Das Magazin an.schläge berichtet seit 40 Jahren über alles, was mit Feminismus zu tun hat. Also über alles.
Das Magazin "an.schläge" berichtet seit 40 Jahren über alles, was mit Feminismus zu tun hat. Also über alles.
IMAGO/Pacific Press Agency

Bis heute hat das feministische Magazin "an.schläge" seinen Namen behalten, der spätestens seit dem Verschwinden der Schreibmaschinen gern als brutal missverstanden wird. Gemeint waren damit allerdings die Schreibmaschinenanschläge und Anschläge an öffentlichen Orten, aber durchaus auch der Anschlag auf das Patriarchat – freilich gewaltlos, wie die Redakteurinnen des Monatsmagazins betonen. Lea Susemichel ist eine der leitenden Redakteurinnen und verfolgt seit vielen Jahren sämtliche feministischen Diskurse und Themen.

STANDARD: Die "an.schläge" begleiten feministisches Engagement seit 40 Jahren. Welche Forderungen kann man als abgehakt betrachten?

Susemichel: Leider ist gar nichts ein für alle Mal abgehakt. Wir haben für die Jubiläumsausgabe eine Chronik gemacht und haben uns angeschaut, was in den vergangenen 40 Jahren weitergegangen ist. Und es war schön zu sehen, dass es tatsächlich viele Meilensteine gab, etwa auf gesetzlicher Ebene. Ganz besonders im letzten Jahrzehnt, da war #MeToo wirklich ein Paradigmenwechsel, vor allem für das Bewusstsein, wo sexualisierte Gewalt anfängt. Es ist wichtig, sich diese Meilensteine und Errungenschaften immer wieder vor Augen zu führen. Als feministische Journalistinnen dürfen wir nicht immer nur Kritikerinnen und Mahnerinnen sein. Wir haben auch die Aufgabe, die eigenen Leute bei Laune zu halten und zu zeigen, was zu gewinnen ist, wenn man kämpft. Und damit gerade auch den jungen Frauen vor Augen zu halten, was wir zu verlieren haben.

STANDARD: Zum Beispiel?

Susemichel: Neben den Fortschritten gab es auch viele niederschmetternde Rückschritte. Etwa als in Afghanistan mit einem Schlag alle errungenen Frauenrechte zunichtegemacht wurden. Oder die Aufhebung von Roe v. Wade in den USA. Oder die vielen Erfolge von rechten und rechtspopulistischen Politikern. Donald Trump, Viktor Orbán, Jair Bolsonaro oder jetzt Javier Milei in Argentinien. Und bei uns taucht wieder Herbert Kickl am Horizont auf. Die Uno hat kürzlich gemeldet, dass es 2022 so viele Femizide weltweit gab wie schon seit 20 Jahren nicht mehr.

STANDARD: Und wie sieht es in Österreich aus?

Susemichel: Es ist definitiv ein Rückschritt, dass das Frauenministerium bei der ÖVP liegt. Frauenministerin Susanne Raab ist feministisch sehr unambitioniert und hat es zum Beispiel versäumt, einen Gewaltschutz zu implementieren, der eine Gesamtstrategie vorsieht. Man muss bei der Prävention von Femiziden und Gewalt an der Wurzel ansetzen, etwa indem ab dem Kindesalter andere Rollenbilder angeboten werden. Das geht mit konservativer Politik nicht zusammen.

STANDARD: Aber diese Gesamtstrategien hätten auch die SPÖ-Frauenministerinnen implementieren können. Es ist auch früher vieles liegengeblieben.

