Abstrakte Illustration Quantenwelt
Die moderne Physik steht vor dem Problem, dass immer noch nicht klar ist, wie Quantenphysik und Relativitätstheorie vereinheitlicht werden können.
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Kaum ein Tier hat es in der Wissenschaft zu ähnlichem Kultstatus gebracht wie sie. Einst als Kritik an der Quantenphysik formuliert, ist sie heute ihr Maskottchen. Sie ist zugleich tot und lebendig und hört auf den Namen Schrödingers Katze. 1935 hat der österreichische Physiker sie in einem Gedankenexperiment vorgestellt, um zu zeigen, wie "burlesk" die Quantentheorie sei.

"Schrödingers Katze bildet bis heute viele Prinzipien der Quantenphysik ab, vor allem die Bedeutung von Verschränkung", sagt Gregor Weihs. In den 90er-Jahren startete er seine akademische Karriere mit einer Reihe von Experimenten, für die inzwischen der Nobelpreis vergeben worden ist. 2022 wurde Weihs’ einstiger Doktorvater Anton Zeilinger mit dem Physiknobelpreis ausgezeichnet. Nun darf sich Weihs besonderer akademischer Anerkennung erfreuen: Das von ihm geleitete Konsortium Quantum Science Austria hat den Zuschlag der begehrten Exzellenzcluster bekommen.

Gregor Weihs
Gregor Weihs, Professor für Quantenphysik an der Universität Innsbruck, leitet einen Exzellenzcluster zu Quantenphysik, an dem mehrere österreichische Forschungsinstitutionen beteiligt sind.
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Neues Forschungsterrain

Mit diesem Programm ermöglicht der österreichische Wissenschaftsfonds FWF Forschungsprojekte in einer neuen Größenordnung, sowohl betreffend Laufzeit als auch betreffend Fördervolumen. In den nächsten fünf Jahren erhält Quantum Science Austria 21 Millionen Euro, mit der Option auf Verlängerung um weitere fünf Jahre. Kürzlich wurde der Exzellenzcluster im Beisein von Wissenschaftsminister Martin Polaschek an der Universität Innsbruck offiziell gestartet.

"Die Quanten-Community in Österreich hat schon lange darauf gewartet, dass es einmal ein Format geben wird, mit dem wir verhindern können, dass wir aneinander vorbei arbeiten", sagt Weihs. Das ist nun mit der Exzellenzinitiative geschaffen worden. Quantum Science Austria vereint über 60 Forschungsgruppen in Innsbruck, Wien, Linz und Klosterneuburg. Zum Ziel gesetzt haben sich die Forschenden nichts Geringeres, als neue Erkenntnisse zu den Quanteneigenschaften von Raum, Zeit, Gravitation, Information und Materie zu gewinnen und dabei international bislang unerforschtes Terrain zu ergründen.

Kontrollierbare Modellsysteme

Mit gut kontrollierten Modellsystemen, die etwa auf gefangenen Ionen, ultrakalten Atomen, Systemen mit langreichweitiger Wechselwirkung, supraleitenden Quantenschaltkreisen und nanoskopischen Festkörpersystemen basieren, sollen die schwierigsten Rätsel der Quantenwelt entschlüsselt werden. "Wir wollen gemeinsam die Grenzen des Wissens erweitern und so Motor für zukünftige Innovationen sein", sagt Weihs.

Was hat das nun alles mit Schrödingers Katze zu tun? Warum ziert das stolze Tier gleich eine der ersten Folien, wenn Gregor Weihs etwa Unternehmern bei einer Veranstaltung der Industriellenvereinigung in Wien erzählt, was er in den kommenden Jahren mit dem Exzellenzcluster alles vorhat?

Schrödingers Katze
Schrödingers Katze ist ein Gedankenexperiment, in dem sich eine Katze in einem Überlagerungszustand von tot und lebendig befindet.
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Überlagerung und Verschränkung

Als Schrödinger den Aufsatz "Die gegenwärtige Situation in der Quantenmechanik" verfasste, der 1935 in drei Teilen im renommierten Fachblatt "Die Naturwissenschaften" erschienen ist, hätte er wohl nie zu träumen gewagt, dass der Text Jahrzehnte später vor allem für einen einzigen Absatz berühmt sein würde. Darin schildert er in aller Kürze ein Gedankenexperiment, in dem eine Katze basierend auf den Gesetzen der Quantenphysik zugleich tot und lebendig ist.

Das morbide Setup ist rasch umrissen: Eine Katze wird in eine Kiste gesetzt, zusammen mit einem radioaktiven Atom, einem Geigerzähler zum Messen von radioaktiven Zerfällen, einem Hammer und einem Giftfläschchen. Wenn das Atom zerfällt, was zufällig jederzeit passieren kann und unvorhersehbar ist, aktiviert der Geigerzähler den Hammer, der das Giftfläschchen zertrümmert, und die Katze stirbt. Im Verständnis der Quantenphysik befindet sich das Atom, bis es beobachtet wird, in einem Überlagerungszustand von zerfallen und nicht zerfallen. Der Zustand der Katze ist eng mit jenem des Atoms verbunden – Schrödinger prägte dafür den Begriff Verschränkung. Das bedeutet, dass die Katze gleichzeitig lebendig und tot ist, bis die Kiste geöffnet wird und eine Beobachtung stattfindet.

