Aufnahme aus dem Gerichtsgang mit Fotografen, Kameraleuten, Justizwachebeamten und dem Angeklagten
Unter großem Medieninteresse wurde der 17-Jährige zum Prozess um absichtliche schwere Körperverletzung an seiner Mutter gebracht.
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Wien – "Ich kenn ihn nur als netten Menschen", schluchzt die Zeugin im Prozess gegen den 17-jährigen Herrn K., der eher unbeteiligt auf der Anklagebank sitzt. "Aber er war völlig außer sich und hat sich nicht beruhigen lassen", meint die 66-Jährige, die bis September die Nachbarin von K. und seiner Mutter gewesen ist. Der erste Teil der Charakterisierung passt nicht ganz zu dem, was die Staatsanwältin in ihrem Eröffnungsplädoyer festhält: "Wenn man sich die Anklageschrift durchliest – es war ein Gewaltexzess. Es passt dann schon ins Bild zu dem, was jetzt bekannt wurde", erklärt sie dem Schöffengericht unter Vorsitz von Michaela Röggla, warum sie überzeugt ist, dass der Teenager am 18. September seine Mutter absichtlich schwer verletzt hat. Denn am Montag gestand K., im Sommer zwei Unterstandslose erstochen und eine schwer verletzt zu haben.

Der Jugendliche wird unter immensem Medieninteresse von fünf Justizwachebeamten in den Verhandlungssaal gebracht und blickt sich zum Publikum um, nachdem er auf dem Anklagestuhl Platz genommen hat. Sein Vater sitzt in der ersten Reihe, seine Mutter, die als mögliche Zeugin infrage kommt, wartet im Nebenraum. K., mit Hoodie, Jogginghose und Badeschlapfen bekleidet, wirkt entspannt oder sediert. Er streckt seine langen Beine unter dem Tisch vor ihm aus und verschränkt die Hände hinter der Stuhllehne.

Laut Anklägerin soll es am Tattag zum Streit mit der Mutter gekommen sein, wobei er mit Fäusten auf sie einschlug und die Liegende mit den Füßen gegen Kopf und Oberkörper trat. Zwei gebrochene Rippen, Prellungen und Hämatome waren die Folge. "Bei der Polizei hat er auch gesagt, er wollte sie verletzen", führt die Staatsanwältin aus, als K. in seiner legeren Sitzposition die Hand hebt und etwas einwirft. "Sie sind ruhig, jetzt rede ich", fährt ihn die Staatsanwältin an, auch sein Verteidiger Manfred Arbacher-Stöger kalmiert. Die Anklägerin kann also weitersprechen. "Er hat auch gesagt, er sei von seiner Mutter tyrannisiert worden und stolz darauf, es so lange ausgehalten zu haben."

Video: Erster Prozess für doppelmordverdächtigen 17-jährigen Wiener.
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Innerfamiliäre Konflikte

Die innerfamiliären Konflikte zwischen seinen vor über zehn Jahren geschiedenen Eltern und zwischen ihm und seiner Mutter führte der 17-Jährige, für den die Unschuldsvermutung gilt, bisher in seinem Geständnis auch als Motiv an, warum er zwischen 12. Juli und 9. August in der Bundeshauptstadt schlafende Obdachlose mit einem Messer angegriffen und zwei von ihnen getötet hat. "Haben Sie etwas davon bemerkt, dass die Mutter ihn tyrannisiert hat?", fragt daher ein Schöffe die als Zeugin erschienene Nachbarin. "Davon habe ich nichts mitbekommen", antwortet diese.

Verteidiger Arbacher-Stöger kündigt an, dass sein Mandant sich weder schuldig noch teilschuldig noch nicht schuldig bekennen werde, sondern die Aussage verweigern werde. Zunächst solle ein psychiatrisches Gutachten erstellt werden, fordert er. Denn: "Zum Tatzeitpunkt gab es eine starke Drogendelinquenz – Ecstasy, Kokain und Ketamin, es steht also im Raum, dass er weder schuld- noch zurechnungsfähig gewesen ist", argumentiert Arbacher-Stöger.

