Von welchen Medienmenschen wird man 2024 mehr hören? Lydia Ninz ist Geschäftsführerin der Beratungsinitiative Ajour – Arbeit für JournalistInnen, die arbeitslosen Journalistinnen und Journalisten bei der Suche nach neuen Berufsperspektiven hilft. Derzeit rollt eine Kündigungswelle durch Österreichs private Medienbranche, die vor existenziellen wirtschaftlichen Herausforderungen steht. Und sie wird, erwartet auch Ninz, weit ins Jahr 2024 rollen.

Lydia Ninz, Geschäftsführerin von Ajour
Bekommt 2024 bei der Beratung arbeitsloser Journalistinnen und Journalisten voraussichtlich noch mehr zu tun: Lydia Ninz, Geschäftsführerin von Ajour.
Ajour / Jacqueline Godany

695 arbeitslos gemeldete Medienmenschen

Eine Reihe von Medienhäusern kürzt bereits seit Frühjahr Jobs auch in den Redaktionen, zuletzt gab es selbst bei der den marktdominierenden "Krone" erste Gespräche über die Beendigung von Dienstverhältnissen. 695 arbeitslose Journalistinnen und Journalisten gibt es laut AMS derzeit. "Bei 5000 hauptberuflichen Journalisten und Journalistinnen sind das 14 Prozent, Tendenz steigend", sagt Ninz. Und sie betont: "Die Dunkelziffer ist viel größer, weil sich noch nicht alle Kündigungen beim AMS niedergeschlagen haben. Es wird in nächster Zukunft noch richtig krachen", fürchtet Ninz.

Diese Prognose sei "kein Wagnis", verweist Ninz auf "rückläufiges Werbevolumen, schwindende Käuferzahl bei den Bezahlmedien, steigende Preise für Papier, Energie, Zeitungszustellung und Gehälter kommen dazu". Größtes Problem für klassischen Qualitätsjournalismus sei aber aus ihrer Sicht, dass "immer mehr Menschen darauf verzichten" oder ihn nicht für glaubwürdig hielten und mit Meinungen auf Social Media das Auslangen fänden.

"Speziell in Österreich" sieht die Ajour-Geschäftsführerin eine weitere Schwierigkeit: "Die Medienförderung und die Inseratenpolitik der Regierenden differenzieren nicht wirklich zwischen Qualitätsmedien und sogenannten Krawallblättern." Ihr Befund über die österreichische Medienbranche: "Manche Medien verharrten zu lange im alten Geschäftsmodell, andere schafften es nicht, ihre digitalen Angebote zu ökonomisieren."

Wegen steigender Arbeitslosigkeit im Journalismus wurde Ajour vor sieben Jahren als gemeinsame Initiative von Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung, Presseclub Concordia und Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) gegründet. Das Arbeitsmarktservice (AMS) unterstützt die Initiative.

Lehrerinnen, Fremdenführer, Pflege, Hochzeitsberaterin

In den ersten sechs Jahren hat Ajour rund 500 arbeitslose Journalisten und Journalistinnen gecoacht, "knapp die Hälfte mit sofortigem Erfolg", berichtet Ninz: Knapp ein Drittel war danach weiter im Journalismus tätig, mit zwei Fünfteln landeten die meisten in der Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen oder Institutionen. Knapp ein Fünftel entschied sich laut Ninz für eine gezielte Weiterqualifikation, um sich selbstständig zu machen oder zu ganz neuen Ufern aufzubrechen: Manche wurden Lehrerinnen, Fremdenführer, arbeiteten in Museen oder im Pflegeberuf. Ein Kollege sattelte auf Fahrradmechatroniker um, eine Kollegin zur Hochzeitsberaterin."

"Egal ob man im Journalismus bleibt oder in die PR wechselt, eines hat sich gezeigt", beobachtet Ninz: "Handwerklich müssen sich Journalisten völlig neu aufstellen. Es ist einerseits faszinierend, welche Möglichkeiten sich heute eröffnen, mithilfe digitaler Tools, Datenjournalismus und international agierender Investigativplattformen." Mit dem Wiener Forum Journalismus und neue Medien (Fjum) bietet Ajour etwa einen Digitalkurs an.

"Für guten Journalismus braucht es eine ausreichende wirtschaftliche Grundlage, die derzeit von mehreren Seiten extrem gefährdet ist und die sichergestellt werden muss, auch im Sinne der Demokratie", umreißt Ninz die Branchenlage: "Angesichts der Flut an Informationen geht es beim qualitativen Journalismus mehr denn je darum, Facts von Fakes zu unterscheiden, Spreu von Weizen zu trennen, Dinge einzuordnen und zu erklären. Es gilt, jenen Paroli zu bieten, die sich einbilden, durch die pure Verbreitung von Meinungen Journalismus zu betreiben!" (fid, 4.12.2023)