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"Alle Emotionen – positive wie negative – sind gut und müssen Teil unseres Alltags sein", sagt Dorothee B. Salchow.
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Es ist eine der großen Fragen, die die Menschheit umtreiben: Wie werden wir glücklich oder sogar noch glücklicher? Und, vor allem: Wie bleiben wir es so lange wie möglich? Unzählige Studien versuchen darauf eine Antwort zu geben. Die Ergebnisse der Harvard Study of Adult Development, einer der längsten Studien zum Glücklichsein, die es je gab, zeigen: Beziehungen sind der wichtigste Faktor für Wohlbefinden.

Dem stimmt auch Dorothee B. Salchow zu. Die deutsche Juristin befasst sich seit Jahren mit Positiver Psychologie. Ein Bestreben dieser Strömung ist, die "Psychologie dahingehend zu komplettieren, dass auch vergleichsweise vernachlässigte Themen, wie Zufriedenheit, Wohlbefinden, Talent, Stärken oder Tugenden verstärkt beachtet werden", heißt es im Dorsch Lexikon der Psychologie. Die Deutsche Hochschule für Gesundheit und Sport, an der auch Salchow tätig ist, beschreibt "Positive Psychologie als die wissenschaftliche Erforschung dessen, was das Leben lebenswert macht". Im Interview mit dem STANDARD spricht Salchow über den Stellenwert negativer Emotionen, "toxic positivity" und die Frage, warum die Geburt eines Kindes eine der größten Lebenskrisen auslösen kann.

STANDARD: Frau Salchow, wie werden wir glücklicher?

Salchow: Aus der Forschung der Positiven Psychologie wissen wir, dass das Konzept Perma von Martin Seligman sehr gut funktioniert. Seligman hat die Positive Psychologie bekannt gemacht und Perma ist ein Akronym, das heißt, jeder Buchstabe ist synonym für einen Begriff. Das P steht für positive Emotionen. Wir wissen, dass Menschen regelmäßig positive Emotionen erleben müssen, um ein Aufblühen, Wohlbefinden oder Glück zu empfinden. Mit der Geburtsstunde der Positiven Psychologie wurde erstmals betont, dass es genauso wichtig ist, Krankheiten und psychopathologische Zustände zu heilen wie darauf zu achten, was uns aufblühen lässt.

STANDARD: Wofür stehen die restlichen Buchstaben in Perma?

Salchow: Das E steht für Engagement, und da spielen Stärken eine große Rolle. Wenn wir wissen, was wir gut können, aber auch, wie wir etwas gut machen, steigert das unser Wohlbefinden. Auch dazu gibt es ein gut erforschtes Konzept von 24 Charakterstärken, auch "Werte in Aktion" genannt. Darunter fallen Kreativität, Freundlichkeit, Bescheidenheit, Dankbarkeit, Neugier oder auch Mut. Wenn wir ein Wissen über unsere individuellen Charakterstärken haben und diese auch ausleben können, führt das dazu, dass wir uns glücklich fühlen. Das steht stark im Spannungsfeld zu dem, was wir in der Schule gelernt haben. Dort wird angestrichen, was man nicht kann. Wir konzentrieren uns also permanent auf unsere Schwächen. Wenn wir stattdessen auch an unseren Stärken arbeiten, steigt die Lernkurve viel höher.

STANDARD: Fehlen uns noch R, M und A ...

Salchow: Das R steht für Relationship, also Beziehungen. Das belegt auch die Harvard Study of Adult Development, eine Langzeitstudie der Harvard-Universität. Seit 1938 wurde eine Gruppe Männer in regelmäßigen Abständen befragt, was deren Wohlbefinden ausmacht. Dabei kam heraus, dass Menschen, die gute Beziehungen in ihrem Leben haben, mit einer viel höheren Wahrscheinlichkeit Glück empfinden. Dabei braucht es nicht 20 solcher Beziehungen, sondern eine oder zwei, in denen wir uns sicher fühlen. Das sind Menschen, bei denen wir nachts um drei anrufen können und mit denen wir eine wirklich vertrauensvolle, gute Basis haben. Eine gute Beziehung ist der Faktor Nummer eins für unser Wohlbefinden.

Das M in Perma steht für Meaning. Wir brauchen sowohl in der Arbeit als auch im privaten Bereich einen übergeordneten Sinn. Das A steht für Accomplishment. Es ist wichtig, von Zeit zu Zeit innezuhalten, um die Momente nicht zu verpassen, in denen etwas gut klappt, und nicht von einem Ziel zum nächsten zu stürmen. Das Akronym Perma ist damit voll, ich möchte aber noch hinzufügen, dass Gesundheit eine wichtige Grundlage ist. Daher wird das Konzept auch oft Perma+H für Health genannt.

STANDARD: Kritikerinnen und Kritiker werfen der Positiven Psychologie vor, dass der Ansatz zu einfach und das Erreichen von Glücksgefühlen komplexer ist. Was sagen Sie dazu?

