Junge Frauen demonstrieren gegen Gewalt an Frauen.
Im Fokus einer feministischen Außenpolitik stehen Menschenrechte und Gleichberechtigung.
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Zwei Monate hatte es gedauert, bis sich die UN-Frauenorganisation zu den gezielten sexuellen Gewaltverbrechen der Terrororganisation Hamas am 7. Oktober zu Wort meldete. Augenzeugenberichte und forensische Beweise offenbarten bis dahin grausames; darunter schwere Fälle sexuellen Missbrauchs, Verstümmelungen und Vergewaltigungen. Auch US-Präsident Joe Biden äußerte sich am Dienstag zu den Taten der Hamas: Man müsse die "entsetzliche" sexuelle Gewalt an Mädchen und Frauen während des Hamas-Angriffs weltweit verurteilen.

Dabei stellt der Kampf gegen sexuelle Gewalt lediglich einen der zahlreichen Aspekte dar, die eine feministische Außenpolitik kennzeichnen. Diese fordert einen grundlegenden Paradigmenwechsel: von einer traditionellen Außenpolitik, die vorrangig von Gewalt und Machtbestrebungen geprägt ist, hin zu einer, die Menschenrechte und Gleichberechtigung in den Vordergrund stellt.

Was bedeutet feministische Außenpolitik?

Es war die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, die mit ihrer Forderung einer feministischen Außenpolitik seit Beginn ihrer Amtszeit für Aufsehen sorgte. Im März dieses Jahres stellte sie ihre Leitlinien für eine feministische Außenpolitik vor. Dabei geht es vor allem darum, bestehende Machtverhältnisse zu hinterfragen und Menschenrechte in den Fokus zu stellen, Geschlechtergerechtigkeit voranzutreiben und Ungleichheiten zu verringern. Damit soll präventiv gegen Konflikte und Krisen vorgegangen werden. So sei die Gewaltbereitschaft eines Staates laut Untersuchungen umso niedriger, je gleichberechtigter Frauen dort sind, erklärt Sybille Straubinger, Direktorin des Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation (VIDC) im Rahmen einer Veranstaltung zum Thema feministische Außenpolitik. Und auch die Wahrscheinlichkeit für eine nachhaltige Friedenslösung würde ansteigen, wenn Frauen daran beteiligt seien.

Auf die Frage, weshalb es den Zusatz "feministisch" überhaupt benötige, erklärt Expertin Kristina Lunz, Co-CEO des Centre for Feminist Foreign Policy, in einem Beitrag des ZDF: "Aktuell zählen die Menschenrechte von beispielsweise weißen, christlichen, heterosexuellen Männern am allermeisten in der Welt, und die Rechte von anderen Menschen um einiges weniger." Um diese Lücke nochmals zu betonen, verwende man den Begriff "feministisch".

Was unterscheidet feministische von traditioneller Außenpolitik?

Traditionelle Außenpolitik fokussiere hauptsächlich auf militärische Sicherheit und wirtschaftliche Beziehungen; feministische Außenpolitik hingegen stelle vor allem Menschenrechte und menschliche Sicherheit in den Vordergrund, erläutert Kristina Lunz, bei einem Pressegespräch. Eine feministische Außenpolitik hat den Anspruch, die Lebensrealitäten aller Menschen zu berücksichtigen und – so die Worte Annalena Baerbocks –, nicht auszugrenzen, sondern zu erweitern.

Grundsätzlich stehe sie auch für Abrüstung und nachhaltige Friedenslösungen. Wie dieses Konzept mit Waffenlieferungen an die Ukraine vereinbar ist, erklärt Baerbock so: "In einer Welt, in der Waffen genutzt werden, um einen Regelbruch durchzusetzen, sind wir verpflichtet, dem Opfer – in diesem Fall der Ukraine – mit Waffenlieferungen beizustehen." Waffen müssten geliefert werden, wenn dadurch ein Mehr an Gewalt an der Zivilbevölkerung verhindert werden könne.

Wie sieht feministische Außenpolitik in der Praxis aus?

