Das Smartphone ersetzt die Kamera – oder doch nicht? Denn auch wenn sich der ständige Begleiter in der Hosentasche bestens für spontane Schnappschüsse eignet und die Qualität der Handyfotos im Lauf der vergangenen Jahre immer besser wurde, bedienen die Kamerahersteller doch eine eigene Klientel: erstens professionelle Fotografinnen und Fotografen, die auf entsprechendes Equipment für die Erfüllung der Arbeitsaufträge angewiesen sind. Zweitens engagierte Hobbyisten, die den Gestaltungsspielraum lieben, möglichst viele Einstellungen an der eigenen Kamera selbst vornehmen zu können.

Wachstum im High-End-Bereich

Das schlägt sich auch in harten Marktzahlen nieder. So teilte im März 2023 der Photoindustrie-Verband (PIV) gemeinsam mit dem Marktforschungsunternehmen GfK mit, dass im Jahr 2022 der Gesamtmarkt für Digitalkameras in Deutschland leicht rückläufig (minus vier Prozent) gewesen sei, Kleinbildspiegellose wurden jedoch deutlich stärker nachgefragt (plus neun Prozent). Gar ein Plus von 21 Prozent gab es im Markt für Wechselobjektive.

Mit Blick auf die Zukunft glaubt man beim Marktforschungsunternehmen Mordor Intelligence, dass der Markt für Digitalkameras – allen Unkenrufen zum trotz – wachsen wird, und zwar von 5,14 Milliarden Dollar Umsatz im Jahr 2023 auf 6,51 Milliarden Dollar im Jahr 2028. Sowohl der größte als auch der schnellstwachsende Markt ist dabei der Asien-Pazifik-Raum.

Auch hier sehen die Marktforscher eine große Konkurrenz durch Smartphones sowie einen überfüllten Markt durch die zahlreichen verschiedenen Arten von Digitalkameras. Gleichzeitig sei es den großen Herstellern gelungen, die Vollformatkamera für einen Nischenkundenstamm zu entwickeln, der schnellere Verschlüsse, bessere Auflösung und mehr Klarheit wünscht.

Spiegellos statt Spiegelreflex

Lange Zeit galt die digitale Spiegelreflex als das Nonplusultra unter der hochpreisigen Kameras, allerdings werden diese Geräte zunehmend von qualitativ hochwertigen spiegellosen Kameras verdrängt. So geht das Unternehmen Fujifilm dem Marktforschungsbericht zufolge davon aus, dass die Nachfrage nach Spiegellosen jene nach DSLRs übertreffen wird beziehungsweise in Märkten wie Europa und den USA schon übertroffen hat. Diverse Hersteller haben in Forschung und Entwicklung investiert und somit das Portfolio an spiegellosen Kameras ausgebaut. Dementsprechend wird davon ausgegangen, dass auch die Nachfrage nach entsprechenden Objektiven steigt.

Mirrorless Cameras Explained
Spiegellose Kameras, erklärt in einem Video.
Pixels and Wanderlust

Der wohl größte Verfechter der Spiegelreflexkamera ist der Hersteller Canon, der in diesem Segment im Oktober 2023 in Deutschland auf einen Marktanteil von 90,5 Prozent kam. Allerdings ist auch bei Canon Deutschland nur etwa jede zehnte verkaufte Kamera eine DSLR, wie Guido Jacobs, Verantwortlicher für das Kamera-Endkundengeschäft in Deutschland, Österreich und der Schweiz, im Gespräch mit dem STANDARD sagt. Der Markt entwickelt sich somit auch aus seiner Sicht eindeutig in Richtung spiegellose Kameras – Canon werde aber weiterhin Spiegelreflexkameras anbieten, sofern Nachfrage besteht. Auch betont er, dass im Bereich der DSLRs ein großer Zweitmarkt besteht: Menschen kaufen sich gebraucht eine ältere DSLR und finden so den Weg in das Hobby.

Smartphone statt Kompaktkamera

Ähnliches beobachtet Jacobs übrigens auch, wenn es um das Spannungsfeld zwischen Smartphones und Stand-alone-Kameras geht. Getreu dem Motto "Die beste Kamera ist die, die man immer dabei hat" hat das Handy in den vergangenen Jahren zunehmend die Kompaktkamera verdrängt, vor allem, wenn es um schnelle Schnappschüsse geht.

Guido Jacobs von Canon
Guido Jacobs vergleicht den Unterschied zwischen Smartphone- und Kamerafotos mit jenem zwischen Fastfood und Slowfood.
Alex Schelbert

Jacobs hält es aber für möglich, dass Menschen durch Handyfotos ihre Liebe zur Fotografie entdecken, sich dann mehr Gestaltungsspielraum wünschen. Auch zieht er eine Analogie zwischen Slowfood und Fastfood: Während Smartphone-Fotos schnell geschossen werden, das Gerät oft gar nicht verlassen oder maximal in schnelllebigen Social-Media-Feeds landen, verbringen engagierte Hobbyfotografen oft Stunden in der Wildnis, um auf den perfekten Moment zu warten und das Foto anschließend entwickeln zu lassen.

Ganz abschreiben möchte Jacobs die Kompaktkamera übrigens auch jetzt noch nicht: Denn erstens können auch diese vergleichsweise günstigen Geräte einen Einstieg in die Fotografie bieten. Zweitens können diese Geräte teils durch Nischenfunktionen punkten: Wasser- und stoßfeste Kompaktkameras bieten sich etwa an, um Kindern das Konzept von Fotografie zu vermitteln.