Salchow: Ich denke, dass das insbesondere in den Anfängen eine berechtigte Kritik war. Die Positive Psychologie ist noch eine recht junge Wissenschaft, gleichzeitig hat sie einen hohen Anwendungsfaktor. Denn wenn wir wissen, wie wir unser Wohlbefinden steigern können, dann können wir das in unser Leben integrieren. Als Martin Seligman Ende der 90er Jahre von Positiver Psychologie sprach, und, dass sie sich darauf konzentriert, was im Leben gut und ausbaufähig ist und sich nicht nur auf psychische Erkrankungen fokussiert, wobei das mindestens genauso wichtig ist, war die Begeisterung groß. Mittlerweile gibt es eine zweite und auch eine dritte Strömung der Positiven Psychologie, die wesentlich integrativer ist. Emotionale Diversität und Agilität ist wichtig und die Positive Psychologie nimmt auch existenzielle Krisen, schwere Erkrankung oder den Verlust eines lieben Menschen in den Blick.

STANDARD: Dass äußere Umstände außer Acht gelassen werden, ist ebenfalls eine häufig zu hörende Kritik an der Positiven Psychologie.

Salchow: Die sogenannte Über-Individualisierung ist sicherlich eine Kritik, die wir allgemein an der Psychologie üben können. Gleichzeitig befinden wir uns da in einem Dilemma, denn wir müssen am einzelnen Menschen oder an Kohorten forschen, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu bekommen.

STANDARD: Kommen wir noch einmal zurück auf die positiven Emotionen. Sollen wir uns darauf stärker fokussieren?

Salchow: Ja und nein. Das ausschließliche Streben nach guten Gefühlen oder nach immer mehr guten Gefühlen, wir nennen das hedonistisches Glück, macht langfristig nicht glücklich. Wir möchten Teil von etwas sein, wahrgenommen werden. Wir möchten, dass das, was wir tun, Sinn hat. Shopping macht beispielsweise kurzfristig glücklich, aber grundsätzlich macht es uns langfristig glücklicher, wenn wir das Gefühl haben, etwas Sinnvolles beizutragen und dadurch gute, positive Emotionen zu erleben.

Grundsätzlich gilt, dass alle Emotionen, positive wie negative, gut sind und Teil unseres Alltags sein sollen. Gefühle wie Angst und Scham helfen uns beispielsweise, Gefahren zu erkennen, und bewahren uns vor sozialem Ausschluss. Positive Emotionen wiederum erweitern unseren Fokus in Richtung Lösungsmöglichkeiten. Wir sind offener und kreativer. Das kann man gut an sich selbst ausprobieren. Wenn man gestresst ist, bekommt man häufig einen Tunnelblick und sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Während man aber entspannt ist oder in einem Zustand von Heiterkeit und Freude, ist es viel einfacher Entscheidungen zu treffen.

Dorothee B. Salchow
Dorothee B. Salchow
Pati Glass Fotografie

STANDARD: Wie gelingt dieser Balanceakt von positiven und negativen Gefühlen?

Salchow: Es geht nicht um positives Denken oder darum, dass es keine unangenehmen Emotionen geben soll, sondern um die Integration aller Emotionen. Unser Gehirn ist darauf programmiert, dass wir überleben. Das heißt, wir sehen das, was nicht gut läuft, viel stärker als das, was bereits gut gelingt. Negative Emotionen sind wie Golfbälle: Sie hinterlassen einen viel stärkeren Eindruck als etwas flüchtigere Emotionen wie Freude, Interesse, Ehrfurcht, Stolz oder Vergnügen, die dagegen wie Seifenblasen wirken. Für jede erlebte negative Emotion benötigen wir drei positive Erlebnisse, damit wir Wohlbefinden und Wachstum erfahren.

STANDARD: Warum neigen Menschen dazu sich eher auf das Negative zu fokussieren?

Salchow: In der Psychologie nennen wir das eine Negativitätsverzerrung oder einen Negativity-Bias. Es ist wichtig zu wissen, dass das früher überlebenswichtig war. Früher hat nicht die Person überlebt, die herumgegangen ist und gesagt hat: "Ach, was haben wir hier für schöne Blümchen", sondern die Person, die auf Angriffe und lebensgefährliche Situationen geachtet hat. Gleichzeitig kann uns dieses Wissen auch helfen, bewusst positive Emotionen in unser Leben zu holen. Wenn ich Übungen anleite und die Teilnehmenden bitte, eine positive Emotion herzuholen, dann wissen alle ziemlich genau, was sie tun müssen. Das finde ich ganz schön. Denn auch das gibt es neben dieser Negativitätsverzerrung. Und das hat im Übrigen nichts mit toxic positivity zu tun.

STANDARD: Warum ist toxic positivity problematisch?

Salchow: Dieses "Ich muss es nur besser machen, positiv denken, und wenn ich Dinge manifestiere, dann treten sie auch ein" ist toxische Positivität. Wenn es dann aber nicht klappt, impliziert das auch "Ich bin nicht gut genug".

