Das Versprechen ist ein großes: Dank Video Boost soll Googles Pixel 8 Pro einen gehörigen Sprung bei der Qualität von Videoaufnahmen machen, gerade bei abendlichen Aufnahmen die Konkurrenz überflügeln. So versprach es der Hersteller bei der Vorstellung seiner aktuellen Smartphone-Generation Anfang Oktober. Das Problem dabei: Unabhängig prüfen konnte das zunächst niemand, der Hersteller vertröstete Interessierte auf einen späteren Zeitpunkt.

Los geht's!

Ein Zeitpunkt, der nun gekommen ist. In den vergangenen Tagen hat Google mit der Auslieferung der "Video Boost"-Funktion begonnen. DER STANDARD hat sich das natürlich gleich einmal näher angesehen, um einer simplen Frage nachzugehen: Kann Google sein Versprechen halten, oder hat man in der Bewerbung zu dick aufgetragen?

Pixel-8-Pro-Kamera.
Pixel-8-Pro-Kamera.
Proschofsky / STANDARD

Die Verfügbarkeit ist derzeit auf ein einziges Smartphone-Modell beschränkt: Googles eigenes Pixel 8 Pro. Eine wirklich gute Erklärung dafür liefert der Hersteller nicht. Recht vage verweist man darauf, dass die eigene Hardware der neuen Smartphones bei der Aufnahme eine wichtige Rolle spielt. Ob dem wirklich so ist, bleibt mangels technischer Details unklar. Doch selbst wenn man das so glaubt, erklärt das nicht, warum das kleinere Pixel 8 außen vor bleibt – ist es in Hinblick auf die für Video Boost relevante Kameraausstattung doch exakt gleich bestückt.

Ein Experiment

In diesem Fall dürfte etwas anderes relevanter sein, und zwar etwas, das Google erst bei beharrlichen Nachfragen bekennt. Video Boost ist derzeit einfach noch ein experimentelles Feature, das man zunächst einmal auf einem Modell ausprobieren will. Insofern besteht durchaus Hoffnung, dass der Support für das Pixel 8 ohne Pro noch folgt.

Weitere Voraussetzungen für die Nutzung von Video Boost sind, dass auf dem Smartphone mindestens der erste Feature Drop für Android 14 läuft (also das Dezember-Update) sowie dass die Versionen von Google-Kamera- und Google-Fotos-App auf dem aktuellsten Stand sind. Und als wäre das nicht genug, muss man dann noch auf den Goodwill von Google hoffen – wird das Feature doch schrittweise an sämtliche Pixel-8-Pro-User verteilt. Bei wem diese Umstellung wann passiert, entscheidet der Softwarehersteller.

Der erste Kontakt

Hat man das Feature, ist es aber nicht zu übersehen: Beim nächsten Wechsel auf die Videofunktion in der Kamera wird Video Boost über einen erklärenden Dialog beworben. Dort erfährt man auch gleich einen wichtigen Punkt: Das Feature kann nicht dauerhaft eingeschaltet bleiben, es muss also vor jeder Aufnahme einzeln aktiviert werden. Das geht, indem bei aktiviertem Videomodus über eine Wischbewegung nach oben die entsprechende Option (die zweite von oben) angewählt wird.

Screenshots der Google Kamera-App mit Video Boost
Ein paar Screenshots: Video Boost wird automatisch angeboten, wenn es für das eigene Gerät verfügbar ist. Aktiviert kann es pro Video über die Schnelleinstellungen werden. Ist eine Aufnahme erfolgt, heißt es warten, dafür gibt es dann eine Platzhalteranimation. Wenn einmal alles fertig ist, werden beide Varianten behalten, wer will, kann aber auch eine davon manuell löschen.
Proschofsky / STANDAR

Ist das getan, fallen sofort ein paar andere Eckpunkte auf: Bei Video Boost wird immer in 4K30 aufgenommen. Google hat zwar angedeutet, dass es künftig mehr Optionen geben soll, derzeit fokussiert man aber eben auf diese. Die einzige relevante Option, die sonst noch zur Verfügung steht, ist die Aktivierung der 10-Bit-HDR-Aufnahme, wenn man das will.

