"24 Türchen mit nachhaltiger Freude", so bewirbt die Supermarktkette Billa einen "nachhaltigen Adventskalender" in ihrem Online-Fotoshop. Der vom Fotodienstleister Cewe produzierte Schoko-Kalender sei "biologisch abbaubar, FSC-zertifiziert und klimaneutral". Dafür unterstützt Kalenderhersteller Cewe seit 2016 ein Waldschutz- und Wiederaufforstungsprojekt in Kenia. Doch Mitarbeitern des "Kasigau Wildlife Corridor"-Projekts wird in einem Anfang November veröffentlichten Bericht vorgeworfen, Mitarbeiterinnen und ortsansässige Frauen mehr als ein Jahrzehnt lang sexuell missbraucht zu haben. Das Landgericht Berlin bezweifelt zudem, dass das Projekt dem Klima nützt.

Waldschutzprojekt in Kenia

Kasigau im Südosten Kenias ist eine der ärmsten Regionen des ostafrikanischen Landes. Seit 2011 ist Wildlife Works einer der wenigen Arbeitgeber vor Ort. Das US-amerikanische Unternehmen hat den Schutz der Trockenwaldfläche zum Geschäftsmodell gemacht. Mit der Unterstützung internationaler Geldgeber wurde aufgeforstet und der Wald unter Schutz gestellt.

Übergriffe seit einem Jahrzehnt

Wovon die Betreiber bei Wildlife Works bisher nichts gewusst haben wollen: Männliche Bedienstete sollen ihre Machtposition im Unternehmen ausgenutzt und "Sex als Gegenleistung für eine Beförderung und bessere Behandlung am Arbeitsplatz" verlangt haben, heißt es in einem kürzlich veröffentlichten Bericht des Centre for Research on Multinational Corporations und der Kenya Human Rights Commission. Im Projekt tätige Frauen seien "seit Jahren von sexueller Belästigung und Missbrauch – einschließlich körperlicher Übergriffe – durch eine kleine Gruppe älterer männlicher Angestellter" betroffen. Wer sich den Annäherungsversuchen verweigerte, hatte mit "Mobbing, Einschüchterung, Verweigerung von Beförderungen oder anderen arbeitsbezogenen Leistungen" zu rechnen. Dieses System bestehe seit "einem Jahrzehnt oder länger".

Beschwichtigung des Betreibers

Wildlife Works reagierte auf den Bericht und beteuerte, es handle sich lediglich um zwei Personen, gegenüber deren "zutiefst unangebrachtem Verhalten" man "null Toleranz" zeigen werde. Auf STANDARD-Nachfrage verweist Billa auf den Hersteller des Adventkalender Cewe. Auf einen umfangreichen Fragenkatalog antwortet Cewe in einem knappen Statement, man nehme die Vorwürfe "sehr ernst" und prüfe "intensiv, ob und in welcher Form wir das Projekt weiter unterstützen". Eine Entscheidung werde man "nach Vorlage sämtlicher Fakten und sorgfältiger Abwägung treffen".

Zebras, Elefanten und Löwen leben im kenianischen Schutzgebiet Kasigau, für dessen Aufforstung westliche Unternehmen in Namen der CO2-Kompensation Geld bezahlen.
Zebras, Elefanten und Löwen leben im kenianischen Schutzgebiet Kasigau, für dessen Aufforstung westliche Unternehmen in Namen der CO2-Kompensation Geld bezahlen.
APA/AFP/FREDRIK LERNERYD

Bisher war das Projekt Kasigau eines der Aushängeschilder der CO2-Kompensationsindustrie. Die 2000 Quadratkilometer des Kasigau-Schutzgebietes beherbergen tausende Elefanten, Zebras und Löwen. Laut Climate Partner, einem der größten Händler von CO2-Gutschriften im deutschsprachigen Raum und Cewe-Kooperationspartner, ist das Gebiet von Abholzung und Brandrodung bedroht. "Um den Kasigau Wildlife Corridor zu schützen, werden Ranger in der lokalen Bevölkerung ausgebildet, die das Gebiet bewachen und verteidigen". Dies schaffe Einkommensmöglichkeiten für die hiesige Bevölkerung und helfe, "den Raubbau an der Natur einzudämmen". Zudem sollen die "Geschlechtergleichheit" sowie "Gesundheit und Wohlergehen" der Ortsansässigen mit dem Projekt befördert werden.

