Donald Tusk ist bereit für die Übernahme der Regierung.
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Donald Tusk will am Montag in die Zielgerade einbiegen. Der Anführer des liberalen Oppositionsbündnisses in Polen hat fast alles, was er zum Regieren braucht: eine parlamentarische Mehrheit, einen Koalitionsvertrag mit seinen Partnern, ein Kabinett und ein Regierungsprogramm.

Was ihm allerdings fehlt, ist ein Regierungsbildungsauftrag. Präsident Andrzej Duda nämlich hatte nach der Parlamentswahl im Oktober den bisherigen Premier Mateusz Morawiecki mit der Zusammenstellung eines Kabinetts betraut. Vor zwei Wochen vereidigte Duda dann sogar dessen neues Team.

Verfassungsrechtlich war das gedeckt: Die nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), der Morawiecki angehört und der auch Duda entstammt, war bei der Wahl mit 35 Prozent erneut stärkste Kraft geworden. Allerdings hatte die PiS in ihren acht Regierungsjahren zuvor das Land so stark polarisiert, dass sie nun keine Koalitionspartner hat. Hingegen haben gleich mehrere Gruppierungen unterschiedlicher Ausrichtung ihre Kräfte gebündelt, um die PiS von der Macht zu vertreiben: die liberale Bürgerkoalition (KO) von Donald Tusk, der konservativ-zentristische Dritte Weg und die Linke (Lewica).

Entscheidende Hürde

Alle drei zusammen kommen im Sejm, dem Abgeordnetenhaus des Parlaments, auf eine bequeme Mandatsmehrheit und stellen daher selbst den Regierungsanspruch. Am Montag wollen sie nun eine entscheidende Hürde nehmen: Zwei Wochen nach der Vereidigung durch Präsident Duda muss sich die Regierung Morawieckis laut Verfassung einer Vertrauensabstimmung im Sejm stellen – und eine Mehrheit war für sie im Vorfeld nicht in Sicht.

Scheitert nun das als "Zwei-Wochen-Regierung" verspottete Kabinett, dann könnte es für Tusk schnell gehen: Im zweiten Schritt nämlich ist es nicht mehr der Präsident, der einen Kandidaten für das Amt des Regierungschefs benennt; es übernimmt dann der Sejm in Eigenregie.

Da die liberale Opposition zuletzt Entschlossenheit und hohes Tempo bewiesen hat, könnten ihre Abgeordneten sich bereits unmittelbar nach der Vertrauensabstimmung formell auf Tusk als Premierminister einigen. Dieser hat mit seinen Partnern längst einen Koalitionsvertrag ausgehandelt und ein Programm präsentiert. Es deutet also nichts darauf hin, dass auch Tusk die zweiwöchige Frist bis zur Vertrauensabstimmung ausreizen würde. Eher geht man in Polen davon aus, dass der Sejm der neuen Regierung spätestens am Dienstag grünes Licht geben könnte.

Besiegelt wäre damit der Machtwechsel aber nicht. Duda muss Tusks Kabinett auch formell vereidigen. Bis zuletzt gab es die Sorge, die PiS könnte mit allen Mitteln versuchen, die Übergabe der Regierungsgeschäfte zu verhindern.

Auswirkungen auf EU-Gipfel

Selbst wenn für Tusk alles nach Plan läuft: Regieren wird nicht leicht für den erfahrenen Ex-Premier. Die PiS hat die öffentlich-rechtlichen Medien zu Propagandasprachrohren gemacht und das Verfassungsgericht umgebaut. Tusk warf der PiS sogar vor, noch in den letzten Tagen wichtige Institutionen in ihrem Sinne "betonieren" zu wollen. Zudem kann Duda gegen jedes Gesetz ein Veto einlegen. Dieses kann im Sejm nur mit Dreifünftelmehrheit überstimmt werden, die Tusk nicht hat.

Sollte aber bereits die Angelobung zum Stolperstein werden, dann könnte das sogar auf den EU-Gipfel abfärben, der am Donnerstag beginnt. Vielleicht, so glauben in Polen nicht wenige, würde Präsident Duda sein Land dort gerne selbst vertreten – und so verhindern, dass der ehemalige EU-Ratspräsident Tusk als strahlender Sieger im Brüsseler Kreis der Staats- und Regierungschefs Platz nimmt. (Gerald Schubert, 11.12.2023)