Das Bild zeigt einen Smartphone-Bildschirm vor einem Hintergrund mit den grünen Ziffern 0 und 1.
Das Smartphone steht einmal mehr unter Verdacht, Nutzerinnen und Nutzer belauschen zu können. Beweise gibt es allerdings keine.
AFP/SEBASTIEN BOZON

Es ist eine Verschwörungserzählung, die schon seit langem ihr Unwesen im Internet treibt: Unternehmen würden Gespräche über die Mikrofone unserer Smartphones belauschen, um zielgerichtet Vorlieben oder Bedürfnisse herauszufiltern und dementprechend maßgeschneiderte Werbung ausspielen zu können. Tatsache ist, dass es bisher keine Beweise für diese urbane Legende gibt – und sie sich nur deshalb so hartnäckig hält, weil es ausgefeilte Methoden des Werbetrackings gibt und wir statistisch gesehen auch nicht so individuell sind, wie wir es uns gerne vorstellen.

Wasser auf die Mühlen aller Zweifler ist nun ein Vorstoß des US-amerikanischen Medienunternehmens Cox Media Group (CMG), deren Marketingabteilung bis vor kurzem behauptete, dass man genau das könne: Werbung durch das Abhören von alltäglichen Gesprächen über Mikrofone in Smartphones, Smart-TVs und anderen Geräten zu personalisieren. Wie 404 Media berichtet, habe CMG Ende November in Marketingmaterialien eine neue Technologie namens "Active Listening" vorgestellt, mit der man potenzielle Kunden basierend auf belauschten Gesprächen adressieren könne.

Anzapfen des "Geflüsters"

"Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Sie Gedanken lesen können" beginnt der Beitrag die Vision zu "Active Listening" einzuleiten und listet in weiterer Folge konkrete Beispiele für aufgezeichnete Gesprächsfetzen auf, die als Grundlage für die zielgerichtete Auslieferung von Werbung verwendet werden könnten. Worte, die nach der Veröffentlichung des Berichts von 404 Media nur noch über das Internet Archive abrufbar sind, offiziell ist die Website mittlerweile nicht mehr online.

Aus den Unterlagen geht hervor, dass die Marketingabetilung von CMG "Active Listening" als revolutionäres Tool positionieren wollte, das angeblich modernste Algorithmen des maschinellen Lernens nutzt, um die Art und Weise zu verändern, wie Unternehmen ihre Marketingaktivitäten ausrichten. Durch das Anzapfen des "Geflüsters" der Verbraucher verspricht "Active Listening", wöchentlich eine Liste qualifizierter Kundenkontakte („Leads“) zu erstellen, somit die Relevanz von Anzeigen zu erhöhen und folglich den Return on Investment (ROI) für Unternehmen zu verbessern.

CMG ist an dieser Stelle auch nicht verlegen, ethische und rechtliche Fragen auszuräumen: In einer Art FAQ wurde im Dokument die Rechtmäßigkeit dieser Praxis bestätigt und auf die Zustimmung der Nutzer verwiesen, die in den Geschäftsbedingungen für Software-Updates und App-Downloads enthalten sei. Dennoch bleiben die Details des Datenerfassungsprozesses vage. Apple beispielsweise benachrichtigt ja iPhone-Nutzer, wenn eine App auf das Mikrofon zugreift – ob und wie das auch bei "Active Listening" der Fall gewesen wäre, lässt sich aufgrund der vorhandenen Informationen nicht nachvollziehen.

Berechtigte Zweifel

Nicht zuletzt deshalb ist zu bezweifeln, ob CMG das Produkt "Active Listening" in der beschriebenen Form überhaupt anbieten kann, zumal exakte technische Details des Vorgangs bisher offengeblieben sind. Der Prozess über nicht näher definierte Apps umfasst offenbar die Einrichtung eines Gebiets für den Dienst, gefolgt von einer KI-Analyse der über verschiedenen Geräte aufgezeichneten Gespräche. Die daraus gewonnen Daten sollen dann in gezielte Werbung auf verschiedenen digitalen Plattformen einfließen.

In einer Reaktion versuchte CMG seine Position zu verdeutlichen und erklärte, dass seine Unternehmen nicht direkt Gespräche abhören, sondern sich auf aggregierte, anonymisierte Daten Dritter für die Anzeigenschaltung verlassen. Diese Daten, die von verschiedenen Plattformen mit Zustimmung der Nutzer gesammelt werden, werden dann in anonymisierte Informationen für Werbekunden umgewandelt. CMG betonte sein Engagement für Transparenz und bedauerte jegliche durch seine Marketingstrategien verursachte Verwirrung. Aktives "Zuhören" dürfte in diesem Kontext also weiterhin nur eine wilde Theorie bleiben, für die es keine handfesten Beweise gibt. (bbr, 17.12.2023)