Susemichel: Auf jeden Fall. Aber das Thema ist jetzt sehr virulent und endlich wie nie zuvor in den Medien präsent. Da bräuchte es eine Frauenministerin, die das nutzt und bei jedem einzelnen Femizid vor die Presse geht und Krisensitzungen einmahnt. Wir wissen, die Ursachen für Gewalt sind komplex, entsprechend viele Strategien muss man auch gleichzeitig verfolgen, um Gewalt zu bekämpfen. Ich glaube tatsächlich, dass das eine Frauenministerin von der ÖVP nicht leisten kann, weil eine konservative Familienpolitik mit effektivem Gewaltschutz nicht in Einklang zu bringen ist. Außerdem muss es bei Feminismus immer um soziale Gerechtigkeit gehen, auch um Frauen aus finanzieller Abhängigkeit in Gewaltbeziehungen zu befreien. Das ist bekanntlich nichts, wofür die ÖVP steht.

Die an.schläge-Redakteurinnen feiern: Annika Haider, Lea Susemichel, Brigitte Theißl (von links), Verena Kettner (mitte oben) und Janis Czapka (mitte unten).
Die "an.schläge"-Redakteurinnen feiern:Annika Haider,Lea Susemichel, Brigitte Theißl (von links), Verena Kettner (Mitte oben) und Janis Czapka (Mitte unten).
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STANDARD: Inwiefern haben sich die feministischen Kämpfe in den vergangenen Jahrzehnten verändert?

Susemichel: Es ist auf jeden Fall unübersichtlicher geworden. Das hat viel mit der intersektionalen Kritik zu tun, die im Feminismus laut wurde. Doch es war ungeheuer wichtig zu zeigen, dass Feminismus kein Single-Issue Struggle ist, sondern dass es darum geht, für das gute Leben für alle zu kämpfen. Das hat es auch schwieriger gemacht – aber er hat den Feminismus besser gemacht und ihn wachsen lassen.

Feminismus ist inzwischen auch viel hipper geworden. Als Journalistin kann ich heute Themen pitchen, mit denen ich vor 20 Jahren nicht mal ausgelacht worden wäre. Doch vieles davon wird heute auch in etablierten Medien verhandelt. Damit geht leider auch einher, dass Feminismus stark vereinnahmt wurde, auch popkulturell.

STANDARD: Was ja nicht nur schlecht sein muss.

Susemichel: Nein. Es ist rührend zu sehen, wie selbstverständlich heute in Filmen oder Serien andere Mädchen- und Frauenfiguren sind, dass dort mit feministischem Vokabular jongliert wird und es feministische Statement-Shirts bei H&M gibt. Das ist einerseits schön, andererseits aber auch brandgefährlich, weil es einem so in der Gewissheit lässt, dass bestimmte Kämpfe quasi hinter uns liegen. Wir dürfe uns auf diese Art von Feminismus auf keinen Fall verlassen – den Unternehmen sind wir völlig egal. Wenn sich die Barbie-Collection besser verkaufen lässt als das Feminismus-Shirt, dann verkaufen sie eben die Barbie-Collection. Und wenn auf Netflix keine feministischen Serien mehr geschaut werden, dann werden sie halt ausgetauscht.

STANDARD: Welche Themen sind in feministischen Debatten heute besonders stark?

Susemichel: Momentan ist vor allem die Debatte um Rechte für Transpersonen sehr dominant. Das hat sich schon länger abgezeichnet, einige Feministinnen der zweiten Welle hatten ja bereits mit dem Queerfeminismus der dritten Welle Probleme. Wir hatten mal einen berührenden Kommentar einer Autorin im Heft, in dem sie beschrieb, wie hart das für sie war: so lange um den Begriff Frau zu ringen, um weibliche Identität, um lesbische Identität. Sich all das neu anzueignen und positiv zu besetzen. Und ihrem Empfinden nach hatte man das kaum geschafft – und dann schien es schon wieder verlorenzugehen. Das war kein hasserfüllter Kommentar, sondern wehmütig und erklärend, warum es für viele so schwierig ist, diese vollkommene Auflösung von Geschlechtsidentität so leichtfüßig mitzumachen.

