Einkaufen und dabei etwas Gutes tun. Das Klima schützen, Jobs und damit auch Wohlstand in Österreich erhalten. Nichts Geringeres wird den Konsumentinnen und Konsumenten versprochen, wenn der Supermarkt ums Eck mit "regionalen" Produkten wirbt und am Weihnachtsmarkt überall ein Schild mit der Aufschrift "Hergestellt in Österreich" hängt. Jetzt, in der Vorweihnachtszeit, ist die Verheißung besonders präsent: In Radio wie Fernsehen wird für Produkte aus lokaler Produktion geworben, die nicht tausende Kilometer aus aller Welt hierherverfrachtet wurden.

Aber was, wenn plötzlich nicht nur der Schinken und der Baumschmuck aus Österreich kämen? Um Fernsehapparate und Computer im großen Stil rentabel zu produzieren, ist Österreich wahrscheinlich zu klein. Aber Textilien, Schuhe, Spielzeug, Fahrräder und Fußbälle: Kann Österreich da nicht weitgehend autark werden? Wie sähe das Land dann aus? Und wenn schon "made in Austria" nicht überall möglich ist, kann es nicht wenigstens ein europäisches Produkt sein anstatt immer "made in China"?

Was vor wenigen Jahren als Hirngespinst linker Globalisierungskritiker abgetan wurde, ist inzwischen im politischen Mainstream angekommen: Wir müssen uns vom Rest der Welt etwas abkoppeln, lautet der Tenor. Bereits in der Amtszeit von Donald Trump (2017– 2021) waren die Risse zu bemerken: Die USA starteten einen Handelskrieg mit China, führten Zölle auf Waschmaschinen, Solarpaneele, Stahl und Autos ein und belegten auch die EU mit Strafzöllen.

Der demokratische Nachfolger Trumps im Weißen Haus, Joe Biden, behielt die meisten restriktiven Maßnahmen bei und erweiterte sie sogar noch: Die USA untersagen unter anderem Ausfuhren und Investitionen in Chinas Mikrochipindustrie. Die neue China-Politik ist eine der wenigen Verbindungslinien zwischen Demokraten und Republikanern.

Handel nur mit Freunden?

Das Gefühl, äußere Abhängigkeiten reduzieren zu müssen, schwappte in der Pandemie auch auf Europa über. Russlands Angriff auf die Ukraine und die Gaskrise haben es nur verstärkt. Die EU-Kommission nennt das "de-risking". Auch diese Politik zielt vor allem auf das größte Exportland der Welt, China, ab. Europäische Firmen sollen weniger aus der Volksrepublik einführen und ihre Lieferketten sicherer machen. Auch Brüssel lässt inzwischen seine Muskeln spielen und prüft, ob nicht Schutzzölle gegen Chinas aufstrebende Elektroauto-Industrie eingeführt werden sollten.

Aber wie stark hat diese Politik die Globalisierung tatsächlich verändert, lässt sich diese neue Weltordnung, in der systemische Rivalitäten wiederaufleben, vermessen? Eine Antwort darauf lautet: Die Weltwirtschaft ist dabei zu zersplittern, wie die Vizechefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), die Ökonomin Gita Gopinath, vor wenigen Tagen bei einem Deutschland-Besuch sagte.

Die Veränderungen seien allgegenwärtig. So legen nur noch die Warenströme zwischen politisch ähnlich tickenden Blöcken zu. Europa und USA auf der einen, China und Russland auf der anderen Seite. Lieferketten haben sich verändert. Die Zahl der handelshemmenden Restriktionen hat stark zugenommen. Laut einer Analyse des IWF wurden im Jahr 2018 weltweit rund 1000 neue Handelsbarrieren wie Import- und Investitionsverbote gegen Unternehmen aus anderen Staaten neu ausgesprochen. 2022 waren es fast 3000.

China tritt international machtbewusster auf, Staatschef Xi Jinping will aber die Verbindungen zum Westen nicht kappen. China braucht die Exporte.
APA/AFP/JADE GAO

Bei den Direktinvestitionen ist der Wandel vielleicht am stärksten bemerkbar. Anfang November gab China bekannt, dass zum ersten Mal seit 25 Jahren aus dem Land mehr ausländisches Kapital abgeflossen als hinzugekommen ist. Unternehmen aus den USA wie Europa sind zurückhaltend geworden.

Die Globalisierung stockt, so lautet also die Erzählung. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die Veränderungen bisher weniger dramatisch waren, als es diese Zahlen vermuten lassen. Die Globalisierung ist erstaunlich schwer kleinzukriegen.

Der Anteil des Welthandels an der globalen Wirtschaftsleistung ist stabil geblieben. Ein großer Teil der neuen Restriktionen betrifft nur ein Land: Russland. Eine Abkoppelung findet darüber hinaus im Wesentlichen nur zwischen den USA und China statt. Der Anteil chinesischer Unternehmen mit Präsenz am US-Markt ist gesunken. Eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt dagegen, dass die Abhängigkeit in Deutschland, Chinas wichtigstem Handelspartner in Europa, 2023 nahezu unverändert blieb.

