Schon in der Vergangenheit wurden Journalistinnen und Journalisten EU-weit mithilfe von Software durch den Staat überwacht. Die Forderung von sieben Mitgliedsstaaten würde dies nachträglich legitimieren.
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Das geplante EU-Gesetz zum Schutz der Medienfreiheit soll die Pressearbeit europaweit stärken. Doch nun drängen mehrere Mitgliedsstaaten – federführend Frankreich – bei den Verhandlungen mit dem EU-Parlament darauf, es an entscheidender Stelle zu schwächen. Interne Dokumente, die den Rechercheteams Investigate Europe, Disclose und Follow the Money sowie dem STANDARD vorliegen, zeigen: Frankreich, Finnland, Griechenland, Italien, Malta, Schweden und Zypern wollen die Überwachung von Journalistinnen und Journalisten einschließlich des Einsatzes von Spionagesoftware auf deren Telefonen legitimieren, wenn ihre Sicherheitsbehörden dies zum "Schutz der nationalen Sicherheit" für nötig halten.

"Dies ist der schwierigste Teil im Kampf um diesen Gesetzestext", sagt die rumänische EU-Abgeordnete Ramona Strugariu von der liberalen Fraktion (Renew), eine Mitberichterstatterin für den European Media Freedom Act (EMFA). Nach 15 Monaten Verhandlungen zwischen den Mitgliedsstaaten im Rat der EU und im EU-Parlament müssen sich die beiden Institutionen im Trilog, unter Einbeziehung der EU-Kommission, auf einen gemeinsamen Text einigen. Die entscheidende Sitzung ist für den kommenden Freitag angesetzt. Dann treffen abseits der Kameras zwei grundsätzlich verschiedene Positionen aufeinander.

Dabei geht es um den Schutz von Informantinnen und Informanten der Medien vor Benachteiligung oder Verfolgung. Dies sei "eine der Grundvoraussetzungen für die Pressefreiheit", wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im September des Vorjahrs befand. Ohne den Schutz der Quellen könne "die lebenswichtige Rolle der Presse als Wächterin der Öffentlichkeit untergraben werden".

Schranken für Spyware

Darum hat das EU-Parlament am 3. Oktober mit großer Mehrheit einen Gesetzestext verabschiedet, der im dafür vorgesehenen Artikel 4 der staatlichen Überwachung von Journalistinnen enge Grenzen setzt. Demnach dürfen sie nur abgehört oder mittels Spionagesoftware ausgeforscht werden, wenn dies

Zuvor hatte aber der Rat der EU am 21. Juni auf Druck der französischen Regierung und letztlich mit Zustimmung aller Regierungen außer jener von Ungarn und Polen eine Version des Gesetzes verabschiedet, die dem Artikel zum Verbot der Ausforschung von Journalisten einen umstrittenen Absatz hinzufügt: "Dieser Artikel berührt nicht die Verantwortung der Mitgliedsstaaten für den Schutz der nationalen Sicherheit", soll es dort heißen.

Nach Meinung der Regierungsjuristen fügt "diese Formulierung nichts Neues hinzu, sondern verweist nur auf das, was ohnehin nach dem EU-Vertrag gilt", erklärte etwa Martin Persson, der zuständige Beamte im Kulturministerium von Schweden, dessen Regierung den Vorsitz bei den Verhandlungen im Rat führte. Das behauptete zunächst auch die deutsche Bundesregierung. Der Zusatzartikel sei nur "eine Klarstellung, die keinerlei neue Eingriffsrechte in journalistische Freiheiten begründen soll", erklärte Sprecher der zuständigen grünen Kulturministerin Claudia Roth bereits im Juni.

Renate Schröder, Direktorin der Europäischen Journalisten-Föderation, hält das für irreführend. "Diese vage Formulierung würde das Risiko einer möglichen Umgehung des beabsichtigten Schutzes der Quellen von Journalisten mit sich bringen", warnt Schröder. "Und dies in einer Zeit, in der immer mehr Regierungen dazu neigen, Sicherheitserwägungen auf Kosten der Menschenrechte und der Freiheit der Medien auszuweiten."

