895 lebensgroß aus Carraramarmor gemeißelt, von der damals gerade einmal 21-jährigen Teresa Feodorowna Ries. Dieser Inbegriff einer Hexe, der bislang nur vereinzelt in Ausstellungen zu sehen war, wird im Wien-Museum nun dauerhaft im Kapitel "Schönheit am Abgrund. Wien um 1900" gezeigt: Frisch restauriert von der Nasenspitze bis zur Zehenkralle, wurde sie über eine Teilrekonstruktion sorgsam von ihren historischen Blessuren befreit.

Warum die Skulptur überhaupt Schaden genommen hatte, war im Laufe der Jahre Teil ihres Mythos, lässt sich aber als Folge von Transporten erklären. Sie ist eines von insgesamt 1.700 Exponaten der Dauerausstellung, das mit einer außergewöhnlichen Geschichte verknüpft ist.

Aufpolierte Wasserwesen: Die Originalfiguren des Brunnens am Mehlmarkt (Neuer Markt) von Georg Raphael Donner.
Ebenso ein Highlight im neuen Wien-Museum sind die Originalfiguren des Brunnens am Mehlmarkt (Neuer Markt) von Georg Raphael Donner.
Birgit und Peter Kainz, Wien Museum

Diese beginnt an der Wende zum 20. Jahrhundert in Wien, wohin die einer wohlhabenden jüdischen Familie aus Moskau entstammende Bildhauerin Teresa Feodorowna Ries 1894 emigriert war. Zuvor hatte sie an der Kunstakademie in Moskau studiert, war jedoch aus disziplinären Gründen ausgeschlossen worden. In Wien blieb ihr der Zugang zur Akademie – wie allen anderen Frauen bis 1920 – verwehrt. Ries wählte den üblichen Weg und nahm Privatunterricht: beim Bildhauer Edmund Hellmer, einem der wenigen Künstlerhaus-Mitglieder, die 1897 als Gründungs­mitglieder der Secession den Bruch mit der Tradition propagierten. Gleich die erste Ausstellungsbeteiligung im Künstlerhaus im Frühjahr 1896 verhalf seiner Schülerin zum Durchbruch, genauer ihrer Hexe, die jedwedem Klischee von lieblicher Weiblichkeit trotze.

Eine Künstlerin, die in der "männlichen" Disziplin ihr Talent unter Beweis stellte, galt manchen, aber bei weitem nicht allen Zeit­genossen als Affront. "Als ich am Firnistage in die Ausstellungshalle kam, wurde ich gleich beim Eingang von Kollegen stürmisch begrüßt", erinnerte sie sich in ihrer 1928 publizierten Autobiografie. "Irgendjemand nannte dabei laut meinen Namen, und im selben Moment erscholl von der Stiege, die in den Saal hinaufführte, eine donnernde Stimme: 'Das ist die Ries?! Man sollte ihr den Eintritt verbieten. Wie kann sie sich unterstehen, aus einem edlen Marmor eine so scheußliche Fratze zu machen?!'"

Gigantisches Maskottchen: Die zehn Meter lange Walskulptur
Auch zu sehen: Die zehn Meter lange Walskulptur "Poldi" vom ehemaligen Gasthaus zum Walfisch im Wurstelprater.
Birgit und Peter Kainz, Wien Museum

Von "widerlicher Geschmacklosigkeit" war unter Kritikern die Rede, von "protzenhafter Rohheit", wohl "um von sich reden zu machen". Andere bewunderten "ihren geistreichen Humor und ihre sorgfältige technische Behandlung", die Skulptur sei die "Verkörperung des Hexenthums", so "verderbt und verloren!".

Anerkennung der Avantgarde

Die Avantgarde zollte Ries jedenfalls Anerkennung, bald schon waren ihre Arbeiten – auf Veranlassung von Gustav Klimt – in der Secession zu sehen. Es folgten Einladungen zu Weltausstellungen und zahlreiche Prämierungen. "Sie kann für die Plastik vielleicht noch das werden, was Charles Baudelaire für die ­Literatur bedeutet", schrieb Stefan Zweig voll des Lobes. Der Kunstmäzen Prinz von Liechtenstein überließ ihr auf dem Gelände des ­Gartenpalais ein Atelier.

Symbole der Gegenwart: Eine der 54 Wiener Ampelanlagen mit lesbischen, schwulen und heterosexuellen
Als Symbol der Gegenwart ist eine der 54 Wiener Ampelanlagen mit lesbischen, schwulen und heterosexuellen "Ampelpärchen" ausgestellt.
Birgit und Peter Kainz, Wien Museum

Die Zwischenkriegszeit bescherte dem Schaffen der Künstlerin eine Zäsur, insbesondere da Aufträge aus den Adelskreisen ausblieben. Gegen Ende 1921 traf sie eine Entscheidung, die Historiker bis in die Gegenwart beschäftigen sollte: Sie schenkte dem in Palästina geplanten jüdischen Nationalmuseum formal eine Gruppe von Werken, darunter die Hexe.

Kriegsjahre

Der Schenkungsvertrag wurde allerdings nie erfüllt. Es scheiterte an den hohen Kosten für den Transport nach Palästina, wiewohl sich Ries auch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Österreich um eine Lösung bemühte. In Palästina konnte oder wollte man die Kosten nicht übernehmen. Von den NS-Behörden mit Berufsverbot belegt, flüchtete die Künstlerin 1942 nach Lugano, wo sie 1956 verstarb.

Ihre Werke waren in Wien verblieben, zunächst in ihrem Atelier im Park des Liechtenstein'schen Palais, in dem eine SS-Einheit ­wütete. Was Bombentreffer nicht zerstörten, fand sich später auf dem Gelände eines Steinmetzbetriebes. Von Lugano aus hatte sich Teresa Feodorowna Ries nach dem Krieg um die Auffindung ihrer Arbeiten bemüht und in weiterer Folge 1946 den städtischen Sammlungen geschenkweise einige überlassen: vier Marmorskulpturen und ein Selbstbildnis.

Düstere Klassiker: Das Gemälde
Ein Klassiker im neu renovierten Bau: das Gemälde "Junge Mutter" aus dem Jahr 1914 des expressionistischen Malers Egon Schiele.
Birgit und Peter Kainz, Wien Museum

Eine rechtswirksame Schenkung, wie die Wiener Restitutionskommission nach eingehender Prüfung jüngst entschied. Der ursprüngliche Wunsch der Künstlerin bliebe ­damit unerfüllt.

Matti Bunzl, der Direktor des Wien-Museums, bringt als Historiker aber eine Option ins Spiel: die Dauerleihgabe der Skulptur Eva und des Selbstporträts an das Israel-Museum in Jerusalem, wo Teresa Feodorowna Ries gewiss neue Bewunderer finden würde. (Olga Kronsteiner, Katharina Rustler, 5.12.2023)