Elon Musk vor dem Threads-Logo
Elon Musk wollte sich dieses Jahr öffentlich mit Mark Zuckerberg prügeln. Jetzt geht es nur darum, wer den Menschen mehr Lebenszeit wegnimmt.
AFP/STEFANI REYNOLDS

Jauchzet und frohlocket, denn es ist euch ein neues Social Network geboren worden: Nach längerem Zögern ist Metas Threads auch in der EU verfügbar und bietet somit eine Alternative zu X, vormals bekannt als Twitter. Das sind nicht nur vermeintlich gute Nachrichten für alle, die sich beim US-amerikanischen Multimilliardär Mark Zuckerberg sicherer fühlen als beim US-amerikanischen Multimilliardär Elon Musk. Sondern vor allem auch für jene, die mit der X-Philosophie der Content-Moderation berechtigterweise ein Problem haben: So wurde kurz vor Weihnachten bekannt, dass es laut internen Vorgaben in der Moderation für Musk und sein Team vollkommen in Ordnung ist, wenn man anderen Nutzern ungefragt Hitler-Fotos oder Nachrichten sexueller Natur schickt beziehungsweise Homosexuelle oder Menschen anderer Hautfarbe beschimpft.

Das wird nicht nur der EU-Kommission zu bunt, die inzwischen auf Basis des Digital Services Act (DSA) ein Verfahren gegen X gestartet hat, unter anderem wegen der massiven Verbreitung von Falschnachrichten aufgrund der mangelhaften bis nicht vorhandenen Moderation. Auch Privatpersonen sollten sich fragen, was sie dort überhaupt noch wollen. Im besten Fall werden hier vom Algorithmus zwar Inhalte ausgewählt, die halbwegs zu den eigenen Interessen passen und somit dazu animieren, sich länger auf der Plattform aufzuhalten. In den meisten Fällen wird dieses Bedürfnis aber gar nicht mehr befriedigt. Wir werden frustriert zurückgelassen oder mit geschmacklosen bis übelsten Inhalten konfrontiert.

Ist Threads besser als X?

Natürlich habe auch ich mich bei Blue Sky und später bei Threads registriert, um zu sehen, was dort so los ist. Und vor allem bei Threads war die Euphorie in den ersten Stunden groß: Alle freuten sich, endlich da zu sein, immer mehr alte Bekannte strömten auf die Plattformen, ein regelrechtes Wettrennen um die besten Memes zum erfolgreichen Wechsel entbrannte. Es war eine Honeymoon-Phase – die aber nur wenige Tage dauern sollte.

So strömten recht bald auch diverse Gestalten von anderen Seiten des Social Webs auf die Plattform. Darunter ein gewisser Mario Barth, der es für nötig hält, die Plattform als Verkaufskanal für seine T-Shirts mit der Aufschrift "Ich gender nicht" (ja, inklusive Grammatikfehler) zu nutzen. Jedem seine Meinung, keine Frage. Aber muss ich sie aufgedrängt bekommen, indem sie mir ungefragt in den "Für dich"-Feed gespielt wird?

Was ist mit Blue Sky und Mastodon?

Bei Blue Sky hatte ich mich hingegen seit dem Threads-Start nicht mehr eingeloggt und habe dies speziell für diese Kolumne nochmals gewagt – was zu der äußerst amüsanten Erkenntnis führte, dass in meiner Timeline kaum noch Menschen posten, sondern fast nur noch die Bots von Nachrichtenseiten. Gewiss, ich könnte mich dort bewusst auf die Suche nach neuen Inhalten begeben. Aber warum sollte ich das tun? Ein soziales Netzwerk wird erst durch soziale Kontakte und deren individuelle Empfehlungen attraktiv.

Ähnlich ist das Bild beim dezentralen Netzwerk Mastodon, das noch vor einem Jahr als der große X-Killer gefeiert wurde – eine Prognose, die sich nicht bewahrheiten sollte. Denn auch hier ist die Postingfrequenz gering, wiewohl anzumerken ist, dass zumindest in meinem Umfeld die Community deutlich nerdiger und weniger politisch ist: hier kann ich auch mal Fragen zu Themen wie Open Source, Smart Home oder 3D-Druck stellen und bekomme brauchbare Antworten.

Vielleicht liegt das auch daran, dass Mastodon wegen seines Ansatzes der Dezentralität und des Registrierens auf verteilten Instanzen komplizierter wirkt – aber definitiv nicht deutlich komplizierter ist – als andere Social Networks. Die Tech-affinen Menschen sind hier noch weitgehend unter sich. Das dürfte sich aber spätestens ändern, wenn Meta sein Threads für das Fediverse öffnet und sich somit die Threads- mit den Mastodon-Usern vernetzen. Fein, dann wächst die Community. Allerdings auch zu dem Preis, dass sie sich entsprechend verwässert.

Weniger ist mehr

Denn vielleicht liegt hier ja der Kern des Problems. So wie Fernschauen per se kein Hobby ist, so ist es auch nicht mehr legitim, die eigene Social-Media-Präsenz als Selbstzweck zu sehen. Der Neuigkeitswert dieser Plattformen ist in den vergangen Jahren zunehmend verflogen. Es ist nicht mehr cool, wenn es alle tun. Ganz im Gegenteil: Waren Social Networks zu Beginn noch virtuelle Orte, an denen man alte und neue Freunde traf, so haben sich die schnuckeligen virtuellen Nachbarschaften zu gewaltigen Metropolen aufgebläht, in die jeder noch so dumme Mensch getrost seine Meinung reinrotzen kann. Und da die Algorithmen Interaktion und somit Empörung gerne priorisieren, sind diese Leute auch lauter zu hören als jene, die moderatere Ansichten vertreten. Wenig überraschend ist in diesem Kontext auch, dass laut einer Gartner-Umfrage jeder Zweite der Meinung ist, die Zustände auf Social Media haben sich in den vergangenen fünf Jahren verschlechtert.

Die Antwort auf diese Entwicklung kann nur sein, in kleinere Communitys zu wechseln, bei denen nicht alle Menschen in einen Topf geworfen werden, sondern man sich auf Basis gemeinsamer Interessen findet. Das Bastelportal Pinterest ist dafür ebenso ein passendes Beispiel wie die 3D-Druck-Plattform Thingiverse, auf der man sich gerne mal höflich für den Upload eines 3D-Modells bedankt. Für Musikinteressierte gibt es wiederum Portale wie Bandlab oder Bandcamp.

Oder aber man macht es so, wie zuletzt eine Person mit dem Usernamen Jona BLM im STANDARD-Forum schrieb: den eigenen Account auf "Privat" stellen. Nur Personen folgen, die man persönlich kennt und mag. Und keinen Content von Profilen konsumieren, denen man nicht persönlich folgt. Dann habe wieder annähernd das, was das "Social" in "Social Media" ist.

Sozialer Austausch mit echten Freunden also. Eigentlich auch eine gute Idee. Ich glaube, das probiere ich mal aus. Mit einem neu angelegten Account natürlich. Letztlich will man die über die Jahre hinweg angehäuften Follower dann ja doch nicht verlieren. Und den X-Account auch nicht aufgeben. Man weiß ja nie: Vielleicht braucht man ihn doch noch irgendwann. (Stefan Mey, 26.12.2023)