Illustration Quantenverschränkung
Die Verschränkung ist eines der erstaunlichsten Phänomene der Quantenphysik: Wenn zwei oder mehr Teilchen miteinander verschränkt sind, zeigen sie weitreichende Korrelationen, die mit der klassischen Physik nicht erklärbar sind.
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Paradoxien mit Folgen

Schrödinger wollte mit diesem Gedankenexperiment die Paradoxien der Quantenphysik bei Überlagerungszuständen und Verschränkung verdeutlichen. Inzwischen haben zahlreiche Experimente nicht nur belegt, dass die Quantenphysik tatsächlich so unintuitiv ist, sondern auch, dass diese Absonderlichkeiten für die Entwicklung einer neuen Generation von Quantentechnologien herangezogen werden können, darunter Quantenkryptografie, Quantensensoren und Quantencomputer.

"Was uns motiviert, ist, dass wir in Österreich viele der Pioniere der Quantenforschung haben und es trotzdem immer noch viele offene Fragen an der vordersten Front der Quantenforschung gibt, wo wir einen Beitrag leisten können", sagt Weihs. Neben den Universitäten Innsbruck, Wien und Linz sind am Exzellenzcluster Quantum Science Austria die Technische Universität Wien, die Akademie der Wissenschaften und das Institute of Science and Technology Austria beteiligt. Weihs betont die Bedeutung von Geschlechtergleichgewicht, Frauenförderung und Diversitätsförderung innerhalb des Clusters.

"Auf Stärken konzentrieren"

Klarer Fokus des Exzellenzclusters sind Beiträge zur Grundlagenforschung. "Wir können nicht den weltgrößten Quantencomputer bauen", sagt Weihs. "Wir bekommen 21 Millionen Euro, Kollegen in einer Firma im Silicon Valley bekommen 700 Millionen – da machen wir uns nur lächerlich." Stattdessen gelte es, sich auf "unsere Stärken zu konzentrieren, die wir in diesem Land haben". Aus Beiträgen zu solchen grundlegenden Fragen, die in der Grundlagenforschung nicht verstanden werden, könnten sich langfristig wiederum neue Möglichkeiten für Anwendungen ergeben.

Joe Biden und Quantencomputer
Nicht nur die US-Administration interessiert sich für Quantencomputer. Im Bild: ein Besuch von US-Präsident Joe Biden bei IBM.
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Dabei schrecken Weihs und seine Kollegen auch nicht vor dem größten Rätsel der Physik zurück: "Wir stehen vor dem grundlegenden Problem, dass wir nicht wissen, wie wir die Quantenphysik mit der Relativitätstheorie verheiraten sollen." Augenscheinlich wird das, wenn Phänomene wie Überlagerungszustände oder die Verschränkung in Systemen schlagend werden, in denen auch Gravitation eine Rolle spielt – womit wir wieder bei einem Szenario vom Typ Schrödingers Katze angelangt sind.

Laut der allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein krümmen Massen den Raum. Wenn sich nun eine weitere Masse in diesem gekrümmten Raum bewegt, folgt sie der Krümmung, wodurch die Massen einander anziehen. All das lässt sich gut begreifen und beschreiben, solange alle Massen einen bestimmten Aufenthaltsort haben. "Wenn die Masse aber an zwei Orten gleichzeitig ist, bedeutet das auch, dass die Anziehung für andere Massen in zwei Richtungen gleichzeitig geht. Wie das zu verstehen ist, diese Frage ist völlig ungeklärt", sagt Weihs. Er verweist auf die Experimente der Gruppe um Markus Aspelmeyer an der Universität Wien, wo mit kleinen Kügelchen Gravitationseffekte im Quantenbereich untersucht werden sollen. "Es geht darum, Schrödingers Katze tatsächlich im Kleinen zu konstruieren", sagt Weihs.

In der Zeit verschmiert

Nicht nur der Raum und die Materie geraten in der Quantenwelt ins Wanken, sondern auch die Zeit. Das Ticken der Uhr ist gemäß der Relativitätstheorie vom Bewegungszustand eines Systems abhängig und von der Gravitation. "Wenn sich Teilchen durch den Raum bewegen und nie genau wissen, ob sie hier oder dort sind, kommt es zu Effekten, wo Objekte in der Zeit verschmiert sind, denn die Zeit läuft an einer Stelle anders ab als an einer anderen Stelle", sagt Weihs. Im Rahmen des Exzellenzclusters sollen solche Effekte experimentell nachgestellt werden. "Da sind wir in Österreich ganz vorn mit dabei."

Mit ihrem rätselhaften Überlagerungszustand von tot und lebendig scheint Schrödingers Katze über die Jahrzehnte ein Eigenleben entwickelt zu haben: Einst als Kritik an den Unzulänglichkeiten der Quantenphysik konzipiert, ist sie inzwischen ein nicht totzukriegendes Maskottchen für eine neue Generation von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern, die die seltsame Quantenwelt erforschen. (Tanja Traxler, 26.12.2023)