Ex-Kanzler Sebastian Kurz war am Montag guter Dinge. Heute werde man zeigen, "mit welchen Methoden gearbeitet wird", verkündete der Angeklagte auf dem Weg in den Gerichtssaal. Geladen war dort sein einstiger Vertrauter Thomas Schmid, der mittlerweile Kronzeuge werden will und Kurz schwer belastet.

Sebastian Kurz (links) und sein Ex-Vertrauter Thomas Schmid vor Gericht.
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Mehrere Stunden, bis in den späten Nachmittag, zog sich die Befragung durch Richter Michael Radasztics, bei der Schmid angab, dass Kurz bei wichtigen Personalentscheidungen unter Türkis-Blau ein Vetorecht gehabt – und somit vor dem U-Ausschuss falsch ausgesagt habe. Am Freitag geht die Befragung weiter.

Fast wäre die "Bombe", über die das Team Kurz gemunkelt hatte, nicht geplatzt – denn eigentlich hätte nach dem Richter die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ihre Fragen an Schmid stellen dürfen. Doch die Verteidigung beantragte erfolgreich, zuerst dranzukommen – und konnte so kurz vor Redaktionsschluss der meisten Printmedien ihren vermeintlichen Trumpf ausspielen.

Video: Kurz-Prozess: WKStA befragt Schmid.
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Verbindungen in den Kreml

Schmid fühle sich von den Staatsanwälten stark unter Druck gesetzt, und "nicht alles", was er ausgesagt habe, habe er als "wahr in Erinnerung": Das soll Schmid, der frühere Chef der Staatsholding Öbag, zwei Geschäftsleuten bei einem "Bewerbungsgespräch" im Sommer 2023 in Amsterdam erzählt haben. Dabei sei es um ein Ölprojekt in Georgien gegangen. Beide hatten das in einer eidesstattlichen Erklärung, einem Affidavit, festgehalten; die Kurz-Verteidiger Otto Dietrich überraschend austeilte. Richter Radasztics sah jedoch keine unmittelbare Relevanz für das Verfahren. Wenn, dann müssten die beiden Herren persönlich erscheinen.

Affidavit
Die eidesstattliche Erklärung, die Kurz' Verteidigung vorgelegt hat.
Faksimilie

Aus den eidesstattlichen Erklärungen geht die Identität der beiden Geschäftsleute hervor: Es handelt sich um Waleri Afinogenow und Aleko A.. Besonders Afinogenow ist kein unbeschriebenes Blatt: Der 63-jährige Russe ist unter anderem Generaldirektor von OOO NPK Almaz, einem Unternehmen, das synthetische Materialien herstellt und hierbei auch mit der russischen Staatsfirma Rostec kooperiert, die vor allem im Rüstungsbereich tätig ist. Die Kooperationsvereinbarung wurde laut einer Aussendung im Juni 2022 unterzeichnet, anwesend war auch der russische Industrieminister Denis Manturow.

Siegfried Wolf, der verhinderte Öbag-Aufsichtsratschef

Der hat anderweitig mit einem Österreicher zu tun: Manturow war zuletzt mit dem Verkauf des russischen Schaeffler-Werks beschäftigt, das laut Entscheidung des Kreml von Ende November an PromAvtoConsult LLC verkauft werden darf. Dahinter steht, wie Schaeffler bestätigt hat: der Unternehmer und Kurz-Vertraute Siegfried Wolf, der von Schmid ebenfalls schwer belastet wurde.

Chats zeigen, dass Wolf ab 2018 immer wieder bei Sebastian Kurz für seinen russischen Geschäftspartner Oleg Deripaska intervenierte. Wolf wollte vom Kanzler Hilfe bei den im April 2018 erlassenen ersten US-Sanktionen gegen Deripaskas russische GAZ-Gruppe, deren Aufsichtsratschef Wolf damals war.

Kurz wollte Wolf just zu dieser Zeit zum Aufsichtsratschef der neuen Staatsholding Öbag machen – dass er es nicht wurde, nutzt der Ex-Kanzler heute in seinem Falschaussage-Verfahren als Beleg dafür, dass er keinen Einfluss auf Personalbesetzung geltend machen konnte.

Thomas Schmid hat im Zeugenstand allerdings ausgesagt, nur die US-Sanktionen hätten die sofortige Ernennung Wolfs damals verhindert. Offenbar fürchtete man, Wolfs Verbindungen nach Russland könnten US-Investoren in den Beteiligungsunternehmen der Öbag (darunter OMV, Telekom, Post und Verbund) abschrecken. Auch die deutsche Porsche SE stand zunächst auf der Bremse. Auch dort sollte Wolf 2018 in den Aufsichtsrat einziehen, doch er musste wegen des Sanktionsthemas ein Jahr zuwarten und erst "die Klärung der Unbedenklichkeit seines Mandats" durchführen, wie es damals hieß.

Unabhängig davon hat Thomas Schmid Siegfried Wolf in Einvernahmen belastet. Er soll für Wolf die Karriere einer Finanzbeamtin begünstigt haben – im Abtausch soll die Beamtin eine Steuerangelegenheit von Wolf wohlwollend behandelt haben. Wolf und die Finanzbeamtin bestreiten die Vorwürfe, wegen denen seit knapp zwei Jahren ermittelt wird, es gilt die Unschuldsvermutung.

Vermittlung über Banker

Das Treffen in Amsterdam zwischen Schmid und den beiden Russen soll auf Vermittlung eines gebürtigen Ukrainers zustande gekommen sein: Alexander Basarow, eines hochrangigen Managers der russischen Sberbank. So steht es zumindest in einer der beiden eidesstattlichen Erklärungen – auch hier gibt es eine Verbindung zu Wolf, der Aufsichtsratsvorsitzender der mittlerweile abgewickelten Sberbank Europe war. Aufseiten von Schmid soll wiederum ein österreichischer Banker, der in London arbeitet, vermittelt haben.

Nun stellt sich die Frage, warum diese Russen damals ausgerechnet Thomas Schmid, einen gefallenen Manager mit ernsthaften juristischen Problemen, wenig Auslandserfahrung und ohne Russisch-Kentnnisse, für ein Ölprojekt in Georgien in Betracht gezogen haben.

"Unser Anwalt wurde über den Sachverhalt informiert. Daraufhin hat sich RA Dr. Dietrich mit einem der beiden Herren getroffen, bei dem dieser diese Aussagen getätigt und sogar angeboten hat, diese mit Affidavits zu bestätigen", sagte ein Sprecher von Sebastian Kurz zum ORF-Journalisten Martin Thür. Afinogenow dementierte, Geld für die Eidesstattliche bekommen zu haben; das Team Kurz, Geld oder Vorteile geboten zu haben. Wolf wollte sich auf Anfrage nicht äußern. (Michael Nikbakhsh, Fabian Schmid, Timo Schober, 15.12.2023)