Frankreich will EU-Gerichte umgehen

Tatsächlich obliegt nach dem geltenden EU-Vertrag die Wahrung der nationalen Sicherheit allein den Nationalstaaten. Aber der Europäische Gerichtshof hat mehrfach geurteilt, dass die Berufung auf dieses Prinzip es nicht rechtfertigt, EU-Gesetze zu brechen. Darum verboten die Richter etwa im Oktober 2020 unter Verweis auf die Richtlinie zum Datenschutz in der elektronischen Kommunikation den französischen Behörden, Internetprovider zur Speicherung ihrer Kundendaten auf Vorrat zu zwingen. "Die bloße Tatsache, dass eine nationale Maßnahme zum Schutz der nationalen Sicherheit getroffen wurde, kann die Mitgliedsstaaten nicht von der erforderlichen Beachtung des Unionsrechts entbinden", stellten die Richter damals klar.

Wegen dieser Niederlage, so heißt es in Kreisen der Kommission, wollen die französische Regierung und ihre Mitstreiter aus anderen Ländern nun mit diesem Zusatzartikel erreichen, dass die nationalen Gerichte mögliche Streitfälle gar nicht erst dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen. So könnten sie allein entscheiden, wann der Schutz der Journalistinnen und Journalisten vor Ausforschung ihre Verantwortung für die nationale Sicherheit "berührt" – und darum außer Kraft gesetzt werden darf. Die harte französische Position spiegelt die politischen Kultur des Landes. Unter dem Eindruck der schweren Terroranschläge und der Furcht vor Spionen in Diensten der Regime in Russland und China haben die Sicherheitsbehörden großen Einfluss und wehren sich gegen jede mögliche Einmischung von außen.

Predator auf dem Smartphone

Bliebe es dabei, würde per EU-Gesetz nachträglich legalisiert, wie manche EU-Staaten schon bisher widerrechtlich kritische Journalisten ausgeforscht haben. Dabei hatten sich die Regierungen in Griechenland, Spanien, Bulgarien, Polen und Ungarn auch auf die "nationale Sicherheit" berufen, um den Einsatz der Spähprogramme Pegasus und Predator gegen regierungskritische Journalisten zu rechtfertigen. Das EU-Parlament hatte daher eigens einen Untersuchungsausschuss zum Thema eingesetzt und gefordert, den Verkauf von Spähsoftware so lange zu verbieten, bis rechtlich klar definiert ist, in welchen Ausnahmefällen der Staat sie einsetzen darf.

Entsprechend scharf protestieren darum auch Journalisten und Verleger gegen den fragwürdigen Paragrafen in dem Gesetz, das eigentlich die Medienfreiheit schützen soll. "Wir sind zutiefst besorgt über die abschreckende Wirkung, die sich ergeben könnte, wenn im endgültigen Text Bedingungen für die Offenlegung von Quellen festgelegt werden, die nicht den internationalen Menschenrechtsstandards entsprechen", heißt es in einem offenen Brief, den 17 europäische Medien- und Journalistenverbände und Institute vergangene Woche an Rat und Parlament richteten.

So klingt das auch bei dem deutschen grünen Europaabgeordneten Daniel Freund, der dem für diesen Artikel im Gesetz zuständigen Rechtsausschuss (Libe) angehört. "Regierungen haben auf den Telefonen von Journalist:innen nichts zu suchen. Dafür haben wir im Europäisches Parlament vorgesorgt. Es kann nicht sein, dass die Mitgliedsstaaten jetzt versuchen, diesen Schnüffelparagrafen durch die Hintertür wieder einzuführen", mahnt er. Genauso sieht das der rechtskonservative französische Abgeordnete Geoffroy Didier, der für den Binnenmarktausschuss die Verhandlung zum EMFA führte. Er fordert die Regierung Macron ausdrücklich auf, "ihren Plan aufzugeben, Journalisten legal abzuhören. Diese europäische Verordnung muss den Pluralismus schützen und darf keine Bespitzelung zulassen", fordert er.

