Eine weitere Messerattacke hat Frankreich heimgesucht – und Deutschland getroffen. Am Samstagabend ist ein 26-jähriger, der Polizei bekannter Mann, der sich in einem Video zum "Islamischen Staat" (IS) bekannt hat, unweit des Eiffelturmes mit einem Messer und einen Hammer auf Reisende losgegangen. Einem jungen Deutschen versetzte er auf der Brücke Bir-Hakeim zwei Messerstiche am Rücken und an der Schulter, worauf das Opfer einen Herzstillstand erlitt.

Video: Blumen und Blutspuren nach Messerangriff in Paris
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Wie Innenminister Gérald Darmanin berichtete, vermochte ein mutiger Taxifahrer den Angreifer fürs Erste zu stoppen. Als die Polizei eintraf, flüchtete der Täter über die Brücke, wo er einen 60-jährigen Franzosen und einen Briten mit dem Hammer verletzte. Dann wurde er von der Polizei mit vorgehaltener Pistole gestellt. Am Sonntag wurden drei weitere Personen aus seinem Umfeld festgenommen. Darunter sollen auch die Eltern des 1997 geborenen Täters sein, der sich in einem Video zum IS bekannt hat, wie die französische Anti-Terrorismus-Staatsanwaltschaft mitteilte.

Die Begleiterin des deutschen Opfers blieb unverletzt, stand aber unter Schock. Präsident Emmanuel Macron drückte im Namen Frankreichs allen Opfern sein Beileid aus. Laut Medienberichten hat Macron noch am Sonntagnachmittag ein Sicherheitstreffen einberufen. Am Abend wollte die Anti-Terror-Staatsanwaltschaft außerdem eine Pressekonferenz abhalten.

Die Schreckenstat erinnert an die Ermordung eines Lehrers in der nordfranzösischen Stadt Arras wenige Tage nach dem Angriff der palästinensischen Hamas-Miliz im Oktober auf Israel. Der Messerangreifer von Paris, dessen Name mit Armand R. angegeben wird, schrie ebenfalls "Allahu Akbar" und erklärte der Polizei, er wolle sich für Muslime rächen, die in Afghanistan und Palästina getötet würden. Dass in Afghanistan seit Monaten nicht westliche Soldaten, sondern Taliban-Kämpfer Tod und Schrecken verbreiten, überging er offenkundig.

Am Sonntag nach dem Anschlag wurden am Ort des Geschehens Blumen niedergelegt.
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Täter mehrfach unter Beobachtung

Der Polizei war Armand R. durchaus bekannt: Der offenbar sehr labile Mann hatte schon 2016, also wenige Monate nach dem Bataclan-Anschlag einen ähnlich umfangreichen Anschlag im Pariser Geschäftsviertel La Défense geplant. Dafür wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt. 2020 freigekommen, blieb er in psychiatrischer Beobachtung. Vor weniger Monaten soll er jedoch seine stabilisierenden Medikamente in Absprache mit seinem Arzt abgesetzt haben. Hingegen blieb er in der polizeilichen Radikalenkartei mit dem Zusatz "S" verzeichnet. Die "Fiche S" sind eine Kartei, in der tatsächlich und potenziell Radikalisierte erfasst sind.

Am Sonntag zirkulierte ein Bekennervideo mit einem Treueeid für die Jihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS). Terrorexperten sind sich allerdings nicht sicher, ob auf dem Kurzfilm wirklich der Täter zu sehen ist. Der Gefilmte war durch eine Sonnenbrille und eine Schutzmaske völlig unerkenntlich; auch sprach er perfekt und akzentfrei Arabisch. Das erstaunt bei dem Täterprofil, ist doch Armand R. iranischer Abstammung; geboren ist er in dem Pariser Nobelvorort Neuilly-sur-Seine.

Ob es sich um die Tat eines "einsamen Wolfes" handelte, wie es im Polizeijargon heißt, ist nicht nur deshalb zu bezweifeln. Laut dem französischen "Zentrum für Terroranalysen" (CAT) stand der Täter mit mehrere früheren Attentätern in Frankreich in Kontakt, so etwa dem "Enthaupter" des Geschichtslehrers Samuel Paty und dem Meuchelmörder des Priesters Jacques Hamel in der Normandie. Die Staatsanwaltschaft nahm am Sonntag auch die Eltern und die Schwester des mutmasslichen Täters in Beugehaft.

Sorge wegen Olympia

Diese Information gilt paradoxerweise als Hinweis, dass der Kreis der wirklich zur Tat schreitenden Attentäter in Frankreich kleiner ist als die Zahl der 10.200 S-Gefährder, von denen gut die Hälfte Islamisten sind. Trotzdem sorgt die erneute Häufung brutaler Messermorde in Frankreich für große Betroffenheit und Sorge. Ein Passant meinte am Sonntag bei der Brücke Bir-Hakeim in die Fernsehkameras: "Wir sind alle beunruhigt. Aber was wollen Sie, wir müssen auch leben." Ein junger Mann ereiferte sich: "Immer diese Jungen! Die Regierung muss endlich die schönen Worte vergessen und gegen diese Taugenichtse vorgehen!"

Der Sicherheitsexperte Claude Moniquet glaubt, dass der neuste Anschlag mit Absicht Touristen in der Nähe des Eiffelturms gegolten hatte, um "die Weltaufmerksamkeit auf sich zu ziehen". Dieses Attentat sei "nicht dazu angetan, die Besucher der wichtigsten Reisedestination der Welt zu versichern".

Wachsende Sorgen macht sich die französische Staatsführung wegen der olympischen Sommerspiele von Mitte 2024 in Paris. Der Tatort liegt an der über sechs Kilometer langen Strecke entlang der Seine, wo die dreistündige Eröffnungszeremonie vor hunderttausenden von Zaungästen stattfinden soll. Der ehemalige Chef der französischen Polizei, Frédéric Péchenard, drückte am Sonntag seine Sorge aus, dass die Feier zu ausgedehnt sei, um vollständig überwacht werden zu können. "Ich hoffe, dass die Regierung über einen Plan B verfügt, falls sich internationale Lage noch verschlechtern sollte", sagte er. Für eine Neuplanung der Eröffnungszeremonie am 26. Juli ist es jetzt wohl zu spät. (Stefan Brändle aus Paris, 3.12.2023)