Schön ist das Gebäude nicht, in dem über die Zukunft des Immobilienkonzerns Evergrande entschieden wird. In den 1970er- und 1980er-Jahren wurden viele Kolonialhäuser in Hongkong abgerissen und durch funktionalistische Betonklötze ersetzt – so auch der High Court, der Oberste Gerichtshof im Viertel Admiralty. Dass hier in Hongkong und nicht auf dem Festland über die Zukunft des größten Immobilienentwicklers entschieden wird, hat damit zu tun, dass die ehemalige Kronkolonie auch nach ihrer Einverleibung durch Peking im Juli 2020 Chinas Tor zur globalen Hochfinanz ist. Evergrandes Holding ist hier registriert, und die Pleite ist in erster Linie eine Zahlungsunfähigkeit gegenüber ausländischen Gläubigern – alles, was auf dem Festland geschieht, regelt die Kommunistische Partei irgendwie selbst.

Am vergangenen Montag nun hätte das Gericht eigentlich eine Einigung mit seinen ausländischen Kapitalgebern verkünden sollen. Dazu aber kam es nicht. Stattdessen vertagte das Gericht die Entscheidung auf den 29. Jänner. Die Anwälte und Beobachter zeigten sich überrascht. Der Grund ist wohl ein Streit zwischen den Gläubigern, von denen manche eine vollständige Liquidierung fordern. Die wäre ohnehin kompliziert: Alleine drei Firmen hat der Konzern außerhalb der chinesischen Jurisdiktion in Hongkong registriert. Hinzu kommen tausende Tochterunternehmen auf dem Festland.

Im Bild das Evergrande-Logo auf Wohngebäuden in Nanjing, in Chinas östlicher Provinz Jiangsu.
Evergrande hat vor 18 Monaten seine Teilzahlungsunfähigkeit verkündet. Nach Jahren der fulminanten Expansion hatte der Konzern rund 300 Milliarden US-Dollar Schulden angehäuft.
AFP/STR

Evergrande hat vor rund 18 Monaten seine Teilzahlungsunfähigkeit verkündet. Nach Jahren der fulminanten Expansion hatte der Konzern rund 300 Milliarden US-Dollar Schulden angehäuft. Damit steht das Immobilienunternehmen wie kein anderes für Aufstieg und Fall nicht nur der chinesischen Immobilienwirtschaft, sondern für den chinesischen Wirtschaftsaufschwung insgesamt. Rund 30 Prozent der chinesischen Wirtschaftsleistung macht die Baubranche aus. Jahrelang wurden aufgrund der massiven Urbanisierung immer weitere Hochhauskomplexe aus dem Boden gestampft. Diese Nachfrage stimulierte nicht nur das chinesische Wachstum, sondern machte sich global bemerkbar. Dem Bauboom in China war es zu verdanken, dass die Weltwirtschaft nach der großen Finanzkrise 2009 relativ schnell wieder auf die Beine kam.

Diese Nachfrage fehlt heute nicht nur in der Volksrepublik, sondern macht sich global bemerkbar. Und aktuell ist kein Silberstreif am Horizont. Helfen könnte zum Beispiel mehr Geld. Aber da eine Schwemme von billigen Krediten die eigentliche Ursache für die aktuelle Misere ist und man sich dessen in der chinesischen Führung bewusst ist, erteilt man dem eine Absage: Der Chef der chinesischen Zentralbank, Pan Gongsheng, teilte am vergangenen Montag in der chinesischen "Volkszeitung" mit, dass man nicht beabsichtige, die "Geldschleusen zu öffnen".

Privatinsolvenzen auf Höchststand

Insgesamt aber dürfte dies einen Drahtseilakt zwischen Deflation und Pleiten sowie Inflation und neuem Kreditwachstum bedeuten. Denn die chinesische Wirtschaft lahmt. Die Jugendarbeitslosigkeit erreichte im Juni mit 20 Prozent einen Höchststand. Anschließend hörte die chinesische Regierung auf, die Zahlen zu veröffentlichen. Mittlerweile zeigt sich das auch in der Bevölkerung: Die Zahl der Privatinsolvenzen hat einen Höchststand seit Ausbruch der Corona-Pandemie erreicht. 8,54 Millionen Menschen gelten mittlerweile als zahlungsunfähig. Das entspricht rund einem Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung. Anfang 2020 waren es noch 5,1 Millionen. In China bedeutet offizielle Zahlungsunfähigkeit, dass man auf einer Art schwarzen Liste landet. Über die omnipräsenten Bezahl-Apps Wechat Pay und Alipay ist es dann zum Beispiel nicht mehr möglich, ein Flugticket zu kaufen.

Wie die großen Unternehmen haben auch die privaten Konsumenten im vergangenen Jahrzehnt immer mehr Schulden aufgenommen. Die Gesamtverschuldung der Haushalte hat sich auf 64 Prozent der Wirtschaftsleistung verdoppelt – wovon ein Großteil eben auf Immobilienkredite zurückzuführen ist. (Philipp Mattheis, 6.12.2023)