Am liebsten entdecke er neue Märkte und Länder, versuche zu verstehen, wie sie funktionieren, sagt Martin Waldhäusl und zieht in seinem Büro in Guntramsdorf an seiner Zigarette. Als Unternehmer sah er sich in seiner Jugend nicht. Lieber vertiefte er sich in Verträge und Analysen. Bis er sich doch in den Einzelhandel verliebte.

Martin Waldhäusl: "Onlineshops sind eine undankbare Geschichte. Darauf verzichten können wir aber auch nicht."
© Christian Fischer

STANDARD: Bummeln Sie für Weihnachtseinkäufe noch durch stationäre Geschäfte, oder kaufen Sie online?

Waldhäusl: Ich kaufe nichts online. Mir ist das zu kompliziert. Ich mag den stationären Handel. Ich schaue ihn mir gern an. Er ist die Lebensader der Innenstädte. Das ist doch nett. Ich stelle mich gern in Eingänge und lasse Geschäfte auf mich wirken. Ich mag es, wenn ich das Gefühl habe, sie wollen mir was sagen.

STANDARD: Wie halten Sie es mit Ihren eigenen Onlineshops?

Waldhäusl: Sie sind eine undankbare Geschichte. Es gibt ja nicht viele Menschen, die Schreibwaren online kaufen. Darauf verzichten können wir aber auch nicht. Kunden erwarten jede Art der Interaktion. Werbewirkung haben Onlineshops für uns keine, sie ersetzen auch keine Flugblätter. Sie sind Kostenfaktor, kein Ertragsbringer.

STANDARD: Asiatische Onlineriesen wie Temu bedienen Konsumenten zu Dumpingpreisen. Angesichts der Millionen Pakete, die Europa nahezu unreguliert fluten – wird einem als stationärer Händler da nicht bange?

Waldhäusl: Natürlich. Der Handel leidet unter depressiver Stimmung. Die Verkaufsmengen sinken. Alternative Vertriebswege nehmen zu: über Non-Food-Diskonter, die alles haben und billig sind. Und über Online-Marktplätze, die Hersteller mit Konsumenten verbinden und Provision kassieren. In den USA setzten diese die Dollar-Stores unter Druck. Jetzt breiten sie sich in Europa aus.

STANDARD: Böse Zungen sagen Einkaufsstraßen und Shoppingcentern eine Zukunft als Museum voraus.

Waldhäusl: Tun wir in Europa alles, um die Industrie zu verjagen und Unternehmertum noch unattraktiver zu machen, haben wir als einzige Wertschöpfung irgendwann nur noch den Tourismus. Auch das kann ein Geschäft sein. Man muss halt an der Grenze Eintritt verlangen. Aber vielleicht bin ich zu zynisch.

STANDARD: Was bräuchte es denn, um Vielfalt im Handel zu erhalten?

Waldhäusl: Innenstädte müssen leben. Dafür braucht es nicht nur Verkehrsberuhigung und Begrünung, sondern Lokale, Geschäfte, Kultur, Aktivität. Die neue Welt scheint jedoch daraus zu bestehen, dass jeder alles online kauft und im Homeoffice ohne jede Bindung zur Firma sitzt – was ich mir, der ich immer im Büro bin, einsam vorstelle. Das ist wie bei Aldous Huxleys schöner neuer Welt. Total spooky. Wer will das?

STANDARD: Haben etliche stationäre Händler nicht auch den Zug der Zeit verschlafen? Oder auf Teufel komm raus in Filialen investiert, die sich auf Dauer nie rechnen können?

Waldhäusl: Als ich klein war, gab es in Döbling ein kleines Geschäft mit Büchern, Spielzeug und Schreibwaren. Im Zuge des Wirtschaftswachstums entstanden für jedes dieser Themen Spezialisten und große Ketten. Einkaufscenter wurden gebaut. Jetzt ist die Nachfrage gesättigt. Es gibt zu viele Spezialisten. Die Sortimente verbreitern sich wieder. Vieles entwickelt sich zurück zu Kleinkaufhäusern und Nahversorgern.

Martin Waldhäusl: "Der Staat ist den privaten Lohnverhandlern in den Rücken gefallen. Er gibt 9,15 Prozent mehr. Weil es eh nicht sein Geld ist."
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STANDARD: Im Handel entzündeten sich harte Gehaltskonflikte. Zu Recht?