Dem Wunsch nach einem Gutachten schließt sich die Staatsanwältin an, sie verweist aber auf die neue gesetzliche Notwendigkeit, dass es von einer Sachverständigen auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie erstellt werden muss. Von denen es in Österreich exakt zwei gibt. Der Verteidiger würde sogar darauf verzichten und wäre mit einem "normalen" psychiatrischen Sachverständigen einverstanden, die Anklägerin verweist aber auf die Gesetzeslage.

Angeklagter verweigert Angaben

Der unbescholtene K. selbst nimmt das mit ziemlichem Desinteresse zur Kenntnis, gähnt und macht wie von seinem Rechtsvertreter angekündigt keine Angaben. "Das ist Ihr gutes Recht", stellt Vorsitzende Röggla fest. "Bei der Polizei haben Sie sich ja zur Verletzung Ihrer Mutter noch schuldig bekannt. Das hat sich offenbar geändert aufgrund der – äh – Vorfälle", umschreibt sie den im Raum stehenden Verdacht, der Unbescholtene könnte ein Serienmörder sein.

Die Staatsanwältin ist ob K.s offensichtlichen Gefühls, von der ganzen Angelegenheit nur peripher betroffen zu sein, misstrauisch. "Haben Sie Medikamente bekommen?", will sie vom Jugendlichen wissen, ob er überhaupt verhandlungsfähig sei. "Wissen Sie, was sich hier abspielt?", will daher auch Vorsitzende Röggla wissen. "Was sich hier abspielt, weiß ich", bestätigt der Angeklagte und ergänzt, er habe am Dienstag bei der Polizei von einer Amtsärztin eine Beruhigungstablette bekommen, in der Justizanstalt aber noch nicht.

Seine Mutter macht als Verwandte von ihrem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch und verzichtet auch auf Schmerzengeld. Die Nachbarin schildert als Zeugin, sie habe die Hilfeschreie gehört und nur noch das Ende gesehen: "Wie er auf seine Mutter einschlägt." – "Ist sie da schon auf dem Boden gelegen? Hat er geschlagen oder getreten?", interessiert die Vorsitzende. "Er hat hingetreten." – "Wohin?" – "Auf Kopf und Oberkörper." K. blickt zunächst in Richtung der Frau, dann gähnt er wieder. "Haben Sie den Eindruck gehabt, dass er beeinträchtigt gewesen ist? Von Alkohol, von Drogen?", will der Verteidiger wissen. "Ich kann nur vermuten, dass er was genommen hat, aber Alkohol sicher nicht." – "Sie haben nichts gerochen?" – "Nein."

"Höflich und aufmerksam"

In den Jugenderhebungen für diesen Fall, die noch vor dem Aufkommen des Mordverdachts erstellt wurden, wird K. als "höflich und aufmerksam" skizziert, allerdings wurde eine "Affektverflachung bei den Erzählungen über die belastende familiäre Situation" notiert. Die Conclusio der Expertinnen der Wiener Jugendgerichtshilfe: Dem Gericht wird die Anordnung von Bewährungshilfe, ein ambulanter Drogenentzug sowie eine psychiatrische Therapie für den Angeklagten empfohlen.

Die Vorsitzende vertagt dann für die Erstellung des Gutachtens auf unbestimmte Zeit und will vom 17-Jährigen wissen, ob es Vorbefunde gibt. "Waren Sie schon einmal in psychiatrischer Betreuung?", fragt sie daher. "Einmal. Kurz, vor drei oder vier Wochen. Weil es mir so scheiße gegangen ist", gibt K. bereitwillig, aber recht emotionslos Auskunft. Als er von der Justizwache zurück in seine Zelle gebracht wird, nicken sich Vater und Sohn noch kurz zu. (Michael Möseneder, 13.12.2023)