Die Angehörigen, die Freunde und Unterstützer von Alexej Nawalny sind in tiefer Sorge. "Alexey is missing", schreibt Julia Nawalnaja, die Ehefrau des Kreml-Kritikers. Seit nunmehr sieben Tagen ist Nawalny verschwunden, gibt es kein Lebenszeichen von ihm. Auch Briefe von ihm oder an ihn würden nicht zugestellt, berichtet Nawalnys Team.

Alexej Nawalny per Video aus dem Straflager.
Alexej Nawalny im Frühling, als er zu seinem Gerichtsprozess per Video zugeschaltet wurde.
REUTERS/YULIA MOROZOVA

Die Anwälte des 47-Jährigen waren nach eigenen Angaben am vergangenen Freitag sowie am Montag zu zwei Straflagern in der Region Wladimir rund 260 Kilometer östlich der Hauptstadt Moskau gefahren, um herauszufinden, ob sich Nawalny dort aufhalte. Laut Nawalny-Sprecherin Kira Jarmysch sagten ihnen Mitarbeiter der Strafkolonie Nr. 6 im Dorf Melechowo, Alexej Nawalny sei "nicht mehr bei ihnen gelistet".

Angebliche "Panne" 

Auch in der Strafkolonie Nr. 7 sei er nicht, erfuhren die Anwälte. Nawalny hatte zuvor bei einer gerichtlichen Anhörung gefehlt, zu der er per Videoleitung zugeschaltet werden sollte. Die Behörden hatten dies mit einer Panne in der Stromversorgung begründet. Diese "Panne" gab es mehrere Tage lang. Ein Vertreter des Straflagers erklärte Journalisten, die Probleme würden schnellstmöglich behoben. "Sie machen sich über uns lustig", kommentierte dies Nawalnys Sprecherin.

Im August war Nawalnys ursprünglich neunjährige Haftstrafe wegen "Extremismus" auf 19 Jahre erhöht worden. Das Gericht ordnete zudem seine Überführung in eine Strafkolonie mit schärferen Haftbedingungen an. Überführungen von einem Straflager zum anderen dauern in Russland häufig mehrere Wochen. Die Häftlinge legen die Strecke per Zug zurück, wobei die Reise oft in mehreren Etappen stattfindet. Während dieser Überführungen haben Angehörige und Anwälte keinen Kontakt zu den Häftlingen. Die Straflager mit besonders harten Bedingungen liegen oft in entlegenen Regionen.

Kreml ohne Kommentar

Wo ist Alexej Nawalny? Darüber wird in Russland spekuliert. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wollte sich dazu nicht äußern. Der Telegram-Kanal "Operation Z: Militärkorrespondenten des Russischen Frühlings" schreibt in gelinde gesagt schräger Ironie, Nawalny sei "zum Sturm Z" gegangen, einer Militäreinheit in der Ukraine, in der auch russische Strafgefangene dienen würden.

Andere Telegram-Kanäle wollen wissen, Nawalny befinde sich nach wie vor in Melechowo, er sei gesund und wohlauf. Und Eva Merkatschjowa, Mitglied des russischen Menschenrechtsrats und Zeitungskommentatorin, sagte in einem Interview, es sei möglich, dass Nawalny in ein anderes Straflager verlegt worden ist. Nach jüngsten Informationen wurde Nawalny nach Moskau gebracht, wegen neuer Ermittlungen.

Der Kreml-Kritiker könnte aber auch ernsthaft erkrankt sein. Ihm sei nach Angaben seiner Sprecherin vor zwei Wochen in seiner Zelle schlecht geworden. Immer wieder weisen Menschenrechtler auf den angeschlagenen Gesundheitszustand Nawalnys hin, der im Sommer 2020 nur knapp einen Giftanschlag mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok überlebte. Nawalny warf damals Wladimir Putin vor, hinter dem Mordanschlag zu stecken. Der Kreml dementierte dies.

Gesundheitliche "Krisen"

Die Aussicht auf viele weitere Jahre im Straflager zermürbt Alexej Nawalny immer mehr. Ständig wird er für jeweils mehrere Tage in eine Einzelzelle gesperrt. Sein Körper ist durch den Giftanschlag geschwächt, selbst an sich harmlose Erkältungserkrankungen können ihm gefährlich werden. Er leide unter "Krisen", so sein Anwalt im April dieses Jahres, als nach heftigen Magenschmerzen der Notarzt gerufen werden musste.

Während Alexej Nawalny verschwunden ist, bereitet sich sein Team auf die Präsidentschaftswahl im kommenden März vor. Russlands Präsident Wladimir Putin, dessen schärfster Widersacher Nawalny ist, hat seine Kandidatur bereits erklärt. In Moskau, Sankt Petersburg und Nowosibirsk haben Nawalnys Anhänger dem Onlinemedium "Meduza" zufolge Plakate angebracht, auf denen für eine Kampagne gegen den russischen Präsidenten geworben wird.

Auf diesen Plakaten ist ein QR-Code zu sehen, der auf eine Homepage "Russland ohne Putin" führt. Betrieben wird die Seite von Nawalnys Antikorruptionsfonds FBK. Zumindest in Moskau sind die Nawalny-Plakate inzwischen verboten. (Jo Angerer aus Moskau, 12.12.2023)