Eine ältere Frau tippt auf einem Tablet.
Sich in der digitalen Welt zurechtzufinden ist eine Hürde für viele ältere Menschen.
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Schließt sich die Tür des Raumes 2.04 im zweiten Obergeschoß der Volkshochschule (VHS) Favoriten, öffnet sich eine Parallelwelt. Neun Senioren sitzen an einem trüben Vormittag auf warmen Sesseln, vor ihnen liegen ihre Smartphones. Mit Block und Stift sind sie für den Unterricht gewappnet. Die ersten Fragen haben sie schon auf den Lippen, bevor der Kurs beginnt. Sie stellen sie hier, weil ihre Kinder und Enkelkinder sie nicht mehr hören können, Josef Benes kann es. Sein Beruf ist es, Menschen den Umgang mit dem Smartphone beizubringen.

"Ich stelle jetzt eine blöde Frage", setzt eine Frau an, bevor Kursleiter Benes einen guten Morgen wünschen kann. "Warum braucht es eigentlich diese Apps?" Diese Frage beschäftigt auch ihre Sitznachbarin: "Jeder fixiert sich jetzt auf diese Apps, beim Spar kriegt man die Rabatte nur so", erbost sie sich. Benes, ein großer freundlicher Mann, erklärt mit ruhiger Stimme, was es mit den "Programmen" auf sich hat, und beantwortet weitere offene Fragen: "Das Zahnrad sind die Einstellungen", erklärt er, wobei mehrere der Senioren das letzte Wort laut mitsprechen.

Fehlende Weiterbildung ist Hauptproblem

Der Smartphone-Lehrer ist 76, seit sechs Jahren gibt er Unterricht an verschiedenen VHS-Standorten in Wien, weil die Pension sonst zu langweilig sei. Warum er sich mit der neuesten Technik auskennt? "Ich war 40 Jahre lang IT-Leiter in einer Firma", fängt er an zu erzählen. Er habe sich immer mit dem technischen Fortschritt auseinandergesetzt, beruflich und privat. Auch die Sprach-KI ChatGPT findet sich auf seinem Handy. Die Unterrichtseinheit im zehnten Wiener Gemeindebezirk beginnt für die Senioren mit der Hürde QR-Code. "Aus Trotz habe ich die noch nicht benutzt", bekennt eine Frau. Doch auch sie macht mit beim Scannen des Codes. "Es ist eben nicht nur Blödsinn, sondern es kann auch praktisch sein", besänftigt Benes.

Wenig überraschend haben Menschen ab dem Jahrgang 1949 und älter den größten Aufholbedarf, was digitale Kompetenzen anbelangt. Das ist auch dem Digital-Skills-Barometer zu entnehmen, einer repräsentativen Studie des Vereins Fit4internet, für die 3.600 Menschen in ganz Österreich befragt wurden. Jung und Alt eint dabei aber die fehlende Weiterbildung der vorhandenen digitalen Kenntnisse, schließen die Studienmacher. Denn die meisten Menschen eignen sich digitales Wissen durch Ausprobieren an, lassen sich auf Youtube belehren oder fragen Familie und Freunde. Eine wirkliche Lernstruktur gibt es nicht. Nur etwas mehr als ein Fünftel gab an, selbstfinanzierte oder betriebsinterne Schulungen besucht zu haben. Hier gibt es Verbesserungsbedarf.

Digitaler Geschlechtsunterschied

Zurück in die Smartphone-Schule: Einer der Teilnehmer bekennt stolz, dass er seit gestern ein Google-Konto habe. Eine Frau ruft entschuldigend nach Hilfe: "Ich habe überhaupt nichts gemacht!" Benes gibt den Tipp, mit den Augen und nicht den Fingern auf dem Touchscreen zu suchen. Fotos versenden, Alben in der Galerie erstellen, Kontakte einspeichern: All das und mehr lernen die Teilnehmenden bei Benes. "Es ist eh easy, wenn man es kann", sagt die 65-jährige Maria-Alexandra Mendala. Sie ist eine der sieben Frauen, die sich für den Smartphone und Tabletkurs der VHS Favoriten angemeldet haben, nur zwei Männer sind dabei. "Ich habe noch nie einen Kurs gehabt, in dem es mehr Männer als Frauen gab", meint Benes.

Woran liegt das? Es sei eine Überwindung, sich anzumelden, und "Männer geben nicht gerne zu, etwas nicht zu können, vor allem im technischen Bereich", mutmaßt er. Oft würden die Ehegatten ihre Frauen drängen, in den Kurs zu gehen und ihnen das Erlernte dann zu Hause beizubringen. Auch viele Witwen würden sich anmelden, weil technisches Know-how oft noch Männerdomäne sei, meint er.

