Es ist vermutlich kein Zufall, dass die Details erst jetzt in einer breiteren Öffentlichkeit diskutiert werden. Diese Woche haben zuerst der US-amerikanische Senat und dann das Repräsentantenhaus den Verteidigungshaushalt für das kommende Jahr verabschiedet – jeweils mit breiten Mehrheiten. Dieser sieht ein Volumen von 886 Milliarden US-Dollar für die Verteidigung vor, was einem Anstieg um rund drei Prozent gegenüber dem vergangenen Jahr entspricht. Wohlbekannt ist mittlerweile auch, dass die darin vorgesehenen Mittel für die Ukraine mit etwa 300 Millionen Dollar reichlich dürr ausfallen, weshalb das Weiße Haus dringend über weitere Gelder von rund 50 Milliarden Dollar verhandeln will. Der US-Senat hat aus diesem Grund seine Weihnachtsferien verschoben, eine Einigung im harten Streit zwischen Demokraten und Republikanern ist aber nicht in näherer Sicht. Die Konservativen fordern weiterhin, zuerst umfangreiche Ausgaben zum Schutz der US-Grenze zu beschließen.

Joe Biden vor Nato-Logos an einem Rednerpult.
Unter Joe Biden stehen die USA zur Nato. Ob das unter Donald Trump auch so wäre, ist umstritten. Ein neues Gesetz soll nun zumindest formell die Hände des Republikaners binden.
IMAGO/Beata Zawrzel

Weniger bemerkt wurde öffentlich hingegen bis zum Beschluss des Gesetzes – das formell noch durch die Unterschrift von Präsident Joe Biden Rechtskraft erlangen muss –, dass darin auch eine Passage zur US-amerikanischen Nato-Mitgliedschaft aufgeführt ist, die nicht unmittelbar mit dem Haushalt zu tun hat, dafür aber ein deutliches Signal für eine womöglich anstehende zweite Präsidentschaft Donald Trumps sein könnte. Darin nämlich wird der Handlungsspielraum des Präsidenten für einen Ausstieg aus der Allianz massiv verkleinert.

Frage: Was genau steht in dem Passus und wie ist er zustande gekommen?

Antwort: Aushandelt haben die Absätze der demokratische Senator Tim Kaine aus Virginia (einst Vizepräsidentschaftskandidat Hillary Clintons) und der republikanische Senator Marco Rubio (Florida), der als Unterstützer Donald Trumps, aber auch als massiver Kritiker der autoritären Führung Russlands gilt. Die Passage schließt eine mögliche Gesetzeslücke. Denn laut den bisher geltenden Vorgaben ist vorgesehen, dass der Präsident für Beitritte zu Verträgen die Zustimmung des Kongresses einholen muss – ob daraus hervorgeht, dass dies auch für einen Rückzug gilt, ist umstritten. Donald Trump war jedenfalls in seiner ersten Amtszeit der Meinung: nein. Hätte er seine mehrfach wiederholte Drohung, selbstständig aus der Nato auszutreten, wahr gemacht, hätte diese These vor Gerichte geprüft werden müssen.

Frage: Und jetzt?

Antwort: Nun wird das schwieriger. Denn die Passage im neuen Gesetz sieht anderes vor. Für einen Rückzug aus der Nato, so ist nun spezifisch festgeschrieben, ist nun ein gemeinsamer Beschluss beider Kammern des Kongresses vonnöten. Oder, alternativ, eine Zweidrittelmehrheit im Senat. Darüber hinaus muss der Präsident nun den Kongress mindestens 180 Tage im Voraus über einen Austrittsplan informieren. Spontanaktionen, wie sie Trump in seiner ersten Amtszeit mehrfach in Aussicht gestellt hatte, sind damit nicht mehr möglich.

Frage: Wäre ein Austritt aus der Allianz unter Trump überhaupt eine echte Gefahr gewesen?

Antwort: Darüber gibt es geteilte Ansichten. Konservative Anhänger Trumps, die sich selbst zur Nato bekennen, vermeinen im Verhalten des Ex-Präsidenten eine geschickte Strategie zu erkennen. Trump habe nur deshalb mehrfach mit dem Rückzug aus der Nato gedroht, weil er damit die anderen Mitglieder zur Einhaltung ihrer finanzielle Verpflichtungen habe drängen wollen: mindestens zwei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. Eine solche Erhöhung europäischer Verteidigungsetats war auch tatsächlich in Trumps erster Amtszeit eine Folge der Drohungen.

Allerdings: Viele, die einst mit dem damaligen Präsidenten im Weißen Haus tätig waren, glauben, dass Trump seine Kritik völlig ernst meint. John Bolton, einst Trumps Sicherheitsberater, sagte im Sommer in einem Interview, sein früherer Chef werden im Fall einer zweiten Amtszeit "ganz sicher" aus der Nato aussteigen. Trump selbst hatte in früherer Zeit immer wieder den russischen Präsidenten Wladimir Putin gepriesen, zuletzt trat er als Kritiker der Ukraine-Unterstützung auf. Den Krieg dort will er "binnen 24 Stunden beenden", was angesichts der russischen Annexion großer Landesteile auf eine Niederlage Kiews hinauslaufen würde. Auf der Wahlkampfhomepage Trumps steht der vieldeutige Satz, man wolle "den Prozess beenden, den wir in meiner ersten Amtszeit begonnen habe, den Sinn und die Mission der Nato neu zu bestimmen".

Frage: Diese Gefahr ist nun aber gebannt?

Antwort: Nicht wirklich. Eigentlich ist es eher ein symbolischer Schritt, in dem auch viele republikanische Abgeordnete ihren Willen bekundet haben, der Nato treu zu bleiben. Denn auch wenn Trump die Nato nun nicht mehr so einfach formell verlassen könnte: Wie die USA unter seiner Führung ihre Verpflichtungen in der Organisation beurteilen, ist dennoch Ermessenssache – und zwar im Zweifel jene des Oberbefehlshabers der Armee, also des US-Präsidenten.

Die USA könnten als stärkste Armee in der Nato ihre Truppen von wichtigen Stellungen zurückziehen und so die Abschreckung vermindern oder einfach nur noch mit halber Kraft mitmachen. Auch in welcher Form Washington auf einen Angriff reagieren würde, obliegt dem Präsidenten. Ein großer Teil des Nato-Macht liegt in der Glaubwürdigkeit der Allianz. Mit Trump an der Spitze der USA wäre diese so und anders beschädigt. (Manuel Escher, 15.12.2023)