Bei eingehender Analyse zeigt sich jedoch, dass die Veränderungen selbst zwischen den USA und China anders sind als erwartet. Ökonomen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel zeigen in einer aktuellen Studie, dass Lieferketten für große Konzerne weltweit länger geworden sind. Vor allem zwischen chinesischen Herstellern und US-Konsumenten ist der Weg weiter geworden. Allerdings liegt der Ursprung der Waren oft trotzdem weiter in der Volksrepublik, nur sind jetzt mehr Zwischenhändler involviert. US-Unternehmen beziehen heute deutlich weniger Computerteile aus China als noch 2021, dafür mehr aus Vietnam und Indien. Zugleich zeigt die Analyse, dass chinesische Produzenten mehr nach Vietnam und Indien liefern.

Ein Chip geht um die Welt

Die Linzer Ökonomin Karin Mayr-Dorn von der Johannes-Kepler-Universität zeigt in einer Analyse, wie Trumps Zölle auf IT-Produkte und andere Waren letztlich nicht dazu geführt haben, dass Produktion aus China in die USA geholt wurde. Wenn Unternehmen aus China ihre Herstellung verlagert haben, dann oft nach Vietnam. "Waren aus einem bestimmten ausländischen Herkunftsland zu verteuern führt nicht notwendigerweise dazu, dass im eigenen Land mehr produziert wird. Die Verlagerung erfolgt voraussichtlich vielmehr ins nächstbeste Herkunftsland mit ähnlichen Produktionskosten", erklärt Mayr-Dorn.

Und warum ist die Globalisierung bisher resistenter als gedacht? Dafür gibt es mehrere Gründe. Einer lautet, dass die gegenseitigen Abhängigkeiten in manchen Bereichen so groß sind, dass es ohne den anderen kaum geht. Laut Zahlen des IWF stammen heute zehn Prozent der Teile, die in europäischen Autos verbaut werden, aus China. Auch in die Gegenrichtung gibt es eine Beziehungskette: Europa stellt acht Prozent der weltweiten Mikrochips her, 40 Prozent kommen aus Taiwan und China. Aber bei der Erzeugung von jedem einzelnen Chip sind Unternehmen aus zwanzig Ländern beteiligt, auch aus Österreich. Laut Deutscher Bank wandert ein Mikrochip vor der Fertigstellung im Schnitt sage und schreibe fünfmal um den Globus.

Rückabwicklung wird teuer

Eine weitere Ursache für die Hartnäckigkeit der Globalisierung ist, dass eine Rückabwicklung teuer käme. Eine Abkoppelung der politisch rivalisierenden Blöcke voneinander würde die Weltwirtschaft um sieben Prozent ärmer werden lassen, rechnet der Währungsfonds vor. Global wäre das so, als ob Deutschland und Frankreich von heute auf morgen aufhören würden, Waren zu produzieren. Offene Volkswirtschaften wie Österreich wären davon noch stärker betroffen.

"Den Preis für die Abschottung zahlen die Konsumenten", sagt der Ökonom Harald Oberhofer von der Wirtschaftsuni Wien. Würde die EU beispielsweise Zölle auf E-Autos aus China einführen, müssten das die Käufer stemmen. Dafür gibt es Belege: So zeigen Untersuchungen, dass die Trump-Zölle zu fast 100 Prozent von den Konsumenten getragen wurden. Waschmaschinen wurden als Folge der Zolleinführung im Schnitt um zehn Prozent oder 86 Dollar teurer. Selbst Produkte, die von Zöllen nicht direkt betroffen waren, verteuerten sich: Trockner etwa um 92 Dollar. Der Grund: Unternehmer, die beide Produkte herstellten, haben die höheren Kosten für den Import von Waschmaschinen in die USA auch auf die Trocknerpreise draufgeschlagen.

In Zeiten hoher Inflation ist ein solches Vorgehen von Politikern nicht applausfördernd.

Der Kostenfaktor ist es auch, der deutsche Konzerne davon abhält, Verbindungen nach China zu kappen. "Alternative Zulieferer zu suchen kostet Geld und bereitet Aufwand", bringt es der Ökonom Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft auf den Punkt. Keiner bewegt sich, solange er nicht muss.

Der Chef des Wifo, Gabriel Felbermayr, bringt einen weiteren Punkt aufs Tapet: Das Thema Abhängigkeiten werde von bestimmten Wirtschaftssektoren deshalb so laut getrommelt, weil sich die Proponenten der Idee Staatshilfe erwarten – und nicht Abkoppelung. Tatsächlich ist in den USA wie in der EU jedenfalls die Industriepolitik zurück. An Unternehmen werden mehr Förderungen ausgeschüttet, vor allem um zukunftsträchtige Sektoren wettbewerbsfähiger zu machen. Auch unter dem Deckmantel von mehr Klimaschutz fließen Milliarden.

Möglich ist, dass die Deglobalisierung Fahrt aufnimmt. Unternehmen brauchen Zeit, um sich umzustellen. Doch erst sieht es so aus, als würden Mikrochips weiter mehrmals um die Welt reisen, bevor sie bei uns ankommen. (András Szigetvari, 9.12.2023)