Luai Ahmed
Auf Tiktok, Instagram und X hat Ahmed eine Millionenreichweite.
Lea Sonderegger

Der Westen sei der muslimischen Welt klar überlegen, die verhassten "Ungläubigen" würden Medikamente entwickeln und das Weltall erobern, während die Muslime immer noch im Mittelalter feststeckten und einander Geschichten über den Propheten Mohammed und dessen fliegendes Pferd erzählten. Und Muslime sollten sich langsam fragen, warum die ganze Welt über sie lacht, weil sie so rückständig sind.

Was klingt wie die Wahlkampfrede eines europäischen Rechtspopulisten, sind Botschaften des 30-jährigen Jemeniten Luai Ahmed. Auf Social Media wird er dafür gefeiert. Fast im Wochentakt produziert er professionell gemachte Videobotschaften. Darin legt er sich nicht nur mit der muslimischen Gemeinschaft an, er zieht auch gegen Europa für den toleranten Umgang mit Muslimen ins Feld.

Erfolgsrezept Provokation

Ahmeds Erfolgsrezept ist die Provokation: Er vermengt in seinen Clips rechte Klischees über Muslime mit persönlichen Erfahrungen und verbrieften Fakten, zeigt wenig Skrupel, alle Araber über einen Kamm zu scheren. Dafür bekommt er immer mehr Applaus auch von links – weil er damit exakt dem gegenwärtig antimuslimisch dominierten Zeitgeist Europas entspricht.

Worüber er weniger gern spricht, ist seine mutmaßliche Nähe zu rechtsextremistischen schwedischen Parteien, wie ihm Kritiker vorwerfen.

Nähe zu Rechtsextremisten

Luai Ahmed sitzt in einem Wiener Kaffeehaus vor einer Tasse Tee, den er kaum anrührt, und redet in einem geschliffenen Englisch wie ein Wasserfall. Er ist schmächtig, fast schon zart, sehr selbstbewusst und trägt eine viel zu große Brille. Ahmed verbringt ein paar Tage in Österreich bei Freunden. Sonst lebt und arbeitet er in Schweden als freier Journalist. Dort hat er 2013 auch Asyl bekommen. Mit seinen Videos wolle er der muslimischen Welt den Spiegel vorhalten, sagt er, und die Menschen zum Umdenken bringen, das sei sein Antrieb.

Seine Kurzvideos auf dem Kurznachrichtendienst X, vormals Twitter, auf Instagram und auf der Videoplattform Tiktok haben mittlerweile eine Millionenreichweite – mit abertausenden Kommentatoren, die ihn entweder hassen und seinen Kopf fordern oder ihn für seinen Mut in den Himmel loben. In der aufgeheizten Propagandaschlacht zwischen Muslimen und Nichtmuslimen auf Social Media symbolisiert Ahmed offenbar genau das Gegenteil dessen, was allgemein auch angesichts des gegenwärtigen Kriegs in Nahost von Arabern stereotyp erwartet wird. Er symbolisiert eine Art Antithese zu den Pro-Palästina- und Hamas-Anhängern, die das Internet mit ihren islamistischen und antisemitischen Hassbotschaften fluten.

Sturm der Entrüstung

In Schweden ist Ahmed schon länger als politischer Aktivist bekannt. Er schreibt für verschiedene Onlinemedien. Mit seiner radikalen Islam-Kritik machte er sich vor allem in der rechten Szene einen Namen. "Für die Rechten war ich in Schweden ein Glücksfall. Der gut integrierte Muslim, der genau die Probleme mit Einwanderern und dem Islam anspricht, die ihrer Meinung nach von den schwedischen Regierungen immer vernachlässigt worden sind", sagt er. Nur die Rechten haben ihm lange Zeit zugehört, während die Linke ihn ignorierte, sagt er.

Seine Verbindungen zu rechtsextremistischen Parteien sollen freilich viel enger sein, als er angibt. Vor allem zu den rechtsextremen Schwedendemokraten, die für eine rigorose Migrationspolitik und Islam-Feindlichkeit stehen. Eines ihrer bekanntesten Gesichter ist Richard Jomshof, er ist Vorsitzender des Justizausschusses im Reichstag und Parteisekretär. Die Schwedendemokraten stützen gegenwärtig im schwedischen Parlament eine Minderheitsregierung.

Im Sommer bezeichnete Jomshof den Islam als "Religion, die vom Kriegsherrn, Massenmörder, Sklavenhändler und Räuber Mohammed gegründet wurde". Es war nicht seine erste Entgleisung dieser Art. In Schweden löste er einen Sturm der Entrüstung aus. In der Diktion ähnelt er freilich Ahmeds Botschaften in seinen Videos. Ahmed kennt Jomshof, tritt gemeinsam mit ihm in Talkshows und Diskussionen auf, verteidigt ihn in einem Online­kommentar für Teile seiner Politik.

