Petra Blazek bei einer Parade
Petra Blazek teilt sich bei der WM den Platz in Österreichs Tor mit Kollegin Lena Ivancok. Eine Sensation gegen Frankreich kann nur mit überragenden Leistungen der Torhüterinnen gelingen.
DIENER | Carsten Harz

Torhüterinnen spielen im Handball eine Schlüsselrolle. Paraden zur richtigen Zeit können Matches kippen lassen. Seit August arbeitet die Deutsche Sabine Englert als Spezialtrainerin für Österreichs Frauenteam. Die 42-Jährige spielt selbst für den dänischen Erstligisten Aarhus United. Für Englert ist es wichtig, Torhüterinnen während der Matches zu coachen.

"Wenn man selbst im Tor gestanden hat, versteht man, was im Kopf der Spielerin vorgeht", sagt sie. "Das erachte ich als Riesenvorteil." In der WM-Hauptrunde trifft Österreich auf Angola und Slowenien, am Mittwoch wartet zuerst aber Medaillenkandidat Frankreich (18 Uhr, ORF Sport Plus). Auf die Torhüterinnen wird viel Arbeit zukommen.

STANDARD: Wie wird man Torhüterin im Handball?

Sabine Englert: In Dänemark müssen im Jugendbereich alle einmal ins Tor. Sie bekommen die Möglichkeit, es auszuprobieren, und man erkennt, ob jemand Talent hat. Auch ich wurde früher ins Tor gestellt. Ich spielte als Fünfjährige mit meinen zwei älteren Brüdern. Im Tor fühlt sich nicht jeder wohl, wenn Bälle auf dich zugeschossen kommen.

STANDARD: Welche Eigenschaften braucht eine Torhüterin?

Englert: Reaktionsfähigkeit ist gefragt. In der Jugend geht es um Ballgefühl und darum, den Ball irgendwie abzuwehren. Im Lauf der Zeit stellen sich weitere Fragen: Wie lese ich das Spiel? Wie ist meine Technik? Ich muss auch die eigene Abwehr kennen, um zu erahnen, wohin der Ball kommen könnte.

STANDARD: Es geht also viel um Antizipation.

Englert: Die Position ist komplex. Größe und Technik der Torhüterinnen sind verschieden. Größere Spielerinnen bleiben auf der Linie stehen und parieren durch ihre Reichweite. Kleinere sind aggressiver.

STANDARD: Was bedeutet das?

Englert: Weil sie nicht so viel Fläche vom Tor abdecken können, greifen sie mehr an, springen nach vorne, den Angreiferinnen entgegen.

STANDARD: Was fasziniert Sie an der Position im Tor?

Englert: Man ist Einzelsportlerin in einer Teamsportart. Wenn ich meinen Job nicht richtig mache, landet der Ball im Tor. Ich kann aber auch Matches mit einer Parade entscheiden. Und man beschützt nicht nur das Tor. Das Spiel ist schnell geworden, ich muss Konter einleiten.

STANDARD: Das Training besteht also nicht aus reiner Abwehrarbeit.

Englert: Wenn der Gegner sieben gegen sechs spielt, das Tor bewusst frei lässt, sind schnelle Entscheidungen gefragt. Soll ich direkt und über das komplette Spielfeld auf das Tor werfen oder einen langen Ball auf eine Spielerin im Konter werfen? Das Spiel wieder nach vorne treiben, auch nach einem Gegentor, ist ein großer Teil des Trainings.

STANDARD: Alter scheint kein einschränkender Faktor zu sein.

Englert: Mit der Erfahrung entwickelt man das Auge dafür, wohin der Ball kommt. Das haben junge Spielerinnen noch nicht. Man braucht trotzdem noch die Schnelligkeit, um in die Ecken zu kommen.

STANDARD: Worin unterscheiden sich Österreichs Teamtorhüterinnen Lena Ivancok und Petra Blazek?

Englert: Petra ist wesentlich erfahrener, hat mehrere große Turniere gespielt. Sie liest das Spiel besser, kennt die Gegnerinnen, weil sie jahrelang gegen sie gespielt hat. Sie ist auch etwas ruhiger in ihren Bewegungen. Lena ist eine große Torhüterin, hat eine riesige Reichweite. Sie ist noch jung, hat richtig gute Voraussetzungen. In Kleinigkeiten, etwa im Stellungsspiel, könnte sie noch viel herausholen.

STANDARD: Beide Spielerinnen bekamen zuletzt in etwa gleich viel Einsatzzeit. Wie fühlt es sich an, wenn man in einer Partie ausgewechselt wird?

Englert: In einem Spiel wie gegen Norwegen mit vielen Kontertoren zu Beginn kann man auch froh über eine Pause auf der Bank sein, anstatt nur Bälle um die Ohren gehaut zu bekommen. Wenn man an Bällen dran ist und trotzdem Tore kassiert, ist man frustriert. Dann braucht der Kopf eine Pause, man muss alles auf null stellen. Vielleicht komme ich ja gleich wieder rein.

STANDARD: Wie fühlt es sich an, eingewechselt zu werden?

Englert: Auf der Bank beobachtet man die Partie, analysiert Würfe des Gegners. Kommen sie anders, als ich mir das im Video vorgestellt habe? Muss ich mich früher bewegen? Wenn man reinkommt, will man einen Unterschied machen. Mit frischer Energie, was auch der Abwehr einen Boost geben kann.

STANDARD: Wie können Sie ins Match eingreifen?

Englert: Ich achte darauf, ob meine Spielerin sich an Absprachen hält. Denn es gibt Muster, wenn etwa Spielerinnen in einem Bogen angelaufen kommen, werfen sie möglicherweise öfter in eine bestimmte Ecke. Ich versuche, kleine Korrekturen reinzurufen, zum Beispiel "Nimm die Arme hoch!", weil die Angreiferin oben ins Tor zielt.

STANDARD: Sind Würfe in Kopfhöhe nicht gefährlich?

Englert: Wenn die Torhüterin beim Siebenmeter den Ball an den Kopf bekommt, sieht die Werferin die rote Karte. Passiert es im offenen Spiel, gibt es eine Zweiminutenstrafe. Manche werfen trotzdem knapp am Kopf vorbei. Dort ist Platz, die Torhüterinnen decken mit ihren Händen andere Flächen ab. Aber absichtlich wirft niemand auf den Kopf. Man will ja nicht den Kopf treffen, sondern ins Tor.

Sabine Englert ist seit August Goalkeeper Coach im ÖHB.
ÖHB/Eva Manhart

STANDARD: Was gilt es beim Siebenmeter zu beachten?

Englert: Wir sichten Videos der Gegnerinnen, um zu sehen, wer Siebenmeter wirft und wie. Wenn sich ein Muster, ein sogenanntes Wurfbild ergibt, halten wir uns daran. Als Torhüterin versuche ich gerne, mit der Gegnerin zu spielen. Ich biete vielleicht eine Ecke an, locke sie zu einem Wurf. Es ist wichtig, die Position zu verändern, nicht jedes Mal dieselbe Bewegung zu machen.

STANDARD: Worauf kommt es gegen Frankreich an?

Englert: Wir müssen unsere technischen Fehler reduzieren. Sie haben ein exzellentes Konterspiel, sind schnell vorne. Idealerweise schließen wir Angriffe mit Toren ab. Dann nehmen wir ihnen etwas an Fahrt. (Interview: Lukas Zahrer, 6.12.2023)