Schnee Wien Dezember
Viel Schnee im Dezember gab es auch in Wien.
IMAGO/Bianca Otero/ZUMA Wire

Mehr hat es offenbar nicht gebraucht. Nach dem frühen Wintereinbruch bis in tiefe Lagen in Österreich und Deutschland war für viele schnell klar: Die globale Erderwärmung ist widerlegt, die Warnung unzähliger Forschender als "Klimalüge" enttarnt – so der in bestimmten Kreisen verwendete Diffamierungsbegriff. In sozialen Medien machten unter Bildern von tiefverschneiten Landschaften schnell Hashtags wie #Klimaterrorismus und #Klimahysterie die Runde. Zweifelhafte Scherze, dass es doch "nie mehr Schnee geben würde", zählten noch zu den harmloseren Postings.

Global wärmstes Jahr

Doch wie passen die starken Schneefälle und die globale Erderwärmung nun zusammen? Zunächst muss man festhalten, dass die kalten Temperaturen derzeit begrenzt in Nordeuropa und Teilen Mitteleuropas auftreten. In den meisten Regionen der Welt und selbst in großen Teilen Europas ist es wie schon das ganze Jahr über deutlich zu warm. Bereits jetzt ist klar: 2023 wird das wärmste Jahr seit Messbeginn werden. Und auch wenn es in unseren Breitengraden im Schnitt nachweislich wärmer wird: Punktuelle Wetterereignisse wie zuletzt der Kälteeinbruch mit markantem Schneefall wird es auch weiterhin geben. Klimawandelbedingt können solche Ereignisse dann sogar intensiver ausfallen.

Denn höhere Temperaturen sorgen für mehr Wasserdampf in der Atmosphäre und punktuell auch für mehr Niederschlag. Vor wenigen Monaten etwa zeigte sich das in der aufgeheizten Mittelmeerregion eindrücklich, wo die Wassertemperaturen im Schnitt zwei bis drei Grad wärmer als im langjährigen Schnitt waren. Im Osten Griechenlands in Zagora kamen beim Durchzug eines Tiefdruckgebiets innerhalb von 24 Stunden 754 Liter pro Quadratmeter zusammen, das ist deutlich mehr als die durchschnittliche Jahressumme für Wien. Berichte von 1000 Litern pro Quadratmeter während des Extremereignisses konnten offiziell nicht bestätigt werden. Die Messstationen konnten die bis dato ungeahnten Regenmengen nicht mehr verarbeiten.

Video: EU-Klimawandelbehörde: 2023 heißestes Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen.
AFP

Der Kampf um den Jetstream

Aber auch die Zirkulation von Wettergebieten verändert sich. Zuletzt war vor allem im Sommer bei uns das Phänomen zu beobachten, dass die Persistenz, also das Anhalten von Wetterlagen, länger wird. Hochs mit Hitze und Trockenheit kamen ebenso wenig vom Fleck wie Tiefdruckgebiete mit Starkregen. Ob dies mit der überdurchschnittlichen Erwärmung der Arktis zusammenhängt, ist noch umstritten.

Da sich die Region um den Nordpol durch den Rückzug von reflektierendem Schnee und Eis deutlich stärker erwärmt als die mittleren Breiten, verringert sich der Temperaturunterschied zwischen den beiden Regionen. Dadurch verlangsamt sich aber der Jetstream, ein Windband, das die Wettergebiete weitertransportiert – so zumindest die These.

Das Jahr 2023 schlägt bisher alle Rekorde, was die Temperatur betrifft.
Copernicus Climate Change Service/ECMWF

Laut dem Klimaforscher Marc Olefs von Geosphere Austria kann man die erhöhte Persistenz in Mitteleuropa bisher nur im Sommerhalbjahr beobachten, sie befinde sich auch noch innerhalb der natürlichen Schwankungsbreite. "Was wir aber definitiv sehen, ist, dass Mitteleuropa im Sommer stärker im Einfluss von Subtropenhochs steht, was weniger Niederschläge bedeutet", erklärt Olefs.

