Welche ORF-"Schauplatz"-Sendungen haben deren Erfinder Peter Resetarits am meisten berührt? "Ich bin ja eigentlich ein harter Hund. Aber eine Sendung aus Moldawien fällt mir hier ein. Da hat Ed Moschitz die Lebensumstände jener Kinder dokumentiert, deren Mütter im Ausland sind, um dort zu arbeiten. In einer Klasse werden die Kinder gefragt, was sie sich wünschen. Ihre Antwort: 'Mama, bitte komm zurück, wir brauchen dich'", sagte er auf im Interview anlässlich der 1000 Folgen ORF-"Schauplatz" im Februar dieses Jahres.

Dorf ohne Mütter nannte Moschitz seine Reportage aus 2004, die Resetarits in diesem Interview angesprochen hat, es ging darin unter anderem auch um Aurica aus Moldau, die vor rund 20 Jahren ihr Dorf verlassen hat um in Österreich mit Putzen, Bügeln, Babysitten Geld zu verdienen. Damals lernte sie auch ORF-"Schauplatz"-Reporter Moschitz kennen. Er hat Aurica und auch ihre Kinder Diana und Victor in den vergangenen 20 Jahren immer wieder mit seinem Kamerateam besucht – und Aurica jetzt in ihrem Heimatort wieder getroffen, sie war auch eine der Protagonistinnen seines Kinofilms "Mama Illegal".

Entstanden ist eine berührende Langzeitbeobachtung einer Familie, die exemplarisch für viele ähnliche Schicksale illegaler Gastarbeiterinnen und ihrer Familien steht. Zu sehen ist Ed Moschitz' Reportage "Illegal zwischen Ost und West" am Donnerstag um 21.05 Uhr in ORF 2. Er erzählt von ungleich verteilten Chancen in Europa, von Müttern, die ins Ausland gingen, weil es in ihrem Heimatland kaum Arbeit gab. Und von deren Kindern, die mit den Vätern in ärmlichen Verhältnissen zurückblieben. Und er lässt Aurica und ihre Kinder Diana und Victor zurückblicken auf die vergangenen 20 Jahre.

"Deine Mutter kommt ja bald wieder"

2002 ist Aurica mithilfe von Schleppern zum ersten Mal nach Österreich gekommen mit dem Ziel, in Moldau ein Haus bauen zu können und ihren Kindern und dem Mann ein Auskommen zu sichern. Die Arbeitslosigkeit dort lag damals bei 80 Prozent. Ein schwerer Abschied, ihre Kinder waren damals noch klein, Diana war neun, Victor nicht viel älter. Regelmäßig schickte sie Geld nach Hause, Auricas Mann, Mischa, übernahm die Betreuung der Kinder. Videokassetten aus der Heimat mit Aufnahmen ihrer Kinder rühren zu Tränen.

Diana, Papa Mischa und Victor schicken Aurica Grüße per Videokasette nach Wien.
Diana, Papa Mischa und Victor schicken Aurica Grüße per Videokassette nach Wien.
Foto: ORF

Das Aufwachsen ihrer Kinder bekam sie nur aus der Ferne mit. "Was sind das für Mütter, die ihre Kinder zurücklassen, um hier zu arbeiten", bekam sie hier in Österreich zu hören. Fast alle Eltern von Dianas und Victors Schulkolleginnen und Schulkollegen arbeiteten im Ausland, die Lehrerin versuchte, Diana zu trösten: "Deine Mutter kommt ja bald."

Hoffen auf ein besseres Leben

Nach zwei Jahren in Österreich kehrte Aurica nach Moldau zurück. "Ich bin jetzt eine andere", sagte sie damals zu Moschitz, "hier in Wien ist alles modern, die Menschen leben in Freiheit." Moschitz begleitete sie bei ihrer langen Heimreise und ist dabei beim Wiedersehen mit Mann und Kindern. Es sind berührende Momente, man merkt, wie sehr sich vor allem Diana nach ihrer Mutter gesehnt hat.

Hier im Heimatdorf war einiges neu, gebaut mit dem Geld, das Aurica in Wien verdient hat. Trotzdem: Es gab noch viel zu tun, viel zu reparieren. Doch dann starb ihr Mann Mischa, sie ist jetzt Witwe, die Kinder sind ohne Vater. Er sei ein sehr guter Mensch gewesen, sagen die Nachbarn, er habe auf eine gute Zukunft, auf ein besseres Leben gehofft.

Auf ein besseres Leben hoffte auch Aurica, vor allem für jenes ihrer Kinder. Nach einem Jahr in ihrem Heimatdorf brach sie 2005 wieder mit einem Schlepper nach Österreich auf, dafür hat sie Schulden gemacht. Die Kinder blieben zurück in Moldau. Diana war jetzt zwölf, Victor 15. Opa sollte den Kindern helfen und sich um die Kinder kümmern. "Es ist schwer für sie, aber auch für uns. Vielleicht kann man sich daran gewöhnen", sagte Diana tapfer.

Aurica mit Diana und Sohn Victor bei ihrer Rückkehr aus Wien 2008.
Aurica mit Diana und Sohn Victor bei ihrer Rückkehr aus Wien 2008.
Foto: ORF

Victor und sie mussten früh erwachsen werden. "Verurteile mich nie dafür, dass ich euch schon so früh allein lasse. Weil ich es für euch mache", sagte Aurica beim Abschied. Man spürt, wie schwer die Situation für alle drei war. Nach weiteren drei Jahren illegal in Österreich kehrte Aurica 2008 nach Moldau zurück und traf auf (fast) erwachsene Kinder. Die Mutter ist ihnen fremd geworden.

Hochzeit im Dorf

Heute ist Diana 30, hat zwei Kinder und lebt in Wien, sie könnte sich nicht vorstellen, ihre Kinder alleinezulassen und wegzugehen. "Niemals", sagt Diana. Ob sie ihrer Mutter verzeihen konnte? Es gab eine Zeit, wo sie es nicht verstanden habe, sagt sie. Aber jetzt sei sie froh, dass ihre Mama ihnen eine bessere Zukunft ermöglicht habe.

Aurica und ihr Sohn Victor kurz vor seiner Hochzeit.
Aurica und ihr Sohn Victor kurz vor seiner Hochzeit.
Foto: ORF

Aurica ist jetzt 52, es geht ihr gut. Stolz führt sie Ed Moschitz durch ihre Wohnung in ihrem Heimatdorf in Moldau. "Alles, was ich jetzt habe, habe ich von meiner Arbeit in Österreich", sagt sie. Ihr Sohn Victor – er ist jetzt 33 – lebt in Deutschland und ist für wenige Wochen zu Besuch ins Dorf gekommen, um hier zu heiraten. Später wollen er und seine Frau wieder ganz nach Moldau zurückkehren. (Astrid Ebenführer, 14.12.2023)