Die Frage ist hochumstritten: Sollen neue Gentechnikmethoden dereguliert werden? Sollen also einige Formen der neuen genomischen Verfahren (NGT) nicht mehr unter die strengen Regeln für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) fallen? Die EU-Landwirtschaftsministerinnen und -minister diskutierten am Montag in Brüssel über das Thema. Ein Streitpunkt ist unter anderem die Frage der Patentierbarkeit von mit NGT hergestellten Pflanzensorten. "Es geht darum, dass wir hier die großen Konzerne begünstigt sehen. Die vergleichsweise klein strukturierte Land- und Saatgutwirtschaft wird bedroht durch eine Monopolisierung, die hier stattfinden könnte", sagte etwa Österreichs Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) im Vorfeld des Ministertreffens.

Eine Frau fährt mit ihrem Motorrad durch ein Rapsfeld. 
Geht es nach einem Gesetzesvorschlag der EU-Kommission sollen neue Mutationsverfahren wie die Genschere Crispr/Cas (Kategorie NGT-1) künftig einfacher zum Einsatz kommen und damit bearbeitete Pflanzen nicht mehr als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden.
APA/dpa/Axel Heimken

Dafür oder dagegen: Die Meinungen gehen auch im Rat weit auseinander – und das über politische Farben hinweg. Totschnig etwa pocht auf die Kennzeichnung von Produkten, die NGT-Pflanzen enthalten. Das sei wichtig für das "Vertrauen der Konsumentinnen und Konsumenten in die Lebensmittel und vor allem in die Wahlfreiheit". Ähnlich sieht das sein grüner deutscher Kollege Cem Özdemir. "Es braucht eine glaubwürdige Koexistenz von konventioneller und biologischer Landwirtschaft", sagte der deutsche Landwirtschaftsminister. Deutschland hat sich demnach im heutigen Rat beim Thema Neue Gentechnik enthalten.

Deutlich offener stand Frankreichs Agrarminister Marc Fesneau der neuen Gentechnik gegenüber. "Wir benötigen alle 27 (EU-Mitgliedsstaaten; Anm.) für die NGT, um unsere Souveränität zu garantieren", gab er sich vor dem Treffen hoffnungsvoll, dass man am Ende einen Kompromiss finden werde. Doch dazu kam es nicht. "Wir nähern uns einer Einigung, aber eine Mehrheit ist noch nicht geschafft", sagte der spanische Agrarminister und Ratsvorsitzende Luis Planas Puchades am Ende der Diskussionen.

Neue Chancen

Die EU-Kommission pocht auf die Chancen: Neue Gentechnikmethoden sollen Ackerpflanzen widerstands- und leistungsfähiger machen. Raps und Weizen, die herbizid- und mehltauresistent sind, Tomaten, die den Blutdruck senken – die Wissenschaft macht so etwas möglich. Es sind konkret Methoden der neuen Gentechnik, wie etwa die Gen-Schere Crispr/Cas, die sich enorm weiterentwickelt haben. In Ländern wie den USA, Kanada und Japan bauen landwirtschaftliche Betriebe solche neuen Sorten teilweise schon an.

Im heurigen Sommer kam der Gesetzesvorschlag der Kommission. Neue Mutationsverfahren wie die Genschere Crispr/Cas (Kategorie NGT-1) sollen demnach künftig einfacher zum Einsatz kommen und damit bearbeitete Pflanzen nicht mehr als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden. Ziel der Deregulierung ist unter anderem, gegen Wassermangel oder Schädlinge widerstandsfähigere Gewächse zu züchten. NGT-Verfahren mit nicht kreuzbaren Arten (Kategorie NGT-2), Transgenese genannt, sollten hingegen unter die bestehenden GVO-Verordnungen fallen.

Alte Sorgen

Kritiker werfen der EU-Behörde vor, das EU-Gentechnikrecht für die Landwirtschaft aufweichen zu wollen und neue Methoden "ohne umfassende Risikoprüfung oder Kennzeichnungspflicht" zuzulassen. Die Europa-Abgeordnete der Grünen, Sarah Wiener, warnt auf X (vormals Twitter): "Transparenz fiele komplett weg – Neue Gentechnik wäre zwar patentiert, aber zugleich nicht mehr nachweisbar. Weder Landwirtinnen noch Verbraucher wüssten, was sie da vor sich haben. Ein Riesenproblem für den Ökosektor, in dem ohne neue Gentechnik gearbeitet wird."

Ihre Meinung wird von vielen geteilt. "Das wäre das Ende für Transparenz und Wahlfreiheit im Lebensmittelsektor," erklärte Florian Faber, Geschäftsführer des Wirtschaftsverbands Arge Gentechnik-frei, jüngst zu den EU-Plänen. "Die EU-Kommission steht kurz davor, nachhaltige Unternehmenswerte zu zerstören", kritisierte Faber. Die Gesetzesvorlage sei zudem massiv beeinflusst von der Saatgut- und Biotech-Lobby und ein klarer Angriff auf die "Ohne Gentechnik"- und die Bio-Wirtschaft.

Hintergrund ist unter anderem die Sorge, dass mithilfe von NGT Pflanzensorten geschaffen werden, die auch durch herkömmliche Züchtung entstehen. Große Konzerne wären aber mit den neuen Verfahren schneller und könnten die Sorten auch noch patentieren. Im Oktober reagierte die spanische Ratspräsidentschaft mit einem Kompromissvorschlag, der unter anderem ein NGT-Verbot für Biolandwirtschaft enthält; auch die Kennzeichnungspflicht für Saatgut NGT-1 soll bleiben.

Ein Mähdrescher bei der Weizenernte.
Ziel der Deregulierung ist es unter anderem, gegen Wassermangel oder Schädlinge widerstandsfähigere Gewächse zu züchten. Die Frage, ob das zielführend ist und wer davon profitiert, spaltet die Agrarminister ebenso wie Fachleute.
IMAGO/James Wakibia

Die Umweltschutzorganisation Global 2000 begrüßt, dass es zu keiner Einigung kam. "Das ist ein erfreulicher Schritt für den Schutz unserer Umwelt, für Biodiversität und für die Rechte der Konsumentinnen und Konsumenten und Bäuerinnen und Bauern auf volle Transparenz und Wahlfreiheit", sagt die Global-2000-Gentechniksprecherin Brigitte Reisenberger laut einer Aussendung.

Biopionier Urs Niggly sieht das Thema differenziert. Der Schweizer Forscher leitete 30 Jahre das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) in der Schweiz, war unter anderem Lehrbeauftragter an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich und war Experte der EU beim Rechtsrahmen für die Farm-to-Fork-Strategie. Niggli hält eine nach ökologischen Kriterien optimierte konventionelle Landwirtschaft und moderne Züchtungsmethoden für unverzichtbar, um die wachsende Weltbevölkerung künftig mit Lebensmitteln zu versorgen. "Mit ausschließlich biologischer Landwirtschaft würden wir noch mehr Naturräume zerstören müssen, um Menschen ernähren zu können", schreibt der Agrarwissenschafter in der landwirtschaftlichen Publikation "Agrar Heute". Bioanbau würde großflächig "nur in Kombination mit einer Halbierung der Lebensmittelabfälle und einer drastischen Reduktion des Fleischkonsums funktionieren", urteilt der Experte.

Die spanische Ratspräsidentschaft hat verlautbart, bis Jahresende weiterhin verhandeln und eine Mehrheit für die Deregulierung finden zu wollen. Das Europäische Parlament wird im Jänner 2024 über seine Position entscheiden. (Regina Bruckner, 11.12.2023)