Der britische Neuropsychologe Andy Mitchell hat sich auf eine zweimonatige psychedelische Abenteuerreise begeben und seine wunderlichen Erlebnisse in dem Buch Ten Trips verarbeitet. "Ich war ein Süchtiger. Mehr als ein Jahrzehnt konnte ich nicht aufhören, zu trinken und harte Drogen zu nehmen", sagt Mitchell über seine 20er-Jahre. Nach 25 drogenfreien Jahren lässt er sich auf einen halluzinogenen Roadtrip im Gonzo-Stil ein, der ihn von London über die USA und Mexiko bis nach Kolumbien führt und mit illustren Charakteren zusammenbringt, die Oberon, Sphinx, Aurora oder Palmer heißen.

Magic Mushroom
"Magic mushrooms" und andere Substanzen haben längst auch das Interesse der Wissenschaft geweckt.
Getty Images/Science Photo Libra

Das Abenteuer startet in einem klinischen Setting, am für seine bahnbrechenden Psychedelika-Forschungen bekannten Imperial College in London. Mitchell hat sich für eine Studie registriert, mit der man die Neubildung von Synapsen unter Einfluss des Anästhetikums Ketamin oder DMT (Dimethyltryptamin) mithilfe bildgebender Verfahren untersuchen will. Daraus wird letztlich nichts, weil sich die Teilnahmekriterien für die Studie plötzlich geändert haben. Nur noch "psychedelisch naive" Personen sind zugelassen, und er hat einige Zeit davor den Pflanzensud Ayahuasca probiert. Auch in andere Studien schafft er es nicht, etwa weil er dafür "zu wenig deprimiert" sei.

Wilder Abenteuertrip

Von dem scheinbaren Rückschlag lässt er sich nicht abhalten. Die Erfahrung mit Ketamin, das auch erfolgreich zur Behandlung schwerer Depressionen eingesetzt wird, holt er mit der Tochter eines Freundes in deren Londoner Wohnung nach. Davon eher "unterwältigt", lässt er Europa hinter sich und erforscht manch ein Phänomen, das der Psychedelika-Boom mit sich gebracht hat – oder das schon Jahrhunderte davor existierte. In den USA nimmt er an einer Ayahuasca-Zeremonie in der Church of Sonqo teil, die ein Priester namens Oberon leitet, in Mexico City raucht er unter Anleitung des obskuren Zeremonienmeisters Sphinx DMT, das aus den Drüsen von Kröten gewonnen wird.

Jeder Trip ist anders und nicht mit dem vorangegangenen zu vergleichen. Mit mehreren Monaten Abstand zu seiner Reise sagt er, dass er Ängste überwunden hat und offener und verletzlicher in seinen Beziehungen wurde.

Andy Mitchell
"Psychedelika sind ein Testfall für die Grenzen der Wissenschaft", sagt der Neuropsychologe und Buchautor Andy Mitchell.
Dave Adair

Psychedelische Steine

Über fünf Jahre nach Michael Pollans Opus magnum How to Change Your Mind ist kein psychedelischer Stein auf dem anderen geblieben. Darin beschrieb der US-Journalist akribisch die Hintergründe und den aktuellen Stand des Wissens rund um die "psychedelische Renaissance", war doch nach Jahrzehnten der Verbannung die Forschung an Psychedelika im neuen Jahrtausend wieder in Schwung gekommen.

Zahlreiche Studien bescheinigten etwa "magic mushrooms" und ihrem Wirkstoff Psilocybin großes Potenzial zur Behandlung von Depressionen, Angststörungen und Suchtkrankheiten. So großes Potenzial, dass allein der US-Markt für die Pilze, die in einzelnen US-Regionen bereits entkriminalisiert sind, bis 2030 jährlich zweistellige Wachstumsraten verspricht.

Psychoaktive Substanzen

Psychedelika sind stark psychoaktive Substanzen, die Wahrnehmung und Stimmung verändern und zahlreiche kognitive Prozesse beeinflussen. Sie gelten im Allgemeinen als physiologisch unbedenklich und führen nicht zu Abhängigkeit oder Sucht. Allerdings hängt ihre Wirkung stark von der mentalen Verfassung sowie der Umgebung ab, in der sie eingenommen werden.

