Eine Polin bei einem Protest gegen das restriktive polnische Abtreibungsgesetz. 
Seit 2020 ist es in Polen enorm schwer geworden, eine legale Abtreibung zu bekommen. Immer wieder protestieren Pol:innen gegen die Regelung.
IMAGO/Aleksander Kalka

Straßburg - Weil einer jungen Polin ein Schwangerschaftsabbruch trotz einer Trisomie-Diagnose für ihr Kind verboten worden war, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Polen am Donnerstag verurteilt. Es ist das zweite Mal innerhalb einer Woche, dass das Gericht in Straßburg Polen wegen einer Verletzung des Rechts auf Privat- und Familienleben verurteilt.

Die Klägerin hatte einen Termin für einen Schwangerschaftsabbruch am 28. Jänner 2021 gehabt, einen Tag nach dem Inkrafttreten einer Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts, das Abtreibungen wegen Fehlbildungen des Fötus für ungesetzlich erklärt hatte. Die Klinik hatte den Termin zur Abtreibung daraufhin abgesagt, die junge Frau ließ schließlich im Ausland abtreiben. Das sei mit hohen Kosten und einer Trennung der familiären Unterstützung verbunden gewesen, was für die Frau mit "erheblichen psychologischen Folgen" verbunden gewesen sein, so die Begründung der Richter:innen.

Zweite Verurteilung in einer Woche

Die Straßburger Richter:innen begründeten ihr Urteil damit, dass es bei der Wahl der polnischen Verfassungsrichter "erhebliche Regelverstöße" gegeben habe. Das Verfassungsgericht entspreche daher nicht den Anforderungen eines Rechtsstaates. Zudem sei der Eingriff bei der jungen Frau noch vor Inkrafttreten der Neuregelung vereinbart worden.

Der Menschenrechtsgerichtshof verurteilte Polen zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 15.000 Euro. Zwei der sieben Richter:innen, einer aus Polen und einer aus Ungarn, stimmten gegen die Verurteilung.

Der EGMR hatte Polen bereits am Dienstag wegen fehlenden Schutzes homosexueller Partnerschaften verurteilt. Geklagt hatten fünf homosexuelle Paare, die vergeblich versucht hatten, vor polnischen Standesämtern eine Ehe zu schließen. Es bestehe kein Grund zur Annahme, dass die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare traditionell gegründeten Familien schaden könne, urteilten die Richter:innen.

Am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sind 46 Staaten beteiligt. Er befasst sich mit mutmaßlichen Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention in allen Unterzeichnerstaaten. Grundsätzlich müssen erst die innerstaatlichen Institutionen durchlaufen sein, bevor das Menschenrechtsgericht sich mit einem Fall befasst. (APA, AFP, red, 15.12.2023)