Schweden führte 2014 als erstes Land eine feministische Außenpolitik ein, die allerdings mittlerweile durch einen Regierungswechsel wieder verworfen wurde. Die Ex-Außenministerin Schwedens, Ann Linde, sah und sieht dennoch einen großen Mehrwert darin, in allen Politikfragen durch eine "Genderlinse" zu blicken. Als Beispiel dafür, wie notwendig eine solche Perspektive sei, nennt sie Handelsabkommen: Vom Kleinen – etwa unterschiedliche Einfuhrzölle bei Kleidungsstücken – bis zum potenziell Lebensentscheidenden – etwa Sicherheitsnormen – sei hier alles für Männer und deren Bedürfnisse konzipiert.

Im Allgemeinen fuße der schwedische Ansatz laut Linde auf den drei "R": Stärkung der Rechte, Repräsentation und Ressourcen. Unter konkrete Maßnahmen fallen dabei, so Lunz, mehr Gelder für humanitäre Hilfe, Stärkung der Rechte von Minderheiten, mehr Teilhabe an Friedensprozessen und wesentlichen Entscheidungen.

Wie steht man in Österreich zu einer feministischen Außenpolitik?

Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg nannte die Gleichstellung von Frauen und den Schutz ihrer Rechte ein zentrales Anliegen im Rahmen der österreichischen Außenpolitik. Man müsse die Perspektive von Frauen und Mädchen nicht nur mitdenken, sondern auch ins Zentrum der außenpolitischen Arbeit rücken.

Diese Strategie wird vonseiten des Außenministeriums als "ganzheitlicher" Ansatz bezeichnet, das Wort feministisch wird dabei nicht explizit benannt. Auf Anfrage des STANDARD erklärte das ÖVP-geleitete Außenministerium, man lebe "die Strategie einer feministischen Außenpolitik bereits, ohne diese speziell als solche zu betiteln". Auf internationaler Ebene engagiere man sich schon lange für die Umsetzung der Uno-Sicherheitsratsresolution 1325 "Frauen, Friede, Sicherheit", und auch auf diplomatischer Ebene würde man Frauenrechte stets einfordern.

Innerhalb der österreichischen Parteienlandschaft bekennen sich SPÖ und Grüne klar zu einer feministisch ausgerichteten Außenpolitik. Auch für die Neos sei eine menschenrechtsbasierte Außenpolitik, die darauf abzielt, patriarchale Strukturen zu verändern, wesentlich. Dabei seien laut SPÖ die bloße Förderung von Frauenprojekten, eine geschlechtssensible Sprache und die Berücksichtigung von Frauen bei Personalentscheidungen zwar wichtige Elemente, aber längst keine feministische Außenpolitik – dazu bräuchte es umfassendere und tiefgreifendere Strategien.

Auch den Grünen sei es ein Anliegen, dass das Konzept der feministischen Außenpolitik keine leere Worthülse bleibt, sondern sich in konkreten, praxistauglichen Maßnahmen widerspiegelt. Es gäbe hier, laut der Grünen außenpolitischen Sprecherin Ewa Ernst-Dziedzic, noch viel zu tun. Die FPÖ legt nach eigenen Angaben "ihren politischen Schwerpunkt insgesamt zum allergrößten Teil auf das Inland", weshalb eine feministische Außenpolitik für sie keine Priorität habe.

Was wird an der feministischen Außenpolitik kritisiert?

Die Ausgestaltung einer feministischen Außenpolitik sieht sich allerdings auch mit kritischen Stimmen konfrontiert. Laut Birgit Sauer, ehemalige Politikwissenschafterin der Universität Wien, werde in den Leitlinien Baerbocks zwar die Überwindung der "historisch gewachsenen Machtstrukturen" betont, allerdings bleibe deren Definition vage. Eine Kritik an den bestehenden globalen Macht- und vor allem ökonomischen Herrschaftsstrukturen fehle, genauso wie die Erwähnung von Sorgearbeit. Frauen sollen, so Sauer, vor allem besser in das bereits bestehende System integrieren werden.

Auch die Literaturwissenschafterin Jasamin Ulfat-Seddiqzai findet in den Leitlinien Baerbocks "wenig Innovatives", wie sie in einem Kommentar für Deutschlandfunk Kultur schreibt. Das Papier lese sich eher "wie ein Wohlfühlpaket für die eigene Wählerschaft". Widersprüche zeigen sich etwa bei der Aufnahme gefährdeter Afghaninnen in Deutschland: Obwohl die Leitlinien betonen würden, wie wichtig deren Aufnahme sei, arbeite Verkehrsminister Wissing daran, die private Seenotrettung zu erschweren. (Vanessa Steiner, 9.12.2023)