Die Menschheit hat größeren Schaden in der Vogelwelt angerichtet als bisher vermutet. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie, die auf fossilen Funden und statistischen Methoden beruht. Das Ergebnis würde bedeuten, dass rund doppelt so viele Vogelspezies verschwunden sind, als man angenommen hatte. Besonders betroffen von dem Artenschwund seien Inseln, die Folgen für die Ökosysteme seien erheblich, so die Forschenden.

Vögel, Artensterben, KI
Wie die unbekannten ausgestorbenen Vogelarten ausgesehen haben mochten, wird ein Rätsel bleiben. Dieses Bild zeigt eine Schar dieser anonymen Arten, wie sie sich eine grafische KI vorstellt.
Illustration: UKCEH

Bedrohte Inselvögel

Viele Inseln der Erde blieben lange Zeit weitgehend verschont von schwerwiegenden Eingriffen durch den Menschen. Doch spätestens als Europa ab dem 16. Jahrhundert mit Nachdruck Land rund um den Globus in Besitz nahm, begann das große Sterben. Während das Verschwinden vieler Vögel seit dem Jahr 1500 dokumentiert ist, beruht unser Wissen über das Schicksal der Arten vor dieser Zeit auf Fossilien. Doch dies ist eine unverlässliche Quelle, die leichten Knochen zersetzen sich schnell, insbesondere in tropischen Gefilden. Das Bild, das sich die Wissenschaft von der vergangenen Artenvielfalt macht, ist als also äußerst lückenhaft.

Bisherige Beobachtungen auf Basis von Fossilien waren zu dem Schluss gekommen, dass seit dem Spätpleistozän rund 640 Vogelarten ausgestorben sind, 90 Prozent davon waren auf von Menschen bewohnten Inseln zuHause. Die Verluste reichen vom ikonischen Dodo (Raphus cucullatus) auf Mauritius über den Riesenalk (Pinguinus impennis) der Inseln im Nordatlantik bis hin zum weniger bekannten St.-Helena-Wiedehopf (Upupa antaios).

Großes Sterben im Pazifik

Die von dem Team um Rob Cooke vom britischen Centre for Ecology & Hydrology eingesetzten statistischen Modelle, die auf Daten aus Neuseeland beruhen, kommen allerdings auf ganz andere Zahlen: Tatsächlich könnten demnach seit dem späten Pleistozän vor 130.000 Jahren bereits 1430 Vogelarten verschwunden sein. Zum Vergleich: Aktuell sind der Wissenschaft über 10.000 Vogelarten bekannt. Die überwiegende Mehrheit der unbekannten Arten wurde wahrscheinlich direkt oder indirekt durch menschliche Aktivitäten ausgelöscht, wie die Gruppe im Fachjournal "Nature Communications" berichtet.

Das spiegelt sich auch in einzelnen Weltgegenden wider: Wie die Forschenden nachgerechnet haben, sind allein 570 Vogelarten verloren gegangen, nachdem die ersten Menschen ab dem 14. Jahrhundert den östlichen Pazifik besiedelt haben, darunter Hawaii und die Cook-Inseln. Das entspricht fast dem Hundertfachen der natürlichen Aussterberate. Bereits ab dem 9. Jahrhundert vor Christi löste die Ankunft des Menschen im westlichen Pazifik, einschließlich der Fidschi- und Marianen-Inseln, eine ähnliche Aussterbewelle unter den Vögeln aus.

Dodo, Dronte, Rekonstruktion
Der Dodo (Raphus cucullatus) ist ein pummeliger Taubenverwandter, der 1589 von niederländischen Seefahrern auf der Insel Mauritius entdeckt wurde. Kurz nach 1670 galt der Dodo bereits als ausgestorben. Vielleicht wäre dieser Vogel heute gar nicht so bekannt, hätte Lewis Carroll ihm nicht in "Alice im Wunderland" ein literarisches Denkmal gesetzt.
Foto: imago images/Ardea

Vergessene Verluste

"Unsere Studie zeigt, dass der Einfluss des Menschen auf die Vogelvielfalt weitaus größer ist als bisher angenommen", sagte Cooke. "Der Mensch hat die Vogelpopulationen durch den Verlust von Lebensraum, Raubbau und die Einführung von Ratten, Schweinen und Hunden rasch vernichtet." Wichtig sei, so das Team, dass man auf die viele Arten nicht vergisst, die bereits vor den schriftlichen Aufzeichnung der frühen Naturforscher ausgestorben sind und keine Spuren hinterlassen haben.

Die nicht registrierten Verluste spielten nämlich ebenfalls eine große Rolle bei der aktuellen Krise der biologischen Vielfalt, meinte Søren Faurby von der Universität Göteborg, Co-Autor der Studie. "Die Welt hat möglicherweise nicht nur viele faszinierende Vögel verloren. Diese Arten übten vielfach Schlüsselfunktionen wie die Samenverbreitung und Bestäubung aus. Ihr Verlust hat kaskadenartige Auswirkungen auf die Ökosysteme, was letztlich zum Aussterben weiterer Pflanzen- und Tierarten führte und immer noch führt."

Zuletzt hätten Untersuchungen gezeigt, dass die Erde Gefahr läuft, in den nächsten hundert Jahren bis zu 700 weitere Vogelarten zu verlieren, so die Forschenden. Die Folgen wären für die betroffenen Regionen unabsehbar. "Ob weitere Vogelarten aussterben werden oder nicht, hängt von uns ab. Durch die jüngsten Schutzmaßnahmen konnten einige Arten gerettet werden", sagte Cooke. Die Bemühungen zum Schutz der Vögel und zur Wiederherstellung der Lebensräume seien also nicht vergebens. (tberg, 20.12.2023)