Secession Wien
Der US-amerikanische Künstler Tishan Hsu verwandelt den Hauptraum der Secession in eine skurrile Landschaft.
Oliver Ottenschläger

Mehrere Jahrzehnte musste Tishan Hsu warten, damit seine Werke dem Zeitgeist der Kunstwelt außerhalb der Science-Fiction-Szene entsprechen. In den 80er-Jahren hatte er damit jedenfalls keinen Erfolg – doch jetzt könnten die Mischobjekte aus Mensch und Technik nicht aktueller sein. So war der US-amerikanische Künstler 2022 prominent in der Hauptausstellung The Milk of Dreams auf der Venedig-Biennale vertreten.

Nun präsentiert die Wiener Secession neue Werke von Hsu und verwandelt ihren zentralen Raum in eine skurrile Landschaft, in der man sich in ferner Zukunft wähnt. Dabei betont der Künstler, dass er in seinen Skulpturen nur darauf reagiere, was er aktuell in der Welt beobachte. Auf glatten Oberflächen erschafft Hsu scheinbar bewegliche Gewächse. Die Großskulptur tablet-skin-screen erinnert in ihrer Form an einen aufgeklappten Laptop, ihre Oberfläche an kühles und elegantes Design.

Dieses wird dann jedoch gebrochen: Organische Formen treten daraus hervor. Handelt es sich um Fleischwunden? Oder runzlige Körperöffnungen? Oder gar wucherndes Gewebe? Diese ständige Ambivalenz zwischen divergierenden Oberflächen sowie menschlichen oder maschinellen Elementen ziehen sich durch die gesamte Ausstellung. An den Wänden haften Tafeln, die einen animierten Anschein machen – manche bewegen sich auch wirklich –, und dies kulminiert in einer den Raum dominierenden Tapetenarbeit in LSD-Optik.

Secession
Die Großskulptur" tablet-skin-screen" erinnert in ihrer Form an einen aufgeklappten Laptop, ihre Oberfläche an kühles und elegantes Design.
Oliver Ottenschläger

Oberfläche mit Wimmerln

Darauf tänzeln undefinierbare Körperteile, Röntgenaufnahmen sowie digitale Muster nebeneinander. Die daraus resultierende Optik lässt an ein Wackelbild denken, dass sich je nach Blickwinkel verändert. Eine gewölbte, in ihrer Form kaum beschreibbare Figur liegt mittig im_Raum zwischen all den sonst flachen Objekte von Hsu – und ergibt so ein spannendes Gegenstück. Wie auch in anderen seiner Arbeiten muss man ganz nahe treten, um neben einer Gitterstruktur auch eine Nahaufnahme menschlicher Haut zu erkennen. Neben Narben, Härchen und kleinen Warzen finden sich auch Unreinheiten. Haben Cyborgs also auch Wimmerln?

Die Thematik setzt sich subtil in der zweiten neuen Ausstellung im Untergeschoß der Secession fort. Dort werden fotografische Farnstudien und akribische Zeichnungen der schottischen Künstlerin Charlie Prodger mit interessanten Videoarbeiten kombiniert. Prodger vertrat Schottland auf der Biennale in Venedig 2019 und wurde ein Jahr davor mit dem Turner Prize ausgezeichnet. Diesen erhielt sie für ihren Film Bridgit, der neben anderen Arbeiten im Loop präsentiert wird.

Nach einer jungsteinzeitlichen Gottheit benannt, wird darin die wandelnde Beziehung zwischen Körpern und Landschaften erkundet. Prodger drehte den Film gänzlich auf ihrer Handykamera, wodurch das Gerät zu einer Verlängerung ihres eigenen Körpers avancierte und sogar dessen Atembewegungen überträgt. Die Grenzen sind fließend. (Katharina Rustler, 16.12.2023)