Pollans Werk sorgte wohl auch deshalb für Furore, weil er für seine Recherche die drei Substanzen LSD, Psilocybin und 5-MeO-DMT in kontrollierten Umgebungen ausprobierte und seine Erlebnisse damit eindrücklich schilderte.

Ten Trips Andy Mitchell
Andy Mitchell, "Ten Trips. The New Reality of Psychedelics". € 15,– / 352 Seiten. Bodley Head, London 2023.
Harper Wave

Andy Mitchell hat mit dem Buch Ten Trips nun seinen eigenen Zugang gefunden. "Ich hatte ungefähr 40 psychedelische Erfahrungen in 60 Tagen, und es waren wahrscheinlich 15 verschiedene Substanzen involviert", sagt er im STANDARD-Interview. Zehn Trips, 40 Erfahrungen? Nein, keine Geschichte über Psychedelika kommt vollends ohne (scheinbare) Widersprüche aus.

Mönch und Therapeut

Für seine psychedelische Tour de Force im Alter von 49 Jahren hat der britische Neuropsychologe und Therapeut einen langen Anlauf genommen. Sänger einer Punkband in Leeds, Studium der Englischen Literatur in Oxford, Gründung einer NGO zur Unterstützung von Obdachlosen in Leeds, drei Jahre als Mönch in Kalifornien, ein Meditations-Sabbatical in Asien, um nur einige Stationen zu nennen.

Erst in seinen Dreißigern startet er seine klinische Karriere, zuerst in Psychologie und dann in den Neurowissenschaften. Er behandelt Patienten mit seltenen Hirnerkrankungen, Kopfverletzungen und Epilepsie, als Therapeut arbeitet er mit Menschen mit verschiedenen psychischen Störungen.

Praxisnaher Hintergrund

Schon wegen seines praxisnahen Hintergrunds steht Mitchell dem psychedelischen Hype skeptisch gegenüber. Ist die Jagd von internationalen Start-ups nach patentierbaren Varianten von psychedelischen Drogen und nach therapeutischen Protokollen, um sie Gesundheitseinrichtungen für medizinische Anwendungen zu verkaufen, der richtige Weg? Und ist der starke Fokus der Wissenschaft auf bildgebende Verfahren, die allzu oft psychedelische Erlebnisse auf Gehirnfunktionen reduzieren, nicht zu kurz gegriffen? Warum wird nicht mehr die Erfahrung erforscht?

Psychedelika
Viele Psychedelika und deren genaue Wirkung im Hirn sind noch nicht gut erforscht.
Getty Images/iStockphoto

Er wollte die ganze Bandbreite von Psychedelika selbst erleben und dabei das seiner Ansicht nach "philosophisch verarmte" medizinisch-therapeutische Narrativ rund um die Substanzen kritisch hinterfragen und aufbrechen, sagt er: "Ich wählte zehn Trips aus, die vier verschiedene Modelle abdecken konnten: medizinisch, westlich-spirituell, ‚erholsam‘ und schamanisch. So habe ich meine Erfahrungen kuratiert, um zu versuchen, diese Dinge miteinander zu verbinden."

Spirituelle Wissenschaft

Die Ten Trips mögen am Ende ein wenig zwischen die Stühle von Wissenschaft und Spiritualität fallen, wie Mitchell selbst unumwunden zugibt: "Für Wissenschafter ist das Buch zu rebellisch und verrückt. Und für spirituell orientierte Menschen ist das Buch nicht heilsam genug." Wie auch schon bei Michael Pollan steht am Ende sinngemäß die Warnung davor, vielversprechende Substanzen, die wir noch kaum verstehen, in ein "medizinisch-spirituelles Disneyland" zu verwandeln: "Psychedelika sind sowohl ein Testfall für die Grenzen der Wissenschaft als auch dafür, was wir als Kultur mit etwas Neuem machen, das das Potenzial hat, uns vor uns selbst zu retten." (Mario Wasserfaller, 31.12.2023)