Global Shutter

Geht es hingegen um das hochpreisige Segment, so hat Sony gegen Ende 2023 mit der rund 7.000 Euro teuren Sony A9 III eine kleine Revolution angekündigt. Denn dabei handelt es sich um die erste Vollformatkamera, die über ein sogenanntes Global-Shutter-System verfügt. Beobachter überschlugen sich mit dem Vergeben von Vorschusslorbeeren und riefen die "nächste Generation von Kameras" aus, die Fotografie ebenso wie Filmen revolutionieren soll.

Product Announcement Alpha 9 III | Sony | α
Sony | Camera Channel

Konkret kommt die Kamera ohne Rolling-Shutter-Effekt aus, wodurch auch sich bewegende Objekte fehlerfrei, ohne Flimmereffekte und Branding dargestellt werden können. Durch diese Global-Shutter-Technik sollen Serienaufnahmen ohne Blackouts mit bis zu 120 Bildern pro Sekunde möglich sein. Auch 4K-Videoaufnahmen mit 120 Bildern pro Sekunde und ohne Crop werden versprochen.

Erscheinen soll die Kamera im März 2024. Dann wird man auch abseits der Laborbedingungen in der Praxis sehen, ob die Kamera die Versprechen des Herstellers halten kann. Und es wird sich zeigen, in welche anderen Produkte diese Technologie Einzug halten wird beziehungsweise wie die Konkurrenz darauf reagiert.

Künstliche Intelligenz oder echtes Leben

Bleiben wir bei Sony. Denn dieses Unternehmen hat im vergangenen Jahr auch damit geworben, "künstliche Intelligenz" zum Optimieren des Autofokus zu nutzen. So erkennt die Kamera bestimmte Objekttypen wie Tiere oder Fahrzeuge und fokussiert auch dann weiterhin auf diese, wenn sie sich bewegen. Ähnliche Funktionen gibt es auch bei anderen Herstellern, etwa bei Canon. Auch wenn diese Funktion im STANDARD-Test durchaus überzeugend war, muss betont werden: Das ist keine KI im engeren Sinne, die mit dem User mitlernt, sondern eine vorab trainierte Form der Objekterkennung.

Dennoch ist davon auszugehen, dass KI auch im kommenden Jahr die Fotografie und Bildbearbeitung prägen wird. Hier waren im vergangenen Jahr vor allem die Smartphones prägend – so sehr sogar, dass wir uns zu Jahresanfang der Frage widmeten, ob ein per KI optimiertes Smartphone-Foto vom Mond noch als echtes Mondfoto bezeichnet werden kann. Durch KI-Bildbearbeitungsoptionen auf Smartphones und in Software wie Photoshop ist indes immer mehr zu hinterfragen, wie echt Urlaubsfotos heutzutage überhaupt noch sind.

Samsung Mond Fotos
Ein Reddit-User lieferte Anfang 2023 den "Beweis", dass Samsung bei Mondfotos "schummelt".
Reddit / u/ibreakphotos

Und dann gibt es neben diversen Filtereffekten und anderen KI-Bildoptimierungen – bei Kameras etwa auch in den Bereichen Belichtung und Kontrast – freilich noch die Option, den Fotografen gänzlich aus der Rechnung zu eliminieren – indem das Bild einfach von einem KI-Bildgenerator erstellt wird. Sehr anschaulich wurde dies im KI-Hypejahr 2023 mit der Kamera Paragraphica demonstriert, die auch ohne Objektiv "fotografieren" kann.

Kamera Paragraphica
Die Kamera Paragraphica "fotografiert", indem sie Daten aus der Umgebung – wie Adresse, Wetter und Tageszeit – in den Prompt eines KI-Tools einfließen lässt.
Bjørn Karmann

Die fortschreitende Entwicklung in diesem Bereich ist wohl als Fluch und Segen zugleich zu sehen. So kann KI etwa bei der Erkennung von Gesichtern helfen, was professionellen Fotografinnen etwa in der Event-, Hochzeits- oder Sportfotografie helfen kann. Das Sortieren wird dem Menschen somit zu einem guten Teil abgenommen und er kann sich auf die kreative Gestaltung konzentrieren. Ein Plug-in zu Canons RAW-Verarbeitungssoftware DPP kann mittels KI zu Rauschreduzierung beitragen oder auch Abbildungsfehler durch das Objektiv entfernen beziehungsweise korrigieren.

Dies alles unterstützt den Fotografen bei der Arbeit, aber ersetzt ihn nicht, sagt Jacobs. Gleichzeitig steigt durch KI jedoch die Gefahr von manipulativen Bildern – Stichwort Deepfakes. Und professionelle Fotografen, die mit ihren Werken meist ein möglichst naturgetreues Abbild der Realität erstellen wollen, werden sich wohl eher weiterhin auf ihre Kamera als auf generative KI-Tools verlassen. Denn: "KI-Bilder sind keine Fotos, sondern eine eigene Kunstform", sagt Jacobs. Was schließlich wohl auch als sinnbildlich für eine Zusammenfassung der Fotografie-Trends 2024 gesehen werden kann: Die technischen Möglichkeiten werden auch 2024 deutlich zunehmen, und mit ihnen der Gestaltungsspielraum. Zu welchem Ausmaß man diesen nutzt, bleibt jedem selbst überlassen. (Stefan Mey, 25.12.2023)