Beibehaltung "rote Linie"

Bisher ist offen, ob am Ende tatsächlich eine qualifizierte Mehrheit der EU-Regierungen auf dem Sonderrecht für ihre Sicherheitsbehörden bestehen wird oder doch einem Kompromiss zustimmt, der die Grundrechte wahrt. Aus dem Protokoll der jüngsten Sitzung des EU-Rats der ständigen Vertreter zum Thema vom 22. November geht hervor, dass nur eine Minderheit auf dem umstrittenen Zusatzparagrafen besteht. Demnach hat die italienische Regierung die Beibehaltung des Absatzes über die nationale Sicherheit (in Artikel 4) sogar als "rote Linie" definiert, sodass sie also einer Streichung nicht zustimmen wird. Auch die Vertreter von Frankreich, Finnland und Zypern erklärten, sie seien in dieser Frage "nicht sehr flexibel". Schweden, Malta und Griechenland seien auf der gleichen Linie "mit einigen Nuancen", heißt es in dem Dokument, das von einem hochrangigen deutschen Beamten verfasst wurde, der an dem Treffen teilnahm.

Obwohl diese sieben Staaten nur 34 Prozent der europäischen Bevölkerung repräsentieren, könnten sie mit einer sogenannten Sperrminorität im Rat jeden Kompromiss blockieren, weil die Regierung Ungarns für weitere rund zwei Prozent der EU-Bürger das Gesetz ohnehin ablehnt und für eine Zustimmung die Befürworter mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten müssen. Auch um eine solche Kampfabstimmung zu vermeiden, folgten bisher die meisten anderen Regierungen der französisch-italienischen Linie. Nur der Vertreter Portugals kritisiert offen die Ausnahme im Namen der nationalen Sicherheit. Auf Anfrage erklärte die portugiesischen Vertretung in Brüssel, man sei "besorgt über die künftigen Auswirkungen, die diese Bestimmung nicht nur auf die Freiheit der Berufsausübung von Journalisten, sondern auch auf die europäische Zivilgesellschaft haben könnte".

Immerhin sind die sieben Hardliner im Rat zu kleineren Zugeständnissen bereit. Zusammen mit der Mehrheit sind sie bereit, die vom EU-Parlament geforderte "Zustimmung einer unabhängigen Justizbehörde" vor dem Bruch des Quellenschutzes hinzuzufügen. Auch der "regelmäßigen Überprüfung des Einsatzes von Überwachungstechnologien" könnten sie zustimmen, signalisierten sie.

Hausdurchsuchung wegen Geheimdienstpapiers

Christophe Bigot, Anwalt und Experte für Presserecht, hält das allerdings zumindest im Fall Frankreich für ein Ablenkungsmanöver. "Jeder Verweis auf die nationale Sicherheit könnte ausreichen, um einen Journalisten zu verfolgen oder zu überwachen", warnt Bigot. Die vorherige Zustimmung eines Richters wäre nur eine "Änderung auf dem Papier, da diese schon jetzt für Durchsuchungen bei Journalisten oder Redaktionen von einem Ermittlungsrichter fast immer genehmigt werden".

Das belegen nicht zuletzt die jüngsten Ermittlungen gegen die Journalisten der französischen Rechercheplattform "Disclose". Die bloße Tatsache, dass sie aus geheimen Dokumenten über die Verstrickung französischer Geheimagenten in die Ermordung von Zivilisten durch Sicherheitsbehörden in Ägypten zitierten, reichte dem Richter aus, um ihre Wohnungen durchsuchen und ihre Computer und Telefone beschlagnahmen zu lassen.

Frankreich steht denn auch bei der Forderung nach dem Sonderartikel zur nationalen Sicherheit an vorderster Front, wie Dokumente des Rates der EU zeigen. Bereits am 21. Oktober 2022 setzte sich die Regierung von Elisabeth Borne für eine "ausdrückliche Ausschlussklausel" für das gesamte Medienfreiheitsgesetz ein, falls die nationale Sicherheit betroffen wäre.

