Neuer Anlauf zur Begrenzung der Einwanderung: Die britische Regierung von Premier Rishi Sunak will die Visagebühren und die Gehaltsgrenze für Möchtegern-Arbeitnehmer massiv erhöhen. Schlecht bezahlte ausländische Pflegekräfte sollen nur noch ohne ihre Familienmitglieder ins Land kommen dürfen. Ein am Dienstag unterzeichneter neuer Vertrag soll außerdem den Weg freimachen für die Verlagerung von Asylverfahren nach Ruanda. Sein Maßnahmenpaket werde die jährliche Netto-Immigration "um 300.000 Menschen reduzieren", kündigte Innenminister James Cleverly im Unterhaus an.

Der britische Innenminister James Cleverly unterzeichnete in Ruanda ein neues Abkommen.
Der britische Innenminister James Cleverly unterzeichnete in Ruanda ein neues Abkommen.
REUTERS/JEAN BIZIMANA

Anders als von Brexit-Propagandisten wie Cleverly 2016 behauptet, hat der EU-Austritt mitsamt Abschaffung der Freizügigkeit den Briten nicht die "Kontrolle über ihre Grenzen" zurückgegeben. Vielmehr sorgte die Attraktivität der sechstgrößten Volkswirtschaft der Welt in Kombination mit laschen Kontrollen und riesigem grauem Arbeitsmarkt dafür, dass sich die Netto-Einwanderung seither verdoppelte. Allein in den vergangenen beiden Jahren wuchs die Bevölkerung um 1,3 Millionen Menschen, was etwa zwei Prozent entspricht.

Deshalb will die Regierung Sunak jetzt die liberale Einwanderungspolitik von Vorvorgänger Boris Johnson kippen. Abgeschafft wird die Regelung, die Unternehmen in manchen Branchen erlaubte, ausländischen Arbeitern 20 Prozent weniger zu bezahlen, als der heimische Tarifvertrag es vorsieht. Auf der entsprechenden Liste von Fachkräften stehen bisher die Saisonarbeiter in der Landwirtschaft ebenso wie Dachdecker, Maurer oder Fliesenleger. Das in Zukunft deutlich teurere Arbeitsvisum bekommt nur, wer mindestens 38.700 Pfund (45.169 Euro) verdient; bisher lag diese Gehaltsgrenze um 48 Prozent niedriger.

Allein auf die Insel

Weil solche Gehälter im schlechtbezahlten Gesundheits- und Pflegesektor nicht zu erreichen sind, gilt für solche Einwanderer eine Ausnahme. Der Pferdefuß dabei ist aber, dass sie zukünftig keine Familienmitglieder mehr auf die Insel mitbringen dürfen. Der Statistik zufolge kommen bisher auf rund 100.000 zugewanderte Pflegekräfte rund 120.000 Familienmitglieder, vor allem Kinder. Das mag langfristig positive Auswirkungen auf die zunehmend überalterte Gesellschaft haben, bewirkt kurzfristig aber einen Run auf die ohnehin knappen Plätze in Kindergärten und Schulen.

Ob aber dürftig ausgebildete und schlechtbezahlte Pflegekräfte aus Bangladesch oder der Karibik zukünftig Großbritannien ansteuern, wenn sie dort allein leben sollen? Ganz im Gegenteil, glaubt Christina McAnea von der Gewerkschaft Unison: "Die Migranten werden aufnahmewilligere Länder ansteuern." Cleverlys Plan bedeute für den Pflege- und Gesundheitssektor ein "komplettes Desaster". Ein wenig zurückhaltender drückt es die Arbeitgeberseite aus: Das Regierungsvorhaben sei "sehr besorgniserregend", glaubt Miriam Deakin von NHS Providers.

Zweiter Ruanda-Versuch

Im Abwehrkampf gegen irregulär Eingereiste setzt der Innenminister wie seine beiden Vorgängerinnen Priti Patel und Suella Braverman – alle drei stammen von Immigranten ab – weiterhin auf Ruanda. Anders als die geplanten italienischen Asylcamps in Albanien wollen die Briten nicht ihr eigenes Asylverfahren in ein Drittland verlagern, sondern die Verfahren gegen Zahlung erheblicher Geldsummen (bisher mindestens 162,5 Millionen Euro) gänzlich dem Partnerland aufbürden. "Illegale" Ankömmlinge sollten ohne jede Rückkehrmöglichkeit ins nächste Flugzeug nach Kigali gesetzt werden.

Das Vorhaben richtet sich gegen zehntausende überwiegend junge Männer, die in Schlauchbooten über den Ärmelkanal setzen und dabei Leib und Leben riskieren. Einmal im meist jahrelangen Asylverfahren, werden die Migranten aus vorwiegend Afghanistan, Sudan oder Syrien zu mehr als zwei Dritteln als Hilfesuchende anerkannt. Wenn sie zukünftig ohne jedes Verfahren und ohne Rückkehrmöglichkeit nach Afrika abgeschoben werden, so das Kalkül der Konservativen, werde die abschreckende Wirkung das lukrative Geschäft der Schlepperbanden zerstören.

Nein vom Supreme Court

Diesem Plan hatte jedoch der Supreme Court im November einstimmig eine Absage erteilt. Angesichts der Menschenrechtssituation in dem ostafrikanischen Land könne nicht garantiert werden, dass Asylwerber dort ein faires Verfahren erhalten würden. Vielmehr bestehe die Gefahr ihrer zwangsweisen Rückführung ("refoulement") ins Heimatland, wo ihnen Gefahr für Leib und Leben drohe. Im schriftlichen Urteil verwies das Gericht zudem auf die 100-prozentige Ablehnungsrate Ruandas gegen Asylwerber aus Konfliktzonen wie Syrien, Jemen oder Afghanistan.

Das neue Abkommen enthält nun neue Garantien des umstrittenen Regimes von Präsident Paul Kagame. Anwälte aus Großbritannien und anderen Commonwealth-Ländern – auch das einst von Belgien verwaltete Ruanda gehört dem Verein früherer britischer Kolonien an – sollen umstrittene Fälle vor einem Berufungsgericht verhandeln. In "außergewöhnlichen Fällen" könne die betroffene Person auch nach Großbritannien rückgeführt werden. Zu welchen weiteren Zahlungen sich das Königreich in der Zukunft verpflichtet hat, blieb zunächst geheim. (Sebastian Borger aus London, 5.12.2023)