Daniil Trifonov
Daniil Trifonov und seine unbegrenzte Spielenergie, gleichermaßen rasant und entspannt.

Dass Daniil Trifonov über schier unbegrenzte Spielenergien verfügt, ist nichts Neues. Es verblüfft dann aber doch, wie frisch er am späten Montagabend nach der Ersteigung von Beethovens pianistischem Olymp, der Hammerklaviersonate, wirkt. Gut möglich, dass der Russe nach diesen rund 40 Minuten noch ein Kaliber der Klavierliteratur stemmen könnte, Liszts h-Moll-Sonate oder Charles Ives’ Concord-Sonate.

Natürlich erklingt dann keines dieser Schwergewichte. Ganz ohne Zugabe verabschiedet sich Trifonov aber auch nicht, und das erste dieser kleinen Anhängsel überrascht durchaus, widmet sich der Russe doch nach dem Zentralheiligtum des pianistischen Beethoven-Kosmos ausgerechnet Jazz von der Tastenlöwenlegende Art Tatum. Aber warum eigentlich nicht? Tatums gemächliche Swing-Fassung des Songs I Cover the Waterfront, von Trifonov transkribiert, gibt nicht nur ein behagliches Betthupferl ab, sondern bietet der rechten Pianistenhand auch virtuosen Auslauf.

Ein Wunderabend

In erster Linie berückt an diesem Abend aber natürlich die Beethoven-Bravour des 32-Jährigen. Von den vollgriffigen Akkorden des Beginns an wirkt Trifonovs Zugriff gleichermaßen rasant und entspannt. Der Wahl-New-Yorker macht in den radikalen Klangwelten des späten Beethoven weniger den Eindruck eines Getriebenen als eines interessierten Besuchers, der die Muße hat, Details in den Blick zu rücken.

Die Rhythmik des Kanons etwa in der ersten Durchführung: Sie besitzt bei Trifonov eine fast gemeißelte Schärfe; der tobende Mittelteil des Scherzos wird von der Reprise verjagt wie ein böser Traum. Überhaupt, diese Kontraste. Nicht genug damit, dass Trifonov die kühne, fast atonale Wirkung der Schlussfuge dadurch unterstreicht, dass er nahezu Lichtgeschwindigkeit erreicht. Er vergisst zugleich nicht auf dynamische Abstufungen, stellt mächtiges Oktavdonnern gern neben wispernde Notengewusel.

Danach? Senkt er seinen Kopf für zwei, drei beiläufige Verbeugungen, als sei das alles nichts gewesen. Ein Wunderabend, der in der ersten Hälfte mit der virtuosen Entfesselung von Felix Mendelssohn Bartholdys Variations sérieuses begeisterte. (irrge, 5.12.2023)