Toxisches religiöses Umfeld

Eine unmittelbare Nähe bestreitet er trotzdem. Er sei nie Mitglied der Schwedendemokraten gewesen, auch sonst gebe es keine Verbindungen zu anderen rechten Parteien und Personen. Er unterstütze nur ihr Narrativ, dass die Einwanderungsquote in Schweden viel zu hoch sei. "Allein das macht mich für viele Linke verdächtig", sagt er. Er lehne viele Forderungen der Schwedendemokraten ab, weil sie ihm zu weit gingen. Aber auch wenn er von den Rechten für ihre Agenda missbraucht werde, ändere das nichts an seiner Meinung.

Aufgewachsen ist Ahmed in Sanaa, der Hauptstadt des Jemen. Seine Mutter Amel al- Basha ist eine der bekanntesten Frauenrechtlerinnen. Von ihr habe er auch seinen Drang zum Widerstand geerbt, meint er. Das Land im Süden der Arabischen Halbinsel gilt als eines der ärmsten, gleichzeitig als eines der strengsten muslimischen Länder der Welt. Der seit Jahren andauernde blutige Bürgerkrieg, befeuert von den vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen und dem benachbarten Saudi-Arabien, forderte bis heute fast 450.000 Tote. "Der Islam diktiert im Jemen das komplette Leben", sagt Ahmed. Als Kind sei das für ihn normal gewesen, auch er musste in die Moschee, hörte die Hasspredigten der Imame, lernte stundenlang Koranverse auswendig. Die Religion habe dabei nichts anderes versucht, als ihn zu entmenschlichen, sagt er.

Dass es in "diesem toxischen religiösen Umfeld" keine Zukunft für ihn gebe, habe auch mit seiner Homosexualität zu tun. "Ich habe mich im Jemen nicht einmal getraut, das Wort 'schwul' auszusprechen. Ich wusste, wenn das rauskommen würde, wäre ich in der Sekunde tot!" Erst im Westen habe er sich geoutet.

Drohungen von Al-Kaida

Die Journalistin Zyana Al-Hamadi, die ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, kennt Ahmed noch aus dem Jemen. Sie vermutet, dass seine Homosexualität der Grund sei, warum er sich jetzt gegen seine eigenen Leute stelle. "Er fühlt sich als Schwuler ausgeschlossen, deshalb dient er sich dem Westen an und sucht nach Anerkennung", sagt sie. Sie glaubt nicht, dass es viele Araber gibt, die seine Meinung teilen.

Nach Schweden ist er 2013 im Zuge des Arabischen Frühlings legal über ein Studentenaustauschprogramm gekommen. Kaum sei er in Stockholm gewesen, habe ihn seine Mutter angerufen und ihm gesagt, dass er nicht mehr zurückkehren könne, da die Familie wegen ihres politischen Engagements Drohungen der Terrororganisation Al-Kaida erhalte.

Luai Ahmed
"Im echten Leben bin ich wie Batman, ich bewege mich immer unter dem Radar", erzählt Luai Ahmed.
Lea Sonderegger

Antimuslimischer Tiktok-Krieger

"Ich landete in einem Aufnahmezentrum und wartete mit anderen Flüchtlingen auf mein Asylverfahren", erzählt er. Dort habe er gesehen, dass viele Migranten wenig Interesse zeigten, sich integrieren zu wollen. Sie wollten weiter so leben wie in ihren Herkunfts­ländern. Eine falsch verstandene Toleranz gegenüber nicht integrierten Muslimen in Europa gefährde mittlerweile die eigene Freiheit, sagt Ahmed – erneut im Duktus eines Rechtspolitikers. Aber das Meinungsbild habe sich komplett gedreht, meint er. Das lässt sich auch an seinen Followern auf Social Media ablesen, die sich quer durch alle Gesellschaftsschichten und politischen Parteien ziehen und seine Inhalte mit Begeisterung teilen.

Dies sei seine Motivation, weiterzumachen, wenn auch zu einem hohen Preis. Seine Familie und seine besten Freunde hätten ihn fallenlassen, sagt er. Nicht wegen seiner Islam-Kritik, sondern wegen seiner Unterstützung für Israel. Das würde ihn schmerzen, die vielen Hassbotschaften und Morddrohungen seien ihm hingegen egal. "Ich habe keine Angst. Manche User drohen mir fast schon täglich mit Allahs Kriegern, die kommen werden, um mich zu töten. Das ist nicht neu. Aber im Gegensatz zum digitalen bin ich im echten Leben wie Batman, ich bewege mich immer unter dem Radar", sagt er. Und das gilt vielleicht auch für seine möglichen Verstrickungen in rechte Milieus. (Stefan Kaltenbrunner, 17.12.2023)