Das zeigen auch die Zahlen des Digital-Skills-Barometers: Männer weisen durchschnittlich höheres Wissen und mehr Begeisterung im digitalen Bereich auf als Frauen. Das liegt unter anderem daran, dass Männer öfter in technischen Berufen arbeiten. In jüngeren Generationen verengt sich diese Lücke aber.

Ein Mann steht vor einem Fenster und blickt auf sein Smartphone.
Männer sind technisch versierter, überschätzen ihr Wissen aber auch eher, zeigen die Zahlen des Digital-Skills-Barometers.
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Gen Z und Boomer gleichauf

In der Studie wurde einerseits das vorhandene Wissen geprüft, andererseits sollten sich die Befragten selbst einschätzen. Im Geschlechtervergleich kam auch heraus, dass Männer ihr Wissen eher überschätzen als Frauen. Und: Die als Digital Natives proklamierte Gen Z überschätzt sich mehr als jede andere Generation. Denn tatsächlich wissen die 14- bis 28-Jährigen genauso viel wie die Babyboomer. Insgesamt sind knapp 30 Prozent aller Österreicher digitale Nachzügler, die meisten befinden sich im Wissensmittelfeld, und nur 30 Prozent haben das digitale Kompetenzniveau, welches das moderne Berufsleben erfordert, schließen die Studienautoren. Am fittesten sind demnach die Millennials (zwischen 1980 und 1994 geboren).

Die Gen Z sitzt also nicht so fest im digitalen Sattel, wie sie denkt und wie es viele Berufe erfordern. Deswegen ist die digitale Bildung nicht nur für ältere Generationen ein Thema, sondern gerade für junge Menschen wichtig, auch um mehr Frauen an die IT-Branche heranzuführen.

Bildung und digitales Wissen sind eng verknüpft

Um das zu schaffen, braucht es allerdings eine bessere Struktur und weniger "Learning by doing"-Gewurschtel. Bildung und digitales Wissen sind eng miteinander verknüpft, zeigt die Studie: je höher der Schulabschluss, desto größer das Interesse. Deswegen sei eine tiefere Verankerung im Bildungswesen wichtig, "Lehrpersonal muss besser im Umgang mit Technik geschult werden", fordert Michael Swoboda, Geschäftsführer von Enterprise Training Center (ETC). ETC bietet Weiterbildungen im IT-Bereich an und hat an der Erstellung des Digital-Skills-Barometers mitgewirkt. "Wir brauchen eine konstante Skills-Initiative", sagt er, das Lernen müsse Teil des Alltags werden und nicht mehr punktuell ablaufen.

Die Pandemie war dabei eine Lehrstunde, auch für Unternehmen: "Bei der Pandemie haben viele Unternehmen gemerkt, dass die Fähigkeiten, die nötig wären, nicht da sind", erklärt Swoboda. Nun werde aufgeholt. Die Nachfrage bei ETC sei vor allem in den Bereichen digitale Grundalphabetisierung, IT-Sicherheit und Cloud-Computing, also netzwerkbasierten Systemen, verstärkt. Deswegen fordern Swoboda und der Verein Fit4internet eine digitale Bildungsprämie und Förderungen, also finanzielle Anreize für Arbeitnehmende und Unternehmen, sich weiterzubilden. "Der Staat ist in der Verantwortung, mit Unternehmen gemeinsam zu planen", meint Swoboda.

Staat gefordert

Auch Kursleiter Josef Benes wünscht sich mehr Unterstützung: "Vom Staat wird überhaupt nichts gemacht. Es wird nur geredet!", ärgert er sich. Einen Fortsetzungskurs gibt es auch bei der VHS nicht, deswegen kämen immer wieder dieselben Leute in den Einstiegsunterricht.

"Vielleicht komme ich auch wieder", sagt Peter Sevelda. Der 83-jährige ist der ältere Bruder des ehemaligen Raiffeisenbankchefs Karl Sevelda. Bis vor zwei Jahren arbeitete er noch in seiner Herrenschneiderei am Wiener Hauptbahnhof. Von den Fragen zu seinem Smartphone konnten seine Kinder und Enkel irgendwann nichts mehr hören: "Lerne es selbst, haben sie mir gesagt", erzählt Sevelda. Deswegen sei er nun in Benes' Unterricht. "Der Herr ist kompetent, da traue ich mich auch Fragen zu stellen", bekennt er mit einem Lachen. Für ihn ist der Kurs mit "Neugierde, Ehrgeiz und Gehirntraining" verbunden. Und auch Benes erklärt, dass er sich laufend weiterbilde. Es mache ihm Spaß, sein Wissen weiterzugeben. "So ein Glück!", ruft Sevelda. (Noah May, 15.12.2023)