Im Gastbeitrag erklärt Rechtsanwalt Volker Glas, worum es bei der neuen europäischen grünen Anleihe geht.

Windkraftanlagen.
In der Vergangenheit gaben etwa Energieunternehmen grüne Anleihen aus.
IMAGO/Rainer Keuenhof

Am 30. November 2023 wurde im Amtsblatt der EU die Verordnung über europäische grüne Anleihen verlautbart. Sie ist ab Dezember 2024 verbindlich. Damit ging ein beinahe zweieinhalbjähriger Gesetzgebungsprozess zu Ende, der ursprünglich im November 2019 mit der Verlautbarung des "European Green Deals" (Reduktion der Nettoemission von Treibhausgasen in der EU bis 2050 auf null) angestoßen wurde. Noch rechtzeitig?

Green Bonds sind Schuldverschreibungen, deren Erlös umweltfreundlichen Projekten gewidmet ist. Das Konzept ist nicht neu: 2007 begab die European Investment Bank die weltweit erste grüne Anleihe, damals als "Climate Awareness Bond" bezeichnet. Fahrt aufgenommen hat der Green-Bond-Markt ab etwa 2016; seitdem wächst er stark, aber immer noch auf überschaubarem Niveau: Das globale Volumen neu emittierter Schuldverschreibungen betrug in den letzten vier Jahren jährlich zwischen 25 und 30 Billionen US-Dollar, der globale Anteil nachhaltiger Anleihen davon lediglich 2,2 (2020) bis 3,7 (2022) Prozent. In Österreich emittierten bereits Liegenschaftsgesellschaften, alternative Energiehersteller oder Elektrizitätsversorgungsunternehmen grüne Unternehmensanleihen, aber auch eine Mehrzahl von Banken und Versicherungen.

Mehr Transparenz, weniger Ökoschwindel

Bislang orientierten sich die Emittenten an den Regelwerken privatrechtlicher Branchenverbände, in Europa vor allem der International Capital Markets Association (ICMA), die schon seit 2018 Regelwerke für grüne Anleihen veröffentlichte, denen sich Emittenten freiwillig unterwarfen. Die Emissionserlöse solcher grünen Anleihen sollten diesfalls für Projekte, die nach bestimmten Bewertungen auszuwählen sind, verwendet werden, wobei diese Verwendung zu überwachen und über sie zu berichten ist. Hielten sich Emittenten nicht an diese Selbstbindung, wurden sie vom Markt durch geringeres Investoreninteresse, vor allem bei nachfolgenden Emissionen, abgestraft. Schadenersatz- oder Unterlassungsansprüche oder die Geltendmachung von unlauterem Wettbewerb blieben Theorie.

Die neue European Green Bond Verordnung basiert ebenfalls auf dem Prinzip der Freiwilligkeit: Nur wer die Bezeichnung "europäische grüne Anleihe" oder "EuGB" verwenden möchte, muss die Anforderungen der Verordnung erfüllen. Die Verordnung möchte die Transparenz erhöhen und das Risiko von Ökoschwindel (Greenwashing) verringern, indem sie Emittenten zwingt, die Finanzierung von grünen Projekten an der EU-Taxonomieverordnung auszurichten: Mindesten 85 Prozent der Erlöse müssen taxonomiekonform sein; der Rest darf in Sektoren investiert werden, die noch nicht abgedeckt sind (zum Beispiel Luftfahrt) oder für die noch keine technischen Bewertungskriterien gelten (zum Beispiel Landwirtschaft). Vor Emission des Papiers wird durch Informationsblätter, die nach einem von der Verordnung vorgegeben Schema zu erstellen sind, Transparenz hergestellt. Diese Blätter sind von unabhängigen externen Prüfer zu überprüfen. Nach Emission sind jährlich Allokationsberichte (ebenfalls nach Schema) zu erstellen und ebenfalls extern zu überprüfen. Die Prüfer bedürfen einer Konzession, die ebenfalls in der Verordnung geregelt ist. Nach vollständiger Allokation ist ein Bericht über die Umweltauswirkungen der Anleihe zu erstatten.

Goldstandard gegen Greenwashing

Bei Regelverstößen öffnet sich der ganze europäische Werkzeugkasten: Die Aufsichtsbehörde (in Österreich voraussichtlich die FMA) kann Emittenten zur Veröffentlichung von Informationsblättern zwingen, Allokationsberichte, Wirkungsberichte sowie externe Überprüfungen verlangen, das öffentliche Angebot, die Zulassung zum Handel oder Werbung aussetzen/verbieten, Entscheidungen veröffentlichen, Inspektionen vor Ort durchführen und wirksame, abschreckende, verhältnismäßige Verwaltungsstrafen verhängen.

Die Verordnung schafft somit einen Goldstandard: Das Greenwashing-Risiko wird minimiert, was das Vertrauen der Anleger verbessert. Allerdings sind die Melde- und Berichtspflichten komplex, die statistischen und anderen Daten sind schwierig zu beschaffen. Die Ausrichtung an die EU-Taxonomieverordnung wird zu einer Herausforderung für die Benutzerfreundlichkeit. Die Verordnung tendiert zur Überregulierung, etwa durch externe Überprüfungen, was zu erhöhten Kosten führt. Diese und die potenzielle Haftung könnte Emittenten abschrecken. Ob die Verordnung daher den ICMA‑ und anderen freiwilligen Green Bonds, die derzeit den grünen Anleihemarkt beherrschen, den Rang ablaufen kann, wird von der Nachfrage des Marktes abhängen, etwa von Investmentfonds, die Veranlagungen ausschließlich nach der Offenlegungsverordnung (SFDR) tätigen, um nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten gegenüber Endanlegern zu erfüllen. (Volker Glas, 17.12.2023)