Climate Partner geht auf Distanz

Das Unternehmen Climate Partner, welches die CO2-Gutschriften aus Kasigau an Cewe verkauft hatte, zeigt sich über die Vorwürfe "sehr bestürzt". Man habe "unmittelbar nach Kenntnisnahme der Vorwürfe entschieden, das Projekt auszusetzen," so Climate Partner gegenüber dem STANDARD. Fragen, wie viel Geld geflossen war, ließen Cewe und Climate Partner unbeantwortet.

Kasigau als Aushängeschild der CO2-Industrie

Noch 2017 wurde das Projekt beim Ranking des Newsportals Environmental Finance als bestes Klimaschutzprojekt ausgezeichnet. Eine Netflix-Doku über das kenianische Waldschutzprojekt wurde Anfang des Jahres zum "Best Human and Nature Short Film" des Wildlife Conservation Film Festival gekürt. Neben Netflix kauften auch andere namhafte Unternehmen CO2-Gutschriften des renommierten Projekts, darunter Porsche Consulting, Allianz SE, Nestlé, die Europäische Investitionsbank, die Wiener Filmproduktionsfirma Terra Mater Studios, der oberösterreichische IT-Dienstleister ACP TEKAEF – und Cewe.

Waldschutz finanzieren und CO2 emittieren

Hinter der Idee der "CO2-Kompensation" steckt der Versuch, Emissionen, die bei der Produktion eines Produkts entstehen, an anderer Stelle – eben in Kasigau – wieder auszugleichen. Zum Beispiel indem Bäume gepflanzt oder vor der Abholzung bewahrt werden. Indem Unternehmen CO2-Gutschriften zur Finanzierung solcher Waldprojekte kaufen, sollen sie den Klimaschaden ihrer Produktion wettmachen. Weltweit ist der private Handel mit CO2-Gutschriften mittlerweile millionenschwer.

Kritikwürdiger CO2-Ausgleich

Wissenschafter und Wissenschafterinnen haben unter Leitung von Thales A. P. West (Universität Cambridge) 26 derartige Projekte in Südamerika, Afrika und Asien untersucht. In ihrem Artikel, der im August im Fachmagazin "Science" erschien, kritisieren sie, die Waldschutzprojekte seien zwar "ökonomisch effektiv für die Betreiber", aber "ineffektiv für den Klimaschutz". Nur sechs Prozent der verkauften Zertifikate würden die versprochenen Emissionen einsparen.

Auch das Projekt in Kasigau stand schon länger in der Kritik. Ein Forscherteam der Universität Kopenhagen kam 2016 zum Schluss, dass das Projekt auf Kosten lokaler Gemeinschaften gehe, welche in dem Gebiet Brennholz sammelten und Jagd betrieben. In der Praxis seien Entwicklungen hin zu einer gerecht verteilten Landnutzung "hinter den Erwartungen zurückgeblieben," heißt es in dem im Fachmagazin "Land Use Policy" veröffentlichten Artikel.

Gericht verbietet "Klimaneutral"-Label

Am 11. Oktober untersagte das Landgericht Berlin dem Essenslieferdienst Hello Fresh, sich als "klimaneutrales Unternehmen" darzustellen, eine solche Werbung sei "irreführend". Hello Fresh kompensierte seine Emissionen auch mit CO2-Gutschriften aus dem Kasigau-Wildlife-Corridor-Projekt. Die Verbraucherschutzorganisation Deutsche Umwelthilfe argumentierte in der Klage, das Projekt sei "von vornherein nicht geeignet, zu einer Reduzierung von CO2-Emissionen beizutragen", denn es sieht vor, dass die Bäume nur bis 2034 geschützt sind – dann könnten diese gerodet und die versprochene CO2-Speicherung hinfällig sein. Das Landgericht urteilte, "dass eine Klimaneutralität durch den Erwerb der entsprechenden Zertifikate nicht erzielt werden kann."

Hello Fresh würde das Urteil respektieren, man habe schon vor Verkündung beschlossen, die beanstandeten Projekte "nicht weiterzuverwenden", so eine Sprecherin von Hello Fresh auf STANDARD-Anfrage. In Billas Onlineshop bewirbt man bis heute, einen Monat nach Erscheinen des Berichts über mutmaßlichen strukturellen sexuellen Missbrauch Cewes, "24 Türchen mit nachhaltiger Freude". (Johannes Greß, Christof Mackinger, 7.12.2023)