Eine unerwartete Längenbeschränkung

Videos selbst werden dann ganz normal aufgenommen, einen entscheidenden Unterschied gibt es aber: Die Länge der Aufnahmen ist auf 9:59 Minuten beschränkt, beim Überschreiten dieses Werts wird sie automatisch beendet. Was ebenfalls auffällt: Video-Boost-Aufzeichnungen gehen nur mit der Hauptkamera, Ultraweitwinkel- oder Telekamera sind in diesem Modus also nicht erreichbar.

Ist die Aufnahme abgeschlossen, steht umgehend eine Art Vorschau in 1080p bei 30 Bildern pro Sekunde zur Verfügung. Parallel dazu wird die eigentliche 4K-Aufnahme auf die Server von Google hochgeladen. Der Grund dafür ist recht simpel: Für all das, was in weiterer Folge an Berechnungen passiert, bieten aktuelle Smartphones schlicht nicht genügend Leistung.

Das heißt auch: Die Nutzung von Google Fotos ist Voraussetzung für Video Boost. Genau dorthin werden die Dateien nämlich hochgeladen. Der Upload ist dabei mit der normalen Backup-Funktion gekoppelt, in den Default-Einstellungen heißt das, dass er erst beginnt, wenn man sich in einem WLAN befindet.

Bitte warten

In den Kamera- und Foto-Apps wird der anstehende Video Boost über eine Platzhaltergrafik symbolisiert. Sind die Cloud-Berechnungen abgeschlossen, wird die resultierende Datei automatisch heruntergeladen und die Nutzerinnen und Nutzer mittels Benachrichtigung informiert. Anschließend kann zwischen der "normalen" und der "geboosteten" Version gewechselt werden, wenn man diese vergleichen will, werden also beide behalten. Im Test waren die Cloud-Berechnungen immer nach rund ein bis zwei Stunden abgeschlossen, nicht eingerechnet ist dabei die Zeit für den Upload, weil das stark vom eigenen Netzwerk und den Einstellungen abhängt.

Was hingegen automatisch gelöscht wird, ist die temporäre 4K-Version, die auf Google-Server hochgeladen wird. Das allerdings eben erst nach vollständig abgeschlossenem Upload. Für besonders Neugierige ergibt sich an dieser Stelle die Möglichkeit, das Rohprodukt "abzufangen" oder eher: zeitgerecht wegzukopieren. Und da erklärt sich dann nicht nur schnell, wieso diese temporäre Datei gleich wieder gelöscht wird, sondern auch, warum man eine sehr gute Internetanbindung haben sollte.

Spurensuche

Diese temporären 4K-Dateien sind nämlich riesig, und das ist in dem Fall keine Übertreibung. Im Test kam eine Minute Video auf eine Größe von circa 1,8 GByte. Das dürfte dann wohl der Grund für das Zehn-Minuten-Limit sein, sonst würde nicht nur der lokale Datenspeicher bald volllaufen, auch die Bearbeitungskosten für Google selbst dürften nicht unerheblich sein. Und wäre das Feature bei allen von Haus aus aktiviert, würden wohl sehr viele real existierende WLANs beim Nachhausekommen für längere Zeit ordentlich belastet werden.

Für das fertige, von Google "geboostete" Video gilt das übrigens nicht. Dessen Größe entspricht einer ganz normalen 4K30-Aufnahme, was in etwa auf ein Sechstel des Platzverbrauchs der temporären Version hinausläuft. Damit wäre auch geklärt, ob Google bei Video Boost wirklich am Gerät mehr Bilddaten einsammelt oder es sich nur um simples Postprocessing handelt. Es ist definitiv Ersteres.

Tensor G3
Laut Google spielt der eigene Smartphone-Chip Tensor G3 eine wichtige Rolle für Video Boost. Einen Beleg dafür liefert man nicht.
Google

Was dabei genau passiert, verrät Google bisher leider nicht. Auffällig ist aber, dass die temporäre Videodatei eine sehr hohe Bitrate hat. Ob sonst noch Zusatzdaten mitgespeichert werden (wie Google behauptet), ließ sich zunächst nicht herausfinden.