Anders als in der Arktis, wo sich die bodennahen Schichten erwärmen, führe der globale Temperaturanstieg in den Tropen zu mehr Wasserdampf, der in höheren Atmosphärenschichten durch die Umwandlung in Tröpfchen zu einer starken Erwärmung führe. Das vergrößere den Temperaturunterschied der Tropen zu den mittleren Breiten und wirke in puncto Jetstream dem arktischen Phänomen entgegen. "Der Kampf um den Jetstream ist folglich noch nicht entschieden", sagt Olefs.

Schneedecke nimmt ab

Doch zurück zur aktuellen Schneelage in unseren Breitengraden. Wie selten solche Ereignisse mittlerweile sind, zeigt ein Blick in langjährige Messreihen. Mehr als 20 Zentimeter Schnee im Dezember gab es in Bregenz, Innsbruck und Salzburg zuletzt vor neun Jahren, tiefere Temperaturen im Dezember liegen in Wien und St. Pölten schon 13 Jahre zurück. Aussagekräftiger ist aber die gemessene Schneedeckendauer, die zwar starke natürliche Schwankungen aufweist, seit 1929 und besonders seit den 1990er-Jahren im Schnitt aber deutlich abnimmt. Dass die wärmere und feuchtere Atmosphäre bei lokalen Einzelereignissen für mehr Niederschlag sorge, ändere nichts daran, dass die Schneemengen langfristig gesehen weniger werden – und zwar in allen Höhen.

Schneedeckendauer in Wien
Schneedeckendauer in Wien seit 1929
Geosphere

"Selbst in 1500 bis 2000 Meter Seehöhe hat die Schneedeckendauer seit den 1960er-Jahren um 25 Prozent abgenommen. Je weiter man hinaufgeht, desto weniger fällt es uns auf, weil dort weniger der Kernwinter, sondern eher Spätherbst und Frühling betroffen sind", sagt Olefs. Wenn man es nicht schaffe, die globale Klimaerwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen, dürfte es allerdings auch für die Zone ab 1500 Metern, die für den Skitourismus besonders wichtig ist, düster aussehen. "Unsere physikalisch gestützten Modelle gehen dann von noch einmal 20 Prozent weniger Schneedeckendauer aus."

Bei Schneehöhen von über 30 Zentimeter drohe gar ein Rückgang um 40 Prozent, wenn die Klimaerwärmung ungebremst weitergehe. Am Ende des Jahrhunderts seien für diese Höhenlage dann nur noch knapp zwei Monate Naturschnee zu erwarten. Teilweise kann der fehlende Schnee natürlich durch künstlich erzeugten kompensiert werden. Der Aufwand und die Kosten steigen dadurch allerdings noch einmal deutlich an.

Schnee auf der Jesuitenwiese, Winter in Wien, Rodeln, Kinder
Rodeln in Wien wird bei einer Klimaerwärmung von zwei Grad und mehr zur Seltenheit.
© Christian Fischer

Selbst dann könne es weiterhin kurzfristige Phasen mit viel Schnee geben, langfristig werden der Schnee und die maximalen Schneehöhen besonders in tiefen und mittleren Lagen aber abnehmen. Das würden sowohl die Messungen der vergangenen Jahrzehnte als auch die Berechnungen für die Zukunft mit regionalen Klimamodellen zeigen, ist Olefs überzeugt. Dass viele Menschen angesichts der aktuellen Wetterbedingungen solche Prognosen, aber auch historische Wetterdaten infrage stellen, überrascht den Klimaforscher nicht.

Wetter ist nicht gleich Klima

"Gerade bei Schnee gibt es viele natürliche Schwankungen, da Temperatur und Niederschlag zusammenkommen", erklärt Olefs. Da es in den vergangenen Jahren gerade in den Niederungen weniger oft markante Schneefälle gegeben habe, falle so ein Ereignis umso mehr auf. Hinsichtlich des langfristigen Klimawandels sei das aber trügerisch. "Was wir draußen erleben, ist Wetter, und das prägt unseren unmittelbaren Eindruck. Leider helfen uns diese Eindrücke aber nicht immer, langfristige Änderungen wahrzunehmen. Um klimatische Änderungen zu begreifen, helfen nur lange, geprüfte Messzeitdaten. Und die sprechen eine eindeutige Sprache." (Martin Stepanek, 6.12.2023)