Staatstrojaner verfassungswidrig

Was bedeutet das alles für Österreich? Die heimische Regierung hat sich Ende vergangenen Jahres noch grundsätzlich kritisch zu dem Gesetz geäußert, wie dem STANDARD vorliegende Dokumente aus dem November 2022 zeigen. Heuer hat sie aber umgeschwenkt: Die Ausnahmebestimmung für "nationale Sicherheit" unterstützt Österreich nicht explizit, spricht sich aber auch nicht dagegen aus.

Eine Überwachung von Journalistinnen und Journalisten anhand eines Bundestrojaners wäre hierzulande aktuell grundsätzlich rechtswidrig – der Verfassungsgerichtshof hat 2019 ein entsprechendes Gesetz der damaligen türkis-blauen Regierung gekippt. Allerdings fordert die ÖVP seitdem laufend eine verfassungskonforme Variante eines Bundestrojaners. Ohne einen konkreten Vorschlag könne eine solche nicht bewertet werden, sagt der Rechtsinformatiker Nikolaus Forgó von der Universität Wien. Allerdings bezweifle er, dass Bundestrojaner überhaupt "verfassungskonform umsetzbar sind, und erst recht nicht, wenn sie sich gegen Journalisten richten".

In der aktuellen Regierung wird ein neuer Anlauf für Überwachungssoftware von den Grünen verhindert. Auch die anderen Parlamentsparteien sprachen sich bisher alle dagegen aus. Dies war jedoch vor der türkis-blauen Koalition ab 2017 auch so, die FPÖ schwenkte bei ihrer Regierungsbeteiligung schließlich um.

Auch sonst genießen Medien einen besonderen Schutz: Im Falle einer Sicherstellung ihrer Smartphones oder Laptops dürfen Journalisten als sogenannte Berufsgeheimnisträger dem widersprechen. In dem Fall landen die Geräte versiegelt vor einem Gericht, das entscheidet, ob Ermittlungsbehörden darauf zugreifen dürfen.

Deutschland ringt um Kompromiss

Ob Frankreich sich am Ende durchsetzt, hängt nun davon ab, wie die Vertreter des EU-Parlaments verhandeln werden. Wenn sie hart bleiben, laufen sie Gefahr, dass das Gesetz vorerst komplett scheitert. Dieses soll die Pressefreiheit umfassend stärken: Mit der Verordnung würden etwa Mindeststandards wie die Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Fernsehens oder der Schutz der Redaktionen vor staatlichen Eingriffen EU-weit verpflichtend. Geben sie aber zu früh nach, könnte das Gesetz mit einer Lücke, die den Quellenschutz für Journalisten aushebelt, in Kraft gesetzt werden.

Das Parlament könne akzeptieren, dass mit dem Rat eine präzisere Liste von Straftaten erstellt werde, für die eine Überwachung von Journalisten erlaubt werden könnte, sagt ein Mitarbeiter des Parlaments, der mit den Verhandlungen vertraut ist. Aber die Rücknahme der generellen Ausnahmeregelung für die nationale Sicherheit sei die "rote Linie" für das Parlament.

Um die Blockade zwischen den beiden Seiten zu überwinden, unternahm die deutsche Bundesregierung nun in letzter Minute einen Versuch, das Gesetz zu retten. "Medien-Staatsministerin Claudia Roth hat erreicht, dass Bund und Länder auf die ausdrückliche Erwähnung der 'nationalen Sicherheit' im EMFA verzichten", sagte ihr Sprecher. Die offizielle deutsche Position schlägt nun folgende Formulierung für den entsprechenden Absatz vor: "Dieser Artikel berührt nicht die Verantwortung der Mitgliedsstaaten für den Schutz der Bereiche, für die sie allein zuständig sind."

Ob diese Formulierung das Problem tatsächlich lösen wird, selbst wenn Parlament und Rat sie billigen, ist jedoch keineswegs sicher. Am Ende dürften wohl doch die EU-Richter in Luxemburg entscheiden. (Alexander Fanta, Pascal Hansens, Ariane Lavrilleux, Harald Schumann, Muzayen Al-Youssef, 12.12.2023)