Video lernt von Foto

Google selbst spricht jedenfalls davon, dass bei Video Boost erstmals die Möglichkeiten der "Computational Photography", wie sie die Qualität aktueller Smartphone-Fotos erst ermöglicht hat, auf Videos ausgedehnt wird. Bei Fotos funktioniert dies, indem mehrere Aufnahmen kombiniert werden. Theoretisch könnte auch der Sensor der Hauptkamera des Pixel 8 gleichzeitig kurz und länger belichtete Bilder aufnehmen, um mehr Daten für einen besseren Dynamikumfang zu sammeln. Ob das hier wirklich zum Einsatz kommt, ist unbekannt. Klar ist insofern nur, dass die Ziele ähnlich sind. So geht mit Video Boost einher, dass es erstmals eine Nachtsichtfunktion für Videos gibt, was deutlich bessere Aufnahmen am Abend verspricht.

Ausprobiert

Bekanntermaßen sind Versprechungen aber nur das eine, die Realität oft das andere. Insofern ist die Zeit gekommen, sich einmal die Resultate von ein paar Testaufnahmen anzusehen. Bei Tageslicht tritt dabei schnell eine gewisse Ernüchterung ein. Zwar sind die Farben in einigen Bereichen etwas knackiger, die Dynamik besser – und damit auch näher an dem, was die Fotofunktion der Pixel-Smartphones liefert –, ansonsten bleibt es ehrlich gesagt Geschmackssache, ob man die per "Video Boost" aufbereitete Version bevorzugt. Zumal die Google-Berechnungen auch noch nicht perfekt abgestimmt zu sein scheinen, manche der "Video Boost"-Ergebnisse fielen schlicht zu hell aus.

Bei Tag werden Videos mit Video Boost zwar sehr gut, aber auch nicht viel besser als ohne
Andreas Proschofsky
Google Video Boost Test / Pixel 8 Pro
Am Tag sind die Ergebnisse nicht groß unterschiedlich, hier ein Frame aus einem Testvideo ohne Video Boost (1080p).
Proschofsky / STANDARD
Google Video Boost Test / Pixel 8 Pro
Hier die per Video Boost aufbereitete 4K-Version. Bitte den Hinweis zu den unterschiedlichen Auflösungen im Artikel beachten.
Proschofsky / STANDARD

In Summe war das "geboostete" Video im Test zwar von der Bildqualität her meist eine Spur besser, aber auch nicht viel mehr. Was hingegen sehr wohl positiv auffällt: Google nimmt in dem Zuge gleich noch eine Reihe von anderen Bearbeitungen vor. Jedenfalls enthalten die von "Video Boost" gelieferten Clips deutlich weniger Haker als sowohl die Vorschau als auch ein zum Vergleich aufgenommenes, "normales" Video mit 4K30. Auch Gehbewegungen werden besser abgefedert als bei einem Clip ohne Video Boost.

Google Video Boost Test / Pixel 8 Pro
Bei vielen der Tageslichtaufnahmen fällt es in die Kategorie "Geschmack", welche Version man bevorzugt.
Proschofsky / STANDARD
Google Video Boost Test / Pixel 8 Pro
Das gleiche Motiv mit aktiviertem Video Boost.
Proschofsky / STANDARD

Wirklich überraschend kommt dieses Ergebnis allerdings nicht. Bei guten Lichtverhältnissen liefern aktuelle Smartphones mittlerweile generell bereits eine ziemlich gute Bildqualität, und das ist auch bei den Google-Geräten der Fall. Interessanter wird es dann also, wenn die Lichtverhältnisse schlechter werden. Bei Kunstlicht zeigen sich denn auch die ersten relevanten Unterschiede, bei näherer Betrachtung sind mehr Details in Schattenbereichen erkennbar.

Die Nachtsicht ist das eigentliche Highlight

Am Abend spielt "Video Boost" dann seine Stärken voll aus. Hier sind die Unterschiede auf den ersten Blick klar erkennbar. Nicht nur weil das Ergebnis deutlich heller (und in dem Fall: realistischer) ist, es sind wirklich überall deutlich mehr Details zu erkennen, der Dynamikumfang ist besser, die Farbgestaltung (meist) realistischer – also zumindest, wenn sich der KI-Weißabgleich von Google nicht mal wieder irrt.