Diese massive Transfeindlichkeit, die zum Teil aus der feministischen Szene kommt, die lässt sich damit nicht mehr erklären. Da müssten diese Feministinnen unbedingt genauer hinschauen, was für sie so bedrohlich an der Vorstellung ist, dass Menschen frei über ihr Geschlecht entscheiden können.

STANDARD: Was ist denn so bedrohlich daran?

Susemichel: Geschlecht ist so ein zentrales Ordnungssystem, offenbar macht es große Angst, dass Geschlechterkategorien völlig beliebig werden könnten. Das ist eine Verunsicherung, die noch tiefer geht als die Verunsicherung, die der Feminismus generell immer auslöst.

STANDARD: Was waren die ersten Themen der "an.schläge"?

Susemichel: Bei der ersten Ausgabe im Jahr 1983 ging es um Diskriminierung in der Arbeitswelt. Es ist mitunter erschreckend, wie sehr sich die Themen wiederholen – auch jene aus den ersten Jahren. Es gibt Texte, die könnte man mit kleinen Modifikationen wieder abdrucken. Es gibt diese feministischen Evergreens, Gewalt gegen Frauen ist ein Riesenthema, das sich durch 40 Jahre zieht. Ungleichheit auf allen Ebenen, Lohngefälle, Hausarbeit, heute sagen wir Carearbeit. Selbstbestimmung über den eigenen Körper.

STANDARD: Feministischem Journalismus wurde oft vorgeworfen, keine vollumfängliche Information bieten zu können. Kann er das?

Susemichel: Feminismus ist eine Perspektive, die letztlich allen Menschen zugutekommt, auch wenn das pathetisch klingt, sie kann auch Männer aus ihrem Männlichkeitskorsett befreien.

Die "an.schläge" betrachten jedes Thema aus einer feministischen Perspektive, ganz egal ob es um Inflation, Corona oder eine Steuerreform geht, denn Frauen bzw. unterschiedliche Menschen sind immer spezifisch betroffen. Dieses Objektivitätsphantasma, das der Journalismus so lange vor sich hergetragen hat, war immer eine Lüge. Alle berichten aus einer bestimmten Perspektive, und die war eben lange fast ausschließlich männlich. Es ist zentral, die eigene Perspektive im Journalismus transparent zu machen. Das haben feministische Medien im Unterschied zu vielen anderen immer getan. Und die journalistische Sorgfaltspflicht gilt selbstverständlich auch für sie. Nur weil eine Journalistin für Geschlechtergerechtigkeit eintritt oder keine Klimakatastrophe will, ist sie ja keine schlechtere Journalistin. Ich glaube ganz im Gegenteil, dass nur Haltungsjournalismus guter Journalismus ist. Viele Medien kommen jetzt erst langsam darauf, wie wichtig diese Haltung ist, damit Medien überhaupt ihrer wichtigen demokratiepolitischen Funktion nachkommen können. Das wurde nicht zuletzt durch die extreme Medienschelte rechtspopulistischer Politik gegen die sogenannte "Lügenpresse" klar.

STANDARD: Was waren die schwierigsten Zeiten für die "an.schläge"?

Susemichel: Das war Schwarz-Blau eins, also zwischen 2000 und 2006. Davor haben die "an.schläge" eine Förderung vom Frauenministerium bekommen – die ist dann von einem Tag auf den anderen weggebrochen. Wir mussten uns in kürzester Zeit neu aufstellen. Wir waren natürlich nie voll gefördert, und es war immer sehr prekär. Aber damals stand es wirklich auf der Kippe. Seither geht es stetig bergauf, wir haben viel mehr Abonnent:innen, eine höhere Auflage, eine höhere Reichweite. Momentan haben wir stark mit Inflation und erhöhten Energie- und Papierpreisen zu kämpfen und brauchen dringend neue Abos. Aber insgesamt ist das Magazin eine Erfolgsgeschichte, und es zeigt, dass es definitiv einen Bedarf für diese Art von Journalismus gibt. (Beate Hausbichler, 6.12.2023)