STANDARD: Sie sagen aber trotzdem, man soll den Fokus auf positive Emotionen legen?

Salchow: Es hilft, sich mit den zehn positiven Emotionen zu beschäftigen und sich zu überlegen, wann wir Gefühle wie Hoffnung, Stolz, Dankbarkeit, Ehrfurcht, Liebe oder auch Interesse, Vergnügen, Freude und Inspiration erlebt haben.

vierblättriges Kleeblatt
"Für jede erlebte negative Emotion benötigen wir drei positive Erlebnisse, damit wir Wohlbefinden und im besten Sinn Wachstum erfahren", sagt Salchow.
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STANDARD: Es gibt immer wieder Studien, die belegen, dass Frauen ohne Partner und Kind am glücklichsten sind. Wie sehen Sie das?

Salchow: Tatsächlich ist ein Kind zu bekommen ein großer Einschnitt, der die Glücklichkeitskurve eher nach unten treibt. Das bringt sehr viel Glückserleben, aber es gibt auch sehr viel, das neu geordnet werden muss, und dadurch kann das Wohlbefinden sinken. Grundsätzlich kommt sinnerfülltes Glück aber immer aus uns heraus und ist relativ unabhängig von diesen äußeren Variablen. Wenn ich meine Stärke, vielleicht Freundlichkeit oder Dankbarkeit, in der Kindererziehung einbringen kann oder wenn meine Stärke Bescheidenheit in der Partnerschaft besonders wertgeschätzt wird, dann erhöht das wiederum das Wohlbefinden. Gleichzeitig bin ich aber immer derjenige oder diejenige, die den Glücksfaktor ins Leben holt.

STANDARD: Single zu sein und keine Kinder zu haben macht also keine glücklichere Person aus jemandem, wenn es nicht in Zusammenhang mit Faktoren steht, die individuell positive Emotionen auslösen?

Salchow: Wenn wir zwei 35-jährige Frauen nehmen, eine verheiratet mit Kind und eine Single, dann haben die beiden wahrscheinlich ein unterschiedliches Glücksniveau. Wenn die Singlefrau ein, zwei richtig gute Beziehungen hat, im Job ihre Stärken ausleben und einen Beitrag für die Gesellschaft leisten kann, dann hat sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nach allem, was wir aus der Forschung wissen, ein wesentlich höheres Glücksniveau als eine verheiratete Frau mit Kind, die daran zweifelt, dass sie überhaupt etwas Sinnvolles tut, vielleicht häufig so etwas wie Ärger und Scham erlebt. Das sind aber letztlich Momentaufnahmen.

STANDARD: Sie sagen auch, dass das Glück im Laufe des Lebens einer U-Kurve gleicht. Wann ist denn der Tiefpunkt erreicht?

Salchow: Der Tiefpunkt ist mit 47 Jahren erreicht, und mit 48 Jahren – so alt bin ich jetzt – geht es wieder bergauf. Wir wissen nicht genau, woran das liegt, aber am Anfang der Kurve begeben wir uns auf eine Sinnsuche. Wir werden geboren, erleben, was wir können, bekommen Rückmeldung, sind in der Pubertät ganz durcheinander und schauen, wo unser Platz in der Gesellschaft ist. Mit dem Älterwerden bekommt man Lebensweisheit und es entsteht eine gewisse Gelassenheit. Es ist allerdings schwer, alles, was im Gehirn stattfindet, zu messen. Die Veränderung im Alter kann auch mit bestimmten Hormonausschüttungen zusammenhängen und damit, dass Emotionen mit weniger hohen Ausschlägen erlebt werden. Auch, dass bereits bestimmte Lebenserfahrungen gemacht wurden, die andere Dinge relativieren, kann zu mehr Gelassenheit führen.

STANDARD: Wenn man sich an das Mutter- und Vatersein gewöhnt hat, steigt die Kurve dann wieder?

Salchow: Ja, definitiv. In der Psychologie wird die Geburt eines Kindes oft als eine der größten Lebenskrisen bezeichnet. Das erlebt natürlich jede und jeder anders, aber ich arbeite viel mit berufstätigen Müttern, und da höre ich immer wieder, wie stark der Einschnitt war und wie viel Neues geordnet werden muss.

STANDARD: Haben Sie konkrete Tipps, wie wir im Alltag glücklicher werden?

Salchow: Eine Übung wäre, sich 20 Dinge aufzuschreiben, die einen glücklich machen, und bei Bedarf auf diese Liste zu blicken und eine Sache davon zu machen. Das kann eine Tasse Tee sein, ein Saunabesuch oder ein Gespräch mit einer Freundin. Was das Wohlbefinden auch erhöht, sind kleine Acts of Kindness. Halten Sie jemandem die Türe auf, machen Sie jemandem ein Kompliment, sortieren Sie ein Buch aus und leihen Sie es jemandem, der oder die sich darüber freut. (Julia Beirer, 24.12.2023)