Eine Video bei Sonnenuntergang ohne Video Boost.
Andreas Proschofsky
Die gleiche Szene mit Video Boost.
Andreas Proschofsky
Google Video Boost Test / Pixel 8 Pro
Am Abend zeigen sich die Unterschiede deutlich. Eine Szene zunächst ohne Video Boost.
Proschofsky / STANDARD
Google Video Boost Test / Pixel 8 Pro
Hier dann mit aktiviertem Video Boost. Die Aufnahme ist dann nicht einfach nur heller, sie bietet auch viel mehr Details.
Proschofsky / STANDARD

Ohne Fehl ist der Video Boost aber auch hier nicht. Zum Teil zeigt sich gerade bei wenig Licht ein sehr künstlich wirkender Look, wie er bei Smartphone-Kameras in der Nacht lange üblich war – und es bei einigen Herstellern noch immer ist. Gerade das Wechselspiel zwischen hellen und dunklen Bereich wird bei Video Boost aber erheblich besser dargestellt, als es andere aktuelle Smartphones derzeit vermögen.

Vergleiche

An dieser Stelle ein kurzer, aber wichtiger Hinweis zur Vergleichbarkeit der Ergebnisse. Google macht es uns in dieser Hinsicht nämlich nicht leicht: Da die nicht geboostete Version lediglich als 1080p-Video abgespeichert wird, lässt sie sich nicht 1:1 mit dem 4K30-Ergebnis des Video Boost vergleichen. Deswegen wurden bei vielen Testvideos als zusätzliche Kontrolle auch noch "normale" 4K30-Videos sowie Fotos des gleichen Szenarios aufgenommen.

In der Nacht zeigen sich die Unterschiede am stärksten. Das Beispiel ohne Video Boost.
Andreas Proschofsky
Zum Vergleich dieselbe Aufnahme mit Video Boost. Deutlich mehr Details, zum Teil aber auch künstlich wirkende Strukturen.
Andreas Proschofsky
Google Video Boost Test / Pixel 8 Pro
Noch ein schönes Beispiel für die Nachtsicht. Dieser Frame stammt aus dem Video ohne diese Funktion.
Proschofsky / STANDARD
Google Video Boost Test / Pixel 8 Pro
Ist Video Boost aktiviert, gibt es in jeder Hinsicht ein viel besseres Bild.
Proschofsky / STANDARD

Dabei zeigte sich, dass die mit Video Boost erstellten Aufnahmen deutlich näher an der Farbgestaltung von mit der Pixel-8-Pro-Kamera aufgenommenen Fotos waren. Zudem sind in den geboosteten Videos auch erheblich mehr Details zu sehen als bei einer klassischen 4K30-Aufnahme.

Wer sich selbst davon überzeugen will: Die Testvideos mit und ohne Boost sowie diverse Vergleiche gibt es in einem Album bei Google Fotos in Originalqualität.

Fazit

Eines ist bei der Nutzung von Video Boost unübersehbar: dass es sich dabei um ein experimentelles Feature handelt. Zu unausgegoren wirken die Ergebnisse zum Teil noch, bei Tageslicht ist das Resultat die Extraarbeit eigentlich nur selten wert. Am Abend bekommt man hier hingegen so etwas wie eine Vorschau in die Zukunft der Smartphone-Videografie. Die gelieferten Ergebnisse haben zwar durchaus ihre spezifischen Schwächen, und doch sind sie meist – zum Teil deutlich – besser als das, was andere Smartphones derzeit am Abend so liefern. In Summe erinnert das etwas an die erste Version von Googles Nachtsicht für Smartphones.

Das ändert aber wiederum nichts daran, dass die Nutzung von Video Boost derzeit ziemlich umständlich und mit langen Wartezeiten verbunden ist, viele sich das im Alltag nicht antun werden. Auch dass für diese Funktion riesige Datenmengen in Richtung Google-Server geschoben werden (müssen), könnte für viele ein Problem sein. Immerhin sind relativ enge Upload-Beschränkungen hierzulande nicht unüblich. Wer da unterwegs ein paar Videos macht und dann nach Hause kommt, kann damit das eigene Netz eine Zeitlang ordentlich beschäftigen.

So bleibt Video Boost ein tatsächlich am Abend sehr beeindruckendes Extra. Aber auch eines, das mehr ein Teaser für die Zukunft von Smartphone-Videos ist. Eine Zukunft, in der solche Berechnungen hoffentlich irgendwann einmal direkt am Gerät vorgenommen werden können und der Umweg über die Cloud entfällt. Erst dann wird die breite Masse an Smartphone-Usern wirklich von den Vorzügen der "Computational Photography" auch bei Videos profitieren können. (Andreas Proschofsky, 21.12.2023)