Waldhäusl: Ausgangsbasis für die Kollektivverträge ist die Inflation der letzten zwölf Monate. Nächstes Jahr sollte die Teuerung signifikant sinken. Setze ich auf die Löhne aber das Gleiche drauf wie im Jahr zuvor, trägt das zur berühmten Lohn-Preis-Spirale bei: Mit höheren Löhnen steigen die Preise.

STANDARD: Arbeitgeber boten Gehaltszuwächse unter der Inflationsrate. Ist Arbeit im Handel weniger wert als jene der Beamten, der Sozialwirtschaft, der Reinigungskräfte oder Bäcker?

Waldhäusl: Der Staat ist den privaten Lohnverhandlern in den Rücken gefallen. Er gibt 9,15 Prozent mehr. Weil es eh nicht sein Geld ist. Es sind von der öffentlichen Hand bezahlte Abschlüsse. Da wird nicht einmal richtig verhandelt. Ich gönne es jedem. Aber wir sind in einer totalen Wirtschaftskrise. Da geht das nicht.

STANDARD: Halten Sie das jährliche Ringen der Sozialpartner um Gehälter noch für zeitgemäß?

Waldhäusl: Es ist ein Ritual, in das betroffene Unternehmen kaum eingebunden sind, sondern in dem Institutionen verhandeln. Es wäre gut, es auf alle zwei Jahre zu reduzieren, oder ein System dahinterzulegen, wie mit Inflation umgegangen wird.

STANDARD: Bedrohten die jüngsten Streiks das Weihnachtsgeschäft?

Waldhäusl: Die Kollegen aus der Gewerkschaft haben ein Gefühl fürs Geschäft. Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie es mit ihren Maßnahmen kaputtmachen wollten.

STANDARD: Viele Handelsbeschäftigte fühlen sich ausgebrannt. Immer mehr Arbeit wird auf immer weniger Köpfe verteilt. Was läuft falsch?

Waldhäusl: Der Fachkräftemangel führt dazu, dass jene, die noch bereit sind zu arbeiten, stärker belastet werden. Und nimmt der Kostendruck in der Wirtschaft zu, muss natürlich auch produktiver gearbeitet werden.

Martin Waldhäusl: "Kürzlich las ich was Lustiges über einen Friedhof voller Berühmtheiten: Da liegen lauter Leute, die geglaubt haben, dass es ohne sie nicht geht."
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STANDARD: Libro und Pagro zählen zu den letzten großen österreichischen Handelsketten in Familienhand. Ist es Ihnen wichtig, dass das so bleibt?

Waldhäusl: Vielleicht nicht als Wert an sich. Aber ich arbeite gern. Was ich nicht habe, ist dynastisches Denken. Jeder soll sein Leben selbst definieren und nicht den Kindern vorschreiben, was sie zu tun haben. Dafür ändern sich die Geschäftsmodelle durch technische Innovationen zu schnell. Unternehmen, die über Generationen hinweg Bestand haben, haben sich völlig transformiert.

STANDARD: Ihr Schwiegervater Josef Taus hat Ihnen den Vorstandsvorsitz über den gesamten Konzern in seinem 87. Lebensjahr übergeben. Wie arbeitet man über so viele Jahre zusammen, ohne dass einer kapituliert?

Waldhäusl: Wie bei allem im Leben mit viel Sensibilität und Rücksichtnahme. Ich komme aus einer Familie der Professoren, war nicht so der Unternehmertyp. Ich habe von meinem Schwiegervater viel gelernt. Es war jedoch wichtig, getrennte Bereiche zu haben. Ich habe die Handelsgruppe aufgebaut. Das war was Neues. Aber andersrum gesagt: Themen von jemandem zu übernehmen, die dieser gemacht hat, bis er Mitte 80 war, wenn man selbst schon Anfang 50 ist – das ist nicht gerade leicht.

STANDARD: Wie beugen Sie vor, damit Familienkonzerne an Generationenkonflikten nicht zerbrechen?

Waldhäusl: Kürzlich las ich was Lustiges über einen Friedhof voller Berühmtheiten: "Da liegen lauter Leute, die geglaubt haben, dass es ohne sie nicht geht." Unternehmer lassen halt schwer los. Die Jungen sind gut, weil sie es anders machen, weil sie die unfassbare Kraft haben, was tun zu wollen, auch wenn es anfangs absurd erscheint. Aber dadurch dreht sich die Welt weiter. Das unter einen Hut zu bringen ist nicht einfach. Da helfen einem auch Statuten nicht weiter.

STANDARD: Sie haben den Konzern auf Handel, Zutrittssysteme und Druckereien konzentriert. Wo erleben Sie die tiefgreifendsten Veränderungen?

Waldhäusl: Ich bin ein Strukturtyp, versuche den roten Faden in Dinge zu bringen. Das hat Vor- und Nachteile. Die Zutrittskontrollen wachsen sehr schön. Sie sind technologie- und softwaregetrieben, verkaufen sich global. Ich will sie groß ausbauen, unser Hauptmarkt dafür sind die USA. Im Handel, so sehr mein Herz daran hängt, wird konsolidiert. Hier wächst der Wettbewerb, und die Nachfrage sinkt.

STANDARD: Libro hat seit 2019 gut 30 der zuvor 220 Filialen geschlossen.

Waldhäusl: Unsere Hauptmarke ist Pagro. Sie liegt im Trend der Zeit. Sie wird ihr Sortiment verbreitern, die Zahl an 160 Filialen ausbauen. Libro hat eine andere Geschichte. Ich erforsche gern genetische Codes von Firmen. Jener von Libro war Hollywood in Mistelbach zu einer Zeit, als es noch kein Internet gab. Libro war auf Flächen von 100 bis 1000 Quadratmetern einst voll mit Entertainmentprodukten. So entstand das Filialnetz. Heute kauft das dort keiner mehr. Wir haben das Sortiment daher ausgebaut, neben jenem für Schule um Papeterie, Party und Geschenke erweitert. Dafür braucht es weniger Standorte mit kleineren Flächen.

STANDARD: Sie treten gegen Konzerne wie Müller und Thalia an, in ihren Gefilden wildern auch Diskonter wie Action, Tedi, Pepco. Läuft man in Gefahr, in der Mitte zerrieben zu werden?

Waldhäusl: Na hoffentlich nicht. Das Wesen des Unternehmertums ist Zuversicht.

Martin Waldhäusl: "Eigentlich müssten sich alle regionalen Händler zusammentun. Dann hätten wir eine Chance gegen die Großen."
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STANDARD: In Deutschland expandierten Sie mit Mäc Geiz und Pfennigpfeiffer. Hat das Geschäft Zukunft?

Waldhäusl: Die negative Stimmung ist in Deutschland hoch zehn. Dafür gibt es den Begriff "German Angst". Als wir dort einstiegen, gab es regionale Non-Food-Diskonter. Dann breiteten sich überregionale Konzepte wie Action mit Finanzinvestoren aus. Sie setzen Milliarden Euro um. Wir habe unsere Marken nun unter eine einheitliche Führung gestellt, beide auf einen Lagerstandort, auf ein IT-System konzentriert. Wir machen sie so effizient wie möglich und wollen mit Mäc Geiz neue Standorte eröffnen. Man muss wachsen, mit anderen kooperieren. Eigentlich müssten sich alle regionalen Händler zusammentun. Dann hätten wir eine Chance gegen die Großen.

STANDARD: Verkauf lebt von Rabatten. Wie geht es Ihnen mit diversen Bonusclubs im Handel, die Kunden an sich binden?

Waldhäusl: Sie sind Standard. Dass Daten über unser Einkaufsverhalten verwertet werden, ist beim Onlineeinkauf ja nicht viel anders. Da weiß man überhaupt alles über einen, ehe überhaupt noch was gekauft wurde.

STANDARD: Wie viele persönliche Daten sind Sie selbst bereit, dafür offenzulegen?

Waldhäusl: Sobald ich fünfmal mit jemandem chatte, weiß der Computer alles über mich und meine Beziehung zu anderen. Mein Handy hört alles mit. Dagegen sind Kundenkarten harmlos. Wer früher in Amerika war, hat alle zwei Tage daheim angerufen und gefragt, was los ist. Heute bekommst du unentwegt Nachrichten in Echtzeit und solltest sofort darauf antworten. Ich finde, ohne das war‘s besser. (